Nachricht | Antisemitismus (Bibliographie) - Deutsch-deutsche Geschichte - Nahost und Antisemitismus in der BRD Peter Nowak: Kurze Geschichte der Antisemitismusdebatte in der deutschen Linken, Münster 2013.

Gelungener Versuch einer aktuellen systematischen Darstellung des Antisemitismusstreits in der deutschen Linken aus historischer Perspektive.

Information

Verfolgt man die einschlägigen Debatten, so kann man sich oft des Eindrucks nicht erwehren, dass die deutsche Linke ihren ganz eigenen Nahostkonflikt austrägt. Überidentifikation und unreflektierte Solidarität entweder mit Israel oder mit Palästina tragen besonders in den letzten zwölf Jahren zu einer in Teilen hochemotionalen Debattenkultur bei, die eine sachliche Erörterung und differenzierte Zugänge zur Problematik erschweren, wenn nicht unmöglich machen. Alternative linke Perspektiven auf den Konflikt zwischen Israel und Palästina, die die berechtigten Interessen aller in der Region lebender Menschen im Auge haben und daher etwa eine analytische Gleichrangigkeit von Kolonialismuskritik, Antisemitismuskritik und Ideologiekritik einfordern sowie die Anwendung gleicher universalistischer Standards an die Beurteilung der Konfliktparteien, gelten in hochdogmatischen Milieus als nicht diskursfähig.

Außerhalb dieser Milieus gewinnt in den letzten Jahren ein selbstreflexiver Blick auf das Verhältnis der deutschen Linken zum Konflikt im Nahen Osten, zu Antisemitismus- und Kolonialismuskritik, zu Israel- bzw. Palästinasolidarität an Bedeutung, der neue Perspektiven für Forschung und politisches (u. a. cross-solidarisches) Handeln eröffnet. Beispielhaft kann auf das kontinuierliche Bildungsangebot der Rosa Luxemburg Stiftung hingewiesen werden.

In jüngerer Zeit hat besonders Peter Ullrich wichtige Beiträge zur Soziologie des innerlinken Konfliktes um Israel und Palästina und zur Antisemitismusdebatte vorgelegt.[1] Dagegen mangelt es an aktuellen systematischen Darstellungen des Antisemitismusstreits in der deutschen Linken aus historischer Perspektive.[2] Einen gelungen Versuch hierzu hat nun der Journalist Peter Nowak unternommen, der u. a. für Neues Deutschland, Jungle World und Konkret schreibt.

In seiner in der edition assemblage erschienenen Kurze(n) Geschichte der Antisemitismusdebatte in der deutschen Linken, die auf ereignisgeschichtliche und theoriehistorische Aspekte abhebt, fordert der Autor mehr analytische Trennschärfe und Sensibilität sowie Sachlichkeit in den Diskursen ein. Nowak skizziert anhand zentraler Basistexte und ausgewählter Ereignisse wichtige Etappen in der Entwicklung der Debatte und der Ausdifferenzierung linker Spektren in deren Folge. In zehn Kapiteln gliedert Nowak seinen Stoff chronologisch, der gängigen Periodisierung folgend, entlang der historischen Zäsuren von 1989/1991 und 2001 und entfaltet den Leser*innen ein breites Panorama vergangener und aktueller Auseinandersetzungen in einer sich über Jahre zuspitzenden Debatte über Formen, Inhalte und Legitimität von Israelkritik und Antizionismus und deren etwaige Anschlussfähigkeit an Antisemitismus. Sein Hauptaugenmerk richtet Nowak auf die nicht parteiförmig organisierte radikale Linke und somit auf jene Szene, in welcher die Antisemitismusdebatte Anfang der 1990er Jahre auf die Agenda gesetzt wurde und seither mit häufig eruptiver Vehemenz geführt wird.

Nowak, der regelmäßig publizistisch in die Nahost- und Antisemitismusdebatte interveniert[3], adressiert seine äquidistant gehaltene Einführung in die Geschichte des  Antisemitismusstreites in der deutschen Linken in erster Linie an eine jünger Leser*innenschaft bzw. Einsteiger*innen in die Thematik. Die Überblicksdarstellung will Orientierung in einer schwierigen Debatte bieten und Hilfestellung bei der Formulierung eines eigenen Standpunktes leisten. Diesem Anspruch, soviel sei vorweggenommen, wird Nowak gerecht.

