Publikation HKWM konkrete nützliche Arbeit

Was versteht Marx unter «konkreter nützlicher Arbeit»? Der Beitrag untersucht die Bedeutung des Marx'schen Begriffs sowie seine Variationen und Interpretationen. Es wird kritisch untersucht, wie der Begriff in späteren Lesarten oft verfestigt oder falsch interpretiert wurde, insbesondere wenn er als moralische Bewertungskategorie oder als feststehende Essenz behandelt wurde.

Information

Reihe

HKWM

Autor*innen

Frigga Haug, Wolfgang Fritz Haug,

Erschienen

Dezember 2024

Zugehörige Dateien

Jean François Millet: Die Ährenleserinnen (1857) Wikimedia Commons

Das Historisch-kritische Wörterbuch des Marxismus (HKWM) ist ein marxistisches Lexikon, das nach seiner Fertigstellung 15 Bände und über 1.500 Einträge umfassen wird. Von den bisher erschienenen neun Bänden in deutscher Sprache sind seit 2017 zwei Bände in chinesischer Sprache herausgegeben worden. Im Frühjahr 2019 hat die Rosa-Luxemburg-Stiftung gemeinsam mit dem HKWM-Team die «Internationalisierung» des Lexikons auf Englisch und Spanisch vorangetrieben, um eine neue Generation marxistischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der ganzen Welt für das Projekt zu gewinnen und seine Leserschaft und Reichweite zu vergrößern. Der unten stehende Eintrag ist Teil einer Auswahl dieser Übersetzungen, die auf unserer Website zur Verfügung gestellt werden. 

Weitere Informationen über das Projekt und andere übersetzte Lexikon-Einträge finden sich in unserem HKWM-Dossier.

A: ‛amal malmūs al-fa’idah. – E: concrete useful labour. – F: travail concret et utile. – R: konkrjetnyi poleznyj truel. – S: trabajo concreto y útil. – C: juti de youyong laodong 具体的有用劳动

Bei der Analyse des Doppelcharakters der Arbeit fasst Marx zusammen: »Alle Arbeit ist einerseits Verausgabung menschlicher Arbeitskraft im physiologischen Sinn, und in dieser Eigenschaft gleicher menschlicher oder abstrakt menschlicher Arbeit bildet sie den Warenwert. Alle Arbeit ist andrerseits Verausgabung menschlicher Arbeitskraft in besondrer zweckbestimmter Form, und in dieser Eigenschaft konkreter nützlicher Arbeit produziert sie Gebrauchswerte.« (23/61; in der franz. Ausgabe wird Marx ein »und« einfügen: »travail concret et utile«; II.7/29) Hier sind die einzelnen Bestimmungen im Kontext der knA schon vollständig enthalten, zugleich ist dies eine der wenigen Stellen, an denen Marx konkret und nützlich in dieser Weise aneinander stellt; an wenigen anderen Stellen setzt er zwischen die beiden Attribute ein Komma (78) oder ordnet sie in umgekehrter Reihenfolge an: »nützliche, konkrete« (72), was die formale Gleichrangigkeit der beiden Bestimmungen anzeigt.

Im Unterschied zum marxschen Sprachgebrauch hat die Verbindung ›konkret nützlich‹ – womöglich mit Bindestrich, was bei Marx nicht vorkommt – viele Generationen von Marxisten (v.a. in Werttheorie, Industriesoziologie und Arbeitsforschung) beschäftigt. Hier wird »konkret« adverbial, als Modifikation der Bestimmung »nützlich« aufgefasst. Die Zusammenfügung wirkt dann wie eine Steigerung und besondere Eigenart des Nützlichen. Die Verbindung gerinnt zum festen Term, was ihr einen schwer durchdringbaren Zauber verleiht, der davon abhält, der »nützlichen Arbeit« bei Marx in ihre Verwicklungen und Veränderungen in wechselnden Funktionszusammenhängen und unter verschiedenen Gesichtspunkten zu folgen. Der gesunde Menschenverstand tendiert vollends dazu, die Kategorie moralisch-werthaft aufzuladen und das ›gute‹ Konkrete dem ›schlechten‹ Abstrakten entgegenzusetzen. Der theoretische, analytische Charakter des marxschen Begriffs knA geht dabei verloren. Es ist daher angebracht, zunächst die unterschiedlichen Gebrauchsweisen bei Marx zu untersuchen und nach dem roten Faden zu fragen, der die Einheit in der Verschiedenheit zu fassen erlaubt.

In der Rezeption werden die marxschen Begriffe Grundlage u.a. für Debatten über das der Lohnform entspringende Moment der ›Gleichgültigkeit‹ der Lohnarbeiter gegenüber ihrer Arbeit, im Gegenzug über Qualifikation und Widerstand sowie für die feministische Kritik an der im Kapital vernachlässigten Haus-, bzw. Familien- oder Konsumarbeit – und schließlich für die immer wieder aufflammenden werttheoretischen Debatten sowie die epistemologischen Kontroversen zum Kapital und zur Kapital-Lektüre.

1. Marx entwickelt die Bestimmungen der »nützlichen Arbeit«, aufbauend auf einer ›anthropologischen‹ Grundbestimmung, zunächst im Rahmen seiner Analyse zum Doppelcharakter der Arbeit und der Werttheorie, bei der Wertformanalyse, bei der Unterscheidung von Wertübertragung und Wertbildung, bei der Kritik der ideologischen Effekte der Lohnform.

1.1 Wortverwendungen. – Zu den Kategorien, die Marx in der klassischen politischen Ökonomie fertig vorfindet, gehören u.a. Arbeit, Wert und Gebrauchswert – so bei Adam Smith und, weiter ausgearbeitet, bei David Ricardo. Von John Locke (1691) zitiert Marx (23/50, Fn. 4) den Satz: »Der natürliche worth jedes Dinges besteht in seiner Eignung, die notwendigen Bedürfnisse zu befriedigen oder den Annehmlichkeiten des menschlichen Lebens zu dienen.« Marx kommentiert: »Im 17. Jh. finden wir noch häufig bei englischen Schriftstellern ›Worth‹ für Gebrauchswert und ›Value‹ für Tauschwert, ganz im Geist einer Sprache, die es liebt, die unmittelbare Sache germanisch und die reflektierte Sache romanisch auszudrücken.« An Nicholas Barbon, einen anderen Autor des 17. Jh. anschließend, schneidet Marx die im Alltagsverstand verwurzelte Verbindung der stofflich-nützlichen und der gesellschaftlich-wertmäßigen Seite der Ware kategorisch durch: »Als Gebrauchswerte sind die Waren vor allem verschiedner Qualität, als Tauschwerte können sie nur verschiedner