Otto Katz, auch bekannt als André Simone (1895-1952), war eine schillernde Figur in dem an widersprüchlichen Gestalten nicht armen internationalen Kommunismus. 1946 fragte UdSSR Außenminister Molotow voller Argwohn: «Was will dieser Globetrotter denn hier», als er Katz in Paris erblickte (S. 357). In der Tat: Katz war eine internationale Existenz. Geboren in Böhmen, mit deutscher Muttersprache ausgestattet, aber auch Tschechisch sowie später Englisch, Französisch und Spanisch fließend beherrschend, war er in Berlin, London, Mexico-City und New York gleichermaßen zu Hause. Aufträge der Komintern, doch später auch erzwungene Fluchtrouten hatten ihn überall dorthin geführt, überall fand er Freunde oder Kumpane, und überall eroberte er Frauen – darunter, laut eigenem Bekunden, aber nie von jemandem dementiert, auch Marlene Dietrich.
Mit dem Buch des britischen Publizisten Jonathan Miles liegt erstmals eine recht genaue Lebensbeschreibung von Otto Katz vor, die zudem spannend geschrieben ist. Aufgewachsen in der Nähe von Tabor und in Prag, studierte Katz nur kurzzeitig an der Handelsschule in Wien. Mit Beginn des Ersten Weltkrieges wurde er eingezogen, desertierte, wurde gefasst, inhaftiert und wieder auf das Schlachtfeld geschickt. Einer seiner Brüder, der ihm schon vor dem Krieg sozialistisches Gedankengut nahegebracht hatte, fiel an der Front.
Nach kurzer Tätigkeit beim noch heute bestehenden Vogel-Verlag in Pößneck versuchte sich Katz seit 1919 in Prag als Schriftsteller. Ein erster Lyrikband blieb ohne größere öffentliche Resonanz, doch wurde Katz’ Name in der literarischen Szene Prags immerhin bekannt. Seine gewinnende Art half ihm, Kontakt zu Franz Kafka, Max Brod, Franz Werfel und besonders Egon Erwin Kisch zu knüpfen, einem lebenslangen Freund. Er heiratete und wurde Vater einer Tochter, aber seine erste Ehe hielt nicht lange. Die zweite Ehe mit der aus Deutschland stammenden Ilse Klagemann hatte Bestand.
Ende 1921 ging Katz nach Berlin und trat wenig später der KPD bei. Zunächst als Kunstkritiker arbeitend, übernahm er dann die Leitung der Zeitschrift «Das Tagebuch» und wurde Verwaltungsdirektor des Theaters am Nollendorfplatz, das damals von Erwin Piscator geleitet wurde. John Heartfield entwarf die Bühnenbilder, George Grosz gestaltete die Programmhefte, Bertolt Brecht arbeitete als Dramaturg, Tilla Durieux, Sybille Binder, Ernst Deutsch und Alexander Granach spielten an der Piscatorbühne, wie das Theater bald genannt wurde. Doch übernahm sich Piscator finanziell, und nachdem das Theater bereits Mitte 1928 vor dem Aus stand und nur mit Geld von Felix Weil gerettet werden konnte, ging es im Herbst 1929 bankrott. Katz wechselte als Geschäftsführer zur «Universum-Bücherei für Alle», einem Buchklub der Internationalen Arbeiterhilfe und somit Teil des «Münzenberg-Konzerns». Daneben schrieb er den halb-dokumentarischen, halb-fiktiven Bericht «Neun Männer im Eis» über die Rettung der verunglückten Nordpol-Expedition unter Umberto Nobile durch den sowjetischen Eisbrecher «Krassin».
1931 schickte Willi Münzenberg Katz nach Moskau, um ihn auf seine Aufgabe als Geschäftsführer der Filmgesellschaft «Meshrabpom» (die russische Abkürzung für Internationale Arbeiterhilfe) vorzubereiten. Fortan arbeitete er im Dienst der Komintern.
Seine erste wichtige Aufgabe im neuen Arbeitsbereich war die Gründung des Hilfskomitees für die Opfer des deutschen Faschismus. Er war treibende Kraft bei der Publikation des «Braunbuch über Reichstagsbrand und Hitlerterror» und des ihm folgenden «Braunbuch: Dimitroff contra Göring», das den Reichstagsbrand und den Leipziger Prozess behandelte und Nazideutschland zeitweilig international in die Defensive drängte. Im Spanienkrieg leistete er mit dem 1937 in London publizierten Buch «The Nazi Conspiracy in Spain» wichtige Aufklärungsarbeit über die Unterstützung der Franco-Putschisten durch den deutschen und italienischen Faschismus. Um den von Francos Kriegsjustiz zum Tode verurteilten Arthur Koestler zu retten, organisierte Katz – und erneut mit Erfolg – eine internationale Kampagne zur Freilassung des Schriftstellers.
