Nachricht | Deutsche / Europäische Geschichte - Geschlechterverhältnisse Nicht den Rücken beugen vor Höhergestellten

Gisela Notz zum Geburtstag

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Bild: privat

Die Historikerin, Feministin und Sozialistin Dr. Gisela Notz wird am 5. April 80 Jahre alt. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung hat wie die gesamte gesellschaftliche Linke, viele Gründe ihr, für ihr Engagement ausdrücklich zu danken und gratuliert zum Geburtstag sehr herzlich.

Immer wieder ist sie in Landesstiftungen der RLS präsent, referiert unermüdlich auf Tagungen und ist in vielen Publikationendes letzten Jahrzehnts zu historischen Themen vertreten, egal ob es um Alexandra Kollontai oder antiautoritäre Kinderläden geht. Fast von Anfang an ist sie auch im 2006 etablierten Gesprächskreis Geschichteaktiv - und dort in den ersten Jahren eine der wenigen Frauen. Aus dem Gesprächskreis wurde von einer Redaktionsgruppe zum Geburtstag eine Publikationals Zeichen der Anerkennung erstellt.[1]

Geboren wird Gisela Notz 1942 in einem Arbeiterhaushalt im bayrischen Schweinfurt. 1972 beginnt sie, alleinerziehend mit der 1966 geboren Tochter Heike, in Berlin das Studium. Über ihr Leben bis zur Promotion hat sie in einem längeren Interview berichtet[2]

1979 bewirbt sie sich bei der Friedrich-Ebert-Stiftung. Dort beschäftigt sie sich viel mit Frauenarbeit und Sozialpolitik, historische Themen gehören erst später zu ihren Aufgaben. Sie hat - und dies bis heute - mehrere politische Standbeine: Über den Renteneintritt 2007 hinaus ist (Lohn-)Arbeit und politisches Engagement ein Fixpunkt. Während ihrer Berufstätigkeit und auch danach ist sie in Verbänden und Nichtregierungsorganisationen engagiert, stets auch in Zeitschriftenredaktionen organisiert, und bemüht um Unabhängigkeit. Lange war sie z. B. im Beirat der Bewegungsstiftung aktiv, die aus Spenden und Erbschaften die politisch-organisierende Tätigkeit sogenannter Bewegungsarbeiter*innen finanziert. Aktuell ist sie unter anderem Redakteurin der 2008 gegründeten Zeitschrift lunapark21. Zwischen 1985 und 1997 war sie Mitarbeiterin der Redaktion der innovativen und deshalb sehr wichtigen, 2008 dann eingestellten Zeitschrift beiträge zur feministischen theorie und praxis.

Sie hat eine ebenso imposante wie thematisch breite Publikationstätigkeit vorzuweisen, die wiederum mit ihren vielfältigen thematischen Interessen und ihren Netzwerken zusammenhängt. Wer ihren Namen in die Datenbank des Archivs der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung eingibt, erzielt mehr als 350 Treffer.[3]

Die feministische Bewegung – und ihre Geschichte

In dem kleinen Buch «Warum flog die Tomate? Die autonomen Frauenbewegungen der Siebzigerjahre» erzählt Gisela Notz zum Beispiel die Geschichte der Zweiten oder auch Neuen Frauenbewegung in der Bundesrepublik der 1970er und 1980er Jahre im Überblick.[4]

Das Buch ist ein gelungenes Beispiel dafür, kurz und einführend ein Stück Geschichte zu schreiben – die Debatten um die aktuelle Situation und die Perspektiven der Frauenbewegung finden woanders statt. Es machte nebenbei auch deutlich, dass die Ansprüche von feministischen Theorien und Praktiken noch lange nicht eingelöst sind. Einen weiteren einführenden Band zum Feminismus legte Notz 2011 vor.[5]

Notz steuerte zuletzt ein Vorwort zum Sammelband mit Texten der italienischen Autorin und Aktivistin Mariarosa Dalla Costa bei. Diese ist eine der wichtigsten Theoretikerinnen des Marxismus-Feminismus, sie analysierte schon in der 1968er Revolte die Rolle und Bedeutung von Haus- und Sorgearbeit für den Kapitalismus.[6]

Alternative Ökonomien - und ihre Widersprüche

Gisela Notz hat viele Publikationen zur (Geschichte der) Frauenbewegung in Verbindung mit Versuchen eines geschlechtergerechten und solidarischen Wirtschaftens vorgelegt. In ihrer als Einführung konzipierten «Theorien alternativen Wirtschaftens», in der geschätzten Reihe theorie.org 2011 das erste Mal erschienen, stellt sie z.B. die Vielfalt alternativen Wirtschaftens vor.[7]

Letztes Jahr erschien in derselbe Reihe «Genossenschaften. Geschichte, Aktualität und Renaissance». Immer wieder, und das schon in ihren ersten Forschungen zum Themenfeld, weist Notz darauf hin, dass auch in solidarischen oder alternativen Ökonomien und Projekten der Geschlechterwiderspruch nicht verschwindet.