Die Studie basiert auf einer sinnvoll getroffenen Auswahl aktueller Forschungspublikationen sowie politischer Literatur. Hierbei versäumt Nowak leider hinsichtlich der politischen Schriften in Sekundärliteratur und Texte mit Quellencharkter zu differenzieren. Unscharf bleibt Nowak auch im Hinblick auf die für die Leser*innen wichtige Unterscheidbarkeit von politischer i. e. weltanschaulicher Literatur und Forschungspublikationen, die zwar auch keine Objektivität in der Darstellung für sich beanspruchen können, aber zumindest Kriterien intersubjektiver Nachprüfbarkeit genügen (müssen).

Eine systematische Antisemitismusdebatte wird in der deutschen Linken seit rund fünfundzwanzig Jahren geführt. Damit ist die Geschichte der Debatte, die erst seit 2001 auch Kontinuität aufweist, jünger, als man es zunächst von einer politischen Strömung erwarten könnte, für die Ablehnung des Antisemitismus´ zu den weltanschaulichen Grundüberzeugungen gehört. Im ersten Hauptkapitel beleuchtet Nowak die Geschichte der Debatte vor 1989. Streng genommen kann von einer allgemeinen Antisemitismusdebatte in der Linken zu diesem Zeitpunkt noch keine Rede sein. Ein imperialismus- und zionismuskritischer Grundkonsens dominierte die Diskurse zum Nahost-Konflikt, die sich leider oft genug lediglich in der Schärfe der Polemik nicht aber im analytischen Niveau voneinander unterschieden. Eine Auseinandersetzung mit dem eliminatorischen Antisemitismus der Nationalsozialisten fand nur ansatzweise statt. Die Geschichte des Nationalsozialismus wurde von der Geschichte Palästinas und Israels getrennt verhandelt. Auch kam die Reflexion gesellschaftlicher Ursachen für Antisemitismus in Geschichte und Gegenwart über Ansätzen kaum hinaus. Dies sollte sich mit dem Ende des Staatsozialismus und der sogenannten Wiedervereinigung ändern.

Bis dahin blieb in weiten Teilen der Linken, angefangen bei kommunistischen Gruppen über autonome Antifa-Zusammenhänge bis hinein in die Friedensbewegung, eine verkürzt oder regressiv zu nennende Israel- und Zionismuskritik maßgebend, die bisweilen ungewollt an antisemitische Denkmuster anschlussfähig war, ohne dass ihr zwangsläufig weltanschaulicher Antisemitismus zu unterstellen gewesen wäre. Nowak gibt hierfür mit dem Disput in der Hausbesetzer*innenszene um eine Israelboykottparole an einer Fassade in der Hamburger Hafenstraße im Jahre 1988 ein plastisches Beispiel. «Boykottiert <Israel>! Waren, Kibbuzim und Strände! Palästina – Das Volk wird Dich befreien! Revolution bis zum Sieg» stand dort zu lesen (S. 14). Nowak stellt anschaulich dar, dass dieser erste auf überregionaler Ebene geführte linke Antisemitismusstreit nicht die Legitimität von Israelkritik und Palästinasolidarität in Frage stellte, sondern deren Formen und Herangehensweisen problematisierte. Darf eine deutsche Linke angesichts der nationalsozialistischen Devise «Deutsche, kauft nicht bei Juden» zu einem Boykott Israels aufrufen? Eine Frage, auf die bis heute unterschiedliche Antworten formuliert werden. Das gilt auch für die Zulässigkeit der Vergleichbarkeit bzw. Gleichsetzung israelischer Besatzungspolitik mit der Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten.

In diesem Kontext bereitet der militante Antizionismus verschiedener aus radikalen linken Milieus hervorgegangener Untergrundorganisationen Probleme. Nowak erörtert Beispiele für Theorie und Praxis im Umfeld der Revolutionären Zellen und der Tupamaros Westberlin (S. 16-23). Letztere planten für den 9. November 1969, dem Jahrestag der Reichsprogromnacht, einen Bombenanschlag auf ein jüdisches Gemeindehaus. Das expansionistische Israel galt vielen Linken in der Bundesrepublik spätestens seit 1967 als der Außenposten des US-Imperialismus im Nahen Osten und als faschistisches Unterdrückungsregime. Die israelische Besatzungspolitik in Palästina wurde (und wird) seither in bestimmten Spektren, die dazu neigen, antikolonialistischen Widerstand per se als Befreiungsnationalismus mit sozialistischem Transformationspotential zu identifizieren, häufig mit der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik gleichgesetzt. Dies bedeutete nicht nur eine Relativierung der nationalsozialistischen Verbrechen. Nicht selten wurde das Existenzrecht Israels infrage gestellt.

