
Bereits mit 17 Jahren tritt Wilhelm Wehner 1902 in die SPD ein. 1905 ist der Werkzeugschleifer dann schon in anarchistischen Kreisen engagiert. Dies alles geschieht nicht in Berlin oder einer anderen Großstadt des Deutschen Reiches, sondern im bayrischen Schweinfurt, das dank seiner Metallindustrie eine Arbeiterhochburg ist, und knapp 20.000 EinwohnerInnen hat. Oberbürgermeister ist dort von 1920 bis 1933 Benno Merkle (1872-1959), der ehemalige Referent des 1919 ermordeten ersten bayrischen Ministerpräsidenten und Linkssozialisten Kurt Eisner. Die drei Parteien der politischen Linken erzielen in der Industriemetropole Unterfrankens bei Wahlen stets ungefähr die Hälfte der Stimmen.
1905 geht Wehner auf Wanderschaft, lebt unter anderem in Berlin, Mannheim, Stuttgart und Dresden und ist dort auch in der anarchistischen Bewegung engagiert und organisiert, unter anderem rund um die 1909 bis 1915 erscheinende Zeitung «Der Sozialist» von Gustav Landauer. 1913 kehrt er zurück, 1915 erfolgt die Heirat mit Maria Dengler (1885-1958), die einen 1911 geborenen Sohn mit in die Ehe bringt. 1914 ist er Mitbegründer der Ortsgruppe Schweinfurt der NaturFreunde. Wehner verweigert im Ersten Weltkrieg den Kriegsdienst, was ihm eine Verurteilung zu einer 15-monatigen Gefängnisstrafe einbringt. Am 17. April 1919 ruft er in Schweinfurt die Räterepublik aus, das Gerichtsverfahren deswegen endet später mit Freispruch. In den 1920er Jahren besuchen er und andere oft die Bakuninhütte im nicht so weit entfernten Meinigen, sie wird im Buch auch vorgestellt (S. 97-101). Die anarchistisch-syndikalistische Bewegung erlebt aber ihren Niedergang, ob und was Wehner von Mitte 1933 bis 1944 politisch macht, wird im Buch nicht wirklich klar, dazu liegen kaum Quellen vor. Eingezogen wird er, vermutlich auch wegen seines Alters, jedenfalls nicht. Nach 1945 engagiert er sich in der Föderation freiheitlicher Sozialisten (FFS) deren Zeitschrift «Die freie Gesellschaft» Ende 1953 eingestellt wird und unterhält einen Briefwechsel mit Rudolf und Milly Rocker, die in den USA leben. Wehner wird 1949 vom Landesentschädigungsamt in Bayern als politisch Verfolgter anerkannt, nach fünfmonatiger Haft und vieler Verhöre im Bezirksgefängnis war Wehner nach Oktober 1933 unbehelligt geblieben. Er arbeitet trotz gesundheitlicher Probleme bis 1951, verstirbt 1968.
Eine Zeittafel (S. 125-129) präsentiert die bekannten Daten nochmals chronologisch, das zweigeteilte Namensverzeichnis ist ebenfalls sehr nützlich.
Lenhard hat eine Publikation über einen unbekannten Arbeiter vorgelegt, wie sie es im Laufe der Zeit zu Tausenden gegeben hat. Bemerkenswert ist dreierlei: Zum einen, dass Wehner der Gedankenwelt des freiheitlichen Sozialismus anhängt, sein vielfältiges und lebenslanges politisches Engagement, und die drittens darin aufscheinende Verwobenheit von Politik, Alltag und (Arbeiter-)Kultur, die durch Lenhard sehr anschaulich geschildert wird. Zur Hilfe kam ihm und seinen MitstreiterInnen, dass über 600 Fotografien und einige andere schriftliche Quellen im Familienbesitz überliefert sind, ebenso fanden Archivrecherchen statt. Leider sind in der Publikation die Bilder und Faksimiles oft etwas zu klein.
Norbert Lenhard: Wilhelm Wehner. Anarchist, Syndikalist, Antimilitarist, Freigeist und Naturfreund; Schweinfurt 2025, ISBN 978-3-911812-01-6, 140 Seiten, 16 Euro. Bezug auch direkt über john-lenhard(ätt)t-online.de.