Vielfalt von Themen - im Zusammenhang denken

Der italienische kommunistische Politiker Antonio Gramsci stellt «die organisierende Arbeit von Intellektuellen stets in den Kontext gesellschaftlicher Kämpfe um Hegemonie»[8]. Organische Intellektuelle setzen am Alltagsverstand an und bearbeiten ihn, indem sie Begriffe, Denkweisen und praktische Perspektiven mit den Selbsterklärungen und Empfindungen der Menschen konfrontieren, diese aufgreifen, ausarbeiten, neu kombinieren und (neue) Theorien popularisieren.

Die bisher genannten Bücher von Gisela Notz wurden hier als Beispiele ausgewählt, weil sich mit ihnen zeigen lässt, wie sie denkt, politisch streitet und schreibt. Sie haben erschwingliche Preise und sind im Duktus für eine nicht-universitäre Zielgruppe geschrieben. Sie versuchen, verschiedene theoretische Stränge zusammen zu denken, etwa alternative Ökonomien, Sozialpolitik und Genderaspekte, und sie argumentieren stets historisch: Mit der Geschichte der (sozialistischen) Frauenbewegung, der Arbeiter_innen, der Linken. Dass Gisela Notz Feminismus materialistisch und in Verbindung mit Kapitalismus denkt, dürfte mit an ihrer Herkunft und noch mehr daran liegen, dass sie sich ab den 1970er Jahren viel mit geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung beschäftigt hat.

Gisela Notz denkt die Vielfalt von Themen im Zusammenhang, immer mit anti-patriarchaler Perspektive. Sie spricht, wenn sie zu Veranstaltungen eingeladen ist, von ihrem eigenen Standpunkt aus, mit allen aus der Linken – von ProFamilia in Ostfriesland über den Studierendenverband der LINKEN, dem Wohnprojekt in Oberbayern und der SPD Brandenburg bis zu Autonomen in Leipzig. Immer wieder greift sie mit ihren Texten in die Vermittlung von Geschichte und Erfahrungen ein, was sich als ein integraler Bestandteil des Ringens um Hegemonie begreifen lässt. Ihre Texte sind Instrumente in diesem Kampf. Ein besonderes Format ist der Wandkalender «Wegbereiterinnen» und das dazugehörige Postkartenset, die jährlich zwölf Frauen vorstellen und durch ihr Format und ihren Gebrauchswert Verbreitung weit über die klassischen Kreise hinaus findet.[9]

Emanzipatorische Intellektuelle unterstützen also die lernende Bewusstseinserweiterung und Selbsterziehung bislang unterdrückter und beherrschter Gruppen, regen zum Denken und Organisieren an, ohne zu missionieren. Gisela Notz ist eine solche Intellektuelle. Die Welt wäre eine reichere, bessere, schönere, wenn es mehr Menschen wie sie geben würde.

Happy Birthday liebe Gisela!

 

[1] Redaktionskollektiv aus dem Gesprächskreis Geschichte der Rosa-Luxemburg-Stiftung (Hrsg.): Feministische Theorie nur mit feministischer Solidarität. Texte für Gisela Notz; Neu-Ulm 2022, 132 Seiten, 12 Euro.

[2] Ein Mädchen heiratet ja eh. Die Soziologin Gisela Notz wäre ohne die Bildungsreform heute wahrscheinlich noch immer: Sekretärin. Ulrike Baureithel im Gespräch mit Gisela Notz. Ein weiteres Interview erschien 2017: Pia Garske u.a.: Solidarität, für die es sich zu kämpfen lohnt. Ein Gespräch mit Gisela Notz zum 75. Geburtstag, in: ak, analyse & kritik – Zeitung für linke Debatte und Praxis, 18.4.2017, H. 626. (Abruf 25.3. 2022).

[3] Ergebnisse bei einer Suche auf library.fes.de/TouchPoint/start.do. Viele von Giselas Beiträgen sind dort im Volltext verfügbar. Abruf: 21. März 2022. Die private Website von Notz ist http://www.gisela-notz.de/.

[4] Gisela Notz: Warum flog die Tomate? Die autonomen Frauenbewegungen der Siebzigerjahre, Neu-Ulm 2006. Eine aktualisierte und erweiterte Neu-Auflage erschien im Jahr 2018. Der Text der Erstausgabe erschien zuerst 2004 in ähnlicher Form im Archiv für Sozialgeschichte, Band 44, http://library.fes.de/jportal/servlets/MCRFileNodeServlet/jportal_derivate_00021391/afs-2004-123.pdf, Abruf: 27. Februar 2022.

[5] Gisela Notz: Feminismus; 3., erweiterte Auflage Köln 2021.

[6] Mariarosa Dalla Costa: Frauen und der Umsturz der Gesellschaft. Gesammelte Aufsätze; Münster 2022.

[7] Gisela Notz: Theorien alternativen Wirtschaftens. Fenster in eine andere Welt, 2., erweiterte Auflage, Stuttgart 2012.

[8] Paraphrasiert nach Mario Candeias: ABC der Transformation: (organische) Intellektuelle, Vermittlungsintellektuelle, Januar 2020, Abruf: 28. Februar 2022.

9 Ende 2021 erschien der von Notz herausgegebene Kalender bereits zum 20. Mal, Abruf: 21. Februar 2021.