Die Tupamaros begründeten ihren Anschlagsplan damit, dass «aus den vom Faschismus vertriebenen Juden (...) selbst Faschisten geworden (sind), die das jüdische Volk ausradieren wollen.» (S. 19ff.) In eine ähnliche Richtung geht eine ungleich komplexere programmatische Schrift einer anderen sich links verortenden Untergrundorganisation, die Nowak in seiner Darstellung leider nicht berücksichtigt. Gemeint ist das R.A.F.-Dokument «Zur Strategie des antiimperialistischen Kampfes» aus dem Jahre 1972. Die Rote Armee Fraktion würdigt hier den Anschlag der palästinensischen Untergrundorganisation «Schwarzer September» auf die israelische Olympiamannschaft in München als herausragenden Akt der Befreiung von Kapitalismus, Imperialismus und Faschismus. Der Text argumentiert strukturell im Muster antisemitischer Verschwörungsstrategie und stellt ein zentrales Dokument in der Geschichte der Antisemitismusrezeption in der deutschen Linken dar.[4]

Der Anschluss der DDR an die Bundesrepublik, geschichtspolitisch als «Wiedervereinigung» inszeniert, und die hieraus erwachsene Hybris deutschen Nationalismus und Neonazismus, stellt eine wichtige Zäsur für die Antisemitismusdebatte in der Linken dar. Nowak versteht es, de komplexe Entwicklung der Diskurse in dieser Zeit, die bald zur Spaltung der radikalen Linken führen sollte, im zweiten Hauptkapitel seiner Untersuchung stringent in der Argumentation, treffend in der Kontextualisierung und konzise in der Darstellung ins Bewusstsein zu rufen. Die Antisemitismusdebatte in der deutschen Linken wurde vor Beginn des zweiten Golfkrieges kaum im Kontext des Nahostkonflikts geführt. Vielmehr stand die offizielle deutsche Erinnerungspolitik in konkreter Gestalt der «Normalisierungspolitik»[5] im Mittelpunkt der Antisemitismusdebatte der 1990er Jahre.

Das neue und größere Deutschland wollte endlich wieder eine normale Nation sein, frei von «Schandmahlen» der Geschichte. Als Gleiche unter Gleichen sollte der Weg zurück in die Weltpolitik beschritten werden. Hierzu war es nötig, sich der nationalsozialistischen Vergangenheit zu entledigen. Da diese nicht zu leugnen war, wurde mit der Umdeutung der jüngeren deutschen Geschichte begonnen. Deutschland und die Deutschen sollten fortan nicht mehr in der Täterrolle erscheinen. In den Vordergrund rückte nun eine neue Opfernarrative, eine Selbstviktimisierung, welche die Mehrheit der Deutschen als Opfer und Verführte des Nationalsozialismus, von alliierten Bombenkrieg und Heimatvertreibung darstellte und es so ermöglichte den Nationalsozialismus zu historisieren – einen Schlussstrich zu ziehen, sich der eigenen Verantwortung weitgehend zu entledigen und sich für höhere Aufgaben in der westlichen Werte-und Staatengemeinschaft zu empfehlen. Es muss nicht eigens erwähnt werden, dass auf diese Weise auch die Verbrechen des Nationalsozialismus relativiert wurden, besonders die Vernichtung der europäischen Juden.