Ganz im Zeichen der Volksfront-Politik der Komintern stand seine Arbeit in Hollywood, wohin er 1936 gewechselt war (als tschechoslowakischem Staatsbürger entfielen für ihn noch die Schwierigkeiten, mit denen deutsche Exilanten zu kämpfen hatten): Unter Mitarbeit zahlreicher Schauspieler und Regisseure organisierte er die «Hollywood Anti-Nazi League for the Defense of American Democracy». Ihr gehörten unter anderem Dorothy Parker, Judy Garland, Lilian Hellman, Lena Horne und Oscar Hammerstein an. Fortan pendelte Katz unter verschiedenen – insgesamt neun – Namen zwischen Moskau, Paris, New York und Hollywood hin und her – stets mit Moskauer Geld arbeitend, wo immer sich die Chance bot, Nichtkommunisten für die Sowjetunion zu gewinnen. So kam er auch in Kontakt mit den «Cambridge Boys», dem sowjetischen Spionagering in England mit Anthony Blunt, Guy Burgess und Kim Philby. Hier wie andernorts stützt sich Miles auf kürzlich freigegebene britische und amerikanische Geheimdienstakten.
André Simone, wie er sich nun öffentlich nannte, unterdrückte Zweifel an der Richtigkeit der «Sache», die in ihm während der Moskauer Prozesse aufkamen. 1939 überstand er die Internierung bei Kriegsbeginn in Frankreich. Es gelang ihm sogar, ungeachtet der für Kommunisten schwierigen Lage während des Hitler-Stalin-Paktes, erneut in die USA einzureisen. Miles schildert detailliert, wie geschickt Katz-Simone seine alten Verbindungen zu nutzen verstand, die ihm ab 1941 auch in Mexiko behilflich waren. Zusammen mit Paul Merker wurde er dort zum spiritus rector des internationalen kommunistischen Exils. So durfte er hoffen, nach seiner Rückkehr nach Prag 1946 in die Führungsriege der tschechoslowakischen KP aufzurücken. Als Chefredakteur des Parteiorgans «Rudé Právo», dann als Leiter der Presseabteilung des Außenministeriums schien ihm dies auch zu glücken. Wenngleich sich ihm der Weg in die unmittelbare Parteispitze nicht öffnete, galt er doch vor allem im Ausland als prominenter, auch geistig offener Repräsentant der neuen kommunistischen Ordnung.
Durch Stalins Antisemitismus, gepaart mit endemischem Hass gegen auch nur potenzielle Dissidenten, geriet Katz-Simone in das Räderwerk der unmenschlichen «Säuberungen», an deren Ende 1952 die Verurteilung und Hinrichtung im Slánský-Prozess stand. Seine Witwe überlebte ihn und erlebte noch seine partielle, dann völlige Rehabilitierung 1963 und 1968 sowie seine erneute Verstoßung in die gewollte Vergessenheit nach dem «brüderlichen» Einmarsch der sowjetischen Armee und ihrer Verbündeten in Prag. 1976 schrieb sein langjähriger Freund, der britische Dokumentarfilmer Ivor Montagu, den Katz‘ Ermordung freilich nicht zum Bruch mit Moskau brachte, an ihn werde «stets voller Ruhm erinnert werden». Für andere blieb er ein «Gangster», der gutgläubige Menschen vor Stalins Karren gespannt habe, bis dieser Karren ihn dann überrollte (S. 408f.). Die Erinnerung an Stalins Opfer, die ihm vorher allzu lange folgten, bleibt so lange umstritten und so lange lebendig, wie Stalins Schatten noch nicht zu Schatten einer fernen Vergangenheit geworden sind.
Jonathan Miles: The Nine Lives of Otto Katz. The Remarkable Story of a Communist Super-Spy, London 2011: Bantam Books (492 S., 11,00 €).
Die Besprechung erschien zuerst im Jahrbuch für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung12 (2013), Nr. 3, S. 186-188.