Am Beispiel der «Nie wider Deutschland»- Kampagne, die 1989 begann und bald zu einer Bewegung werden sollte, erörtert Nowak die Entwicklung der Antisemitismusdebatte in der außerparlamentarischen Linken. Eine intensive und systematische Befassung in der Linken mit dem Nationalsozialismus setzte ein, die analytisch und methodisch neue Wege ging. Es war der Beginn einer erinnerungs- und geschichtspolitisch geprägte Debatte zum Antisemitismus, die sich mit den «deutschen Zuständen» nach 1989 auseinandersetzte und auch den eigenen weltanschaulichen Traditionsbestand kritisch hinterfragte (S. 24ff.). Als wichtige Anlässe der erinnerungskulturelle Fragen in den Vordergrund rückenden Debatte identifiziert Nowak den Streit um die Ausgestaltung der Neuen Wache in Berlin 1993 (S. 26), die Kontroverse um Daniel Goldhagens Studie «Hitlers willige Vollstrecker» (S. 27 ff.) sowie die Rede Martin Walsers anlässlich der Verleihung des deutschen Friedenspreises 1998 aus welcher sich dann eine Kontroverse mit dem damaligen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden, Ignatz Bubis, um die Bedeutung von Auschwitz als Erinnerungsort in der Geschichte entwickelte. Die Aufzählung ließe sich ergänzen, etwa um die Inszenierung weiterer deutscher Erinnerungsorte, wie die Jahrestage der alliierten Luftangriffe auf Dresden.[6]

Unterdessen hatte die linke Antisemitismusdebatte eine neue Qualität erreicht. Mit Beginn des Golfkrieges 1991 und des Beschusses Israels mit irakischen Scud-Raketen rückte der Nahostkonflikt in den Mittelpunkt der Diskussion. Vergangenheitspolitische Fragen gerieten in den Hintergrund. Jetzt wurde über Formen und Legitimität von Israel- und Palästinasolidarität gestritten und um die Legitimität von Krieg zur Verhütung eines befürchteten neuen Genozids an den Jüdinnen und Juden. Auslöser hierfür war Kritik aus dem Umfeld der «Nie wieder Deutschland»- Kampagne an Bagatellisierung und Ignoranz der Beschießung und der so wahrgenommenen existenziellen Bedrohung Israels in der deutschen Anti-Kriegs-Bewegung (S. 34ff). Nowak hebt die besondere Bedeutung der Monatszeitschrift Konkret als dem medialen Ort hervor, an welchem die Kontroverse ausgetragen wurde und schildert deren Verlauf (S. 36 ff.). Mit dem Ende des Golfkrieges schwächte sich die Fixierung auf den Nahostkonflikt in der Antisemitismusdebatte ab, ohne dass dieser an Bedeutung für die Strukturierung der Diskurse verloren hätte.

Über die Frage, wie den oben kurz skizzierten «deutschen Zuständen», dem dramatischen Rechtsruck in Politik und Gesellschaft, politisch-inhaltlich und strategisch zu begegnen sei, kam es innerhalb der bundesweiten autonomen Antifa-Zusammenhänge ab Mitte der 1990er Jahre zu heftigen Kontroversen. Mehr oder weniger einig war man sich in der Feststellung, dass die klassischen Mittel der Auseinandersetzung nicht zur Überwindung eben dieser Zustände taugten. Zurecht weist Nowak darauf hin, dass die Antisemitismusdebatte nicht ursächlich für die Krise der organisierten Antifa war (S. 48). Sie sollte aber bald nach der Auflösung der maßgeblichen bundesweiten Trägerstrukturen erheblich zur Spaltung der radikalen Linken beitragen.

Die Anschläge vom 11. September 2001 fielen ziemlich genau mit dem Ende des nach 1989 begründeten Antifa-Bündnisses zusammen (S. 47). Man mag Nowaks Feststellung teilen können, dass ein Teil der alten Antifa in der entstehenden globalisierungskritischen Bewegung ein neues Aktionsfeld fand und sich andere Gruppen mehr auf staats- u. ideologiekritischen Fragen konzentrierten. Ähnlich wie während des zweiten Golfkrieges führten die Anschläge auf New York und Washington besonders in den zuletzt genannten Zusammenhängen zu einer (notwendigen) Wiederbelebung einer nach außen und innen gerichteten Antisemitismusdebatte, welche die so wahrgenommene regressive Israelkritik in Teilen der globalisierungskritischen Bewegung kritisierte. Im Unterschied zu 1991 erlebe der Diskurs nun eine neue Dynamik, eine bisher nicht gekannte Schärfe und Konfrontation, die der analytischen Stringenz und einer sachlichen Debatte häufig abträglich waren. Bald sollte es nicht mehr um die Frage gehen, welche Formen von Israelkritik und Palästinasolidarität (bzw. Israelsolidarität und Palästinakritik) adäquat und legitim sind. In Teilen prägte die neuformierte israelsolidarische Linke in kurzer Zeit einen rigiden Dogmatismus aus, wie Nowak anschaulich auszuführen weiß (S. 50 ff.). Israelkritik und Antizionismus, politischer Islamismus und Kolonialismuskritik galten in manchen Spektren fortan als per se antisemitisch oder zumindest antisemitismusverdächtig. Hierin unterschied sich die Antisemitismusanalyse und Kritik vom Diskurs der frühen 1990er Jahre.

Nowak beschreibt eindringlich, wie an der Frage der Positionierung zum Nahostkonflikt, der jetzt wieder in den Mittelpunkt der Antisemitismusdebatte rückte, linke Projekte und Initiativen, Wohngemeinschaften und Freundschaften zerbrachen (S. 48). Gemäß der gängigen (Selbst-)Zuschreibungen standen sich seither häufig nicht weniger dogmatische palästinasolidarische «Antiimps» und israelsolidarische «Antideutsche» unversöhnlich gegenüber. Allerdings scheint der Höhepunkt der Frontstellung, wie oben angemerkt, inzwischen überschritten worden zu sein.

Nowaks ereignisgeschichtlicher Zugang überzeugt auch in diesem Teil seiner Untersuchung. Allerdings fehlt es ausgerechnet für diese entscheidende Phase der Geschichte der radikalen Linken in der Bundesrepublik an theoriegeschichtlicher Fundierung. Die Frage, warum ein Teil der Antifa «antideutsch» und zunehmend uneingeschränkt israelsolidarisch wurde, die Frage nach den literarisch-theoretischen Grundlangen für den weltanschaulichen Wandel und die Bedeutung der aktuellen Antisemitismusdebatte für die Theorie- und Meinungsbildung in der Linken werden wenn überhaupt, dann nur sehr oberflächlich behandelt. An dieser Stelle sei den interessierten Leser*innen nahegelegt, die kommentierte Bibliographie von Peter Ullrich zu konsultieren, welche die einschlägige Literatur verzeichnet.[7]

Noch bevor beim Leser hierüber Enttäuschung Raum greifen kann, erfüllt das anschließende Interview mit Peter Ullrich die Erwartungen in eine fundierte Analyse. Im Gespräch äußert sich Ullrich u. a. zu den Gründen für die Verschiebung der Diskurse um Israel und Palästina, zur Bedeutung der spezifischen deutschen Erinnerungskultur zu Nationalsozialismus und Shoa, zu den Kriterien einer emanzipatorischen Palästina- bzw. Israelkritik, zur Kritik an linkem Antisemitismus und zu bestimmten Ausformungen der linken Antisemitismuskritik (S. 64-78).

Nowak schließt seine Darstellung mit einem überzeugenden Plädoyer für eine stetige Versachlichung der Debatte (S. 79). Nowak ist darin zuzustimmen, dass der Dualismus von «antideutsch» und «antiimperialistisch» im Hinblick auf den diskutierten Gegenstand, den Antisemitismus, wenig erklärungskräftig - man möchte hinzufügen eher irreführend - ist (S. 5f.). Begriffliche Präzision, so Nowak, kann ein erster Schritt zur Entemotionalisierung und Problemorientierung der Diskurse sein. Konsequenter Weise vermeidet Nowak zumeist die klassischen Adjektive und unterscheidet eine in sich jeweils heterogene israelsolidarische von einer israelkritischen Strömung in der Linken. Nowak, der selbst einen wohltuend differenzierten und vermittelnden Standpunkt vertritt, weist jede Form von Pauschalkritik und Generalisierung in der Debatte als wenig gegenstandsadäquat und erkenntnisförderlich zurück. Nowaks Vorschlag, differenzierte von verkürzter Kritik analytisch zu unterscheiden - Nowak verwendet hierfür die Begriffe regressive Israelkritik bzw. regressiver Antizionismus - kann man sich nur anschließen. So setzt sich Nowak u. a. dafür ein, notwendige Kritik etwa an der israelischen Besatzungspolitik zu formulieren. Diese dürfe aber nicht zur Dämonisierung und Delegitimierung Israels führen. Doppelte Standards bei der Bewertung der Konfliktparteien sind zu vermeiden, soll eine linke emanzipatorische Kritik formuliert werden, die, wie eingangs formuliert, Antisemitismus-, Kolonialismus- und Ideologiekritik sowie die Interessen aller in der Region lebenden Menschen gleichberechtigt berücksichtigt.

Resümierend kann festgehalten werden, dass Peter Nowak ein wichtiger Beitrag zur Geschichte der Antisemitismusdebatte in der deutschen Linken gelungen ist, der mit Gewinn gelesen werden und einen Ausgangspunkt für eine vertiefte Beschäftigung mit der Thematik bilden kann. Kritisch bleibt neben den bereits genannten Punkten anzumerken, dass es Nowak nicht immer durchgängig gelingt, seine stringente Gliederung aufrechtzuerhalten. Nowak beginnt bisweilen Exkurse ohne diese schlüssig zu vertiefen. Entwicklungen werden angedeutet und bleiben im stichpunktartigen verhaftet. Das gilt besonders für sein Streiflicht auf die Antisemitismusdebatte in der DDR und den Exkurs: «Zwischen den Fronten – Linke Juden und die Linke in Deutschland». Mehr additiv als systematisch rubriziert wirken die in der Sache überzeugenden Ausführungen von Bernhard Schmid über die Rechte und Israel, die den Nowak-Band abschließen. Hierdurch wird der Lesefluss an manchen Stellen beeinträchtigt. Schließlich bleibt die fehlende Trennschärfe zwischen traditioneller Antifa und «Nie wieder Deutschland-Bewegung» und den seit 2001 neu entstehenden Antifa-Zusammenhängen zu monieren.


[1] Peter Ullrich, Begrenzter Universalismus. Sozialismus, Kommunismus, Arbeiter(innen)bewegung und ihr schwieriges Verhältnis zu Judentum und Nahostkonflikt, Berin 2007. Ders., Die Linke, Israel und Palästina. Nahostdiskurse in Großbritannien und Deutschland, Berlin 2008. Ders., Kathrin Vogler, Martin Froberg, Königsweg der Befreiung oder Sackgassse der Geschichte? BDS - Boykott, Desinvestition und Sanktionen. Annäherungen an eine aktuelle Nahostdebatte, Berlin 2011. Ders., Linke. Nahostkonflikt. Antisemitismus. Wegweiser durch eine Debatte. Eine kommentierte Bibliographie. Reihe Analysen der Rosa Luxemburg Stiftung, Berlin 2012. Ders., Deutsche Linke und der Nahostkonflikt – Politik im Antisemitismus- und Erinnerungsdiskurs, Berlin 2013.

[2] Gerhard Hanloser (Hrsg.), „Sie waren die antideutschesten der deutschen Linken“ Zu Geschichte, Kritik und Zukunft antideutscher Politik, Münster 2004. Martin W. Klocke: Israel und die deutsche Linke. Zur Geschichte eines schwierigen Verhältnisses. Schriftenreihe des Deutsch-israelischen Arbeitskreises für Frieden im Nahen Osten, Frankfurt a. M. 1994. Marcus Hawel, Moritz Blanke (Hrsg.), Der Nahostkonflikt. Befindlichkeiten der deutschen Linken, Berlin 2010.

[3] Vgl. hierzu die einschlägigen Artikel unter http://peter-nowak-journalist.de/

[4] Vgl. hierzu: Martin Hoffmann, Rote Armee Fraktion. Texte und Materialien zur Geschichte der RAF, Berlin 1997.

[5] Vgl. hierzu: Marcus Hawel, Die normalisierte Nation. Vergangenheitsbewältigung und Außenpolitik in Deutschland. Mit einem Vorwort von Moshe Zuckermann, Hannover 2007.

[6] Vgl. hierzu aktuell: Henning Fischer Dresden und Deutschland: Zweierlei Mythos. Zum Mythos Dresden als Teil der deutschen Geschichte, in: Ders., Uwe Fuhrmann, Jana König, u. a. (Hrsg.), Zwischen Ignoranz und Inszenierung. Die Bedeutung von Mythos und Geschichte für die Gegenwart der Nation, Münster 2012, S. 32-59.

[7] Linke. Nahostkonflikt. Antisemitismus. Wegweiser durch eine Debatte. Vgl. Anmerkung 1. Meine Besprechung hierzu: http://geschichteundpolitik.wordpress.com/2013/08/05/peter-ullrich-linke-nahostkonflikt-antisemitismus-reihe-analysen-der-rosa-luxemburg-stiftung-berlin-2012/.
 


Peter Nowak: Kurze Geschichte der Antisemitismusdebatte in der deutschen Linken. Mit einem Interview mit Peter Ullrich, Münster 2013: Edition Assemblage (96 S., € 9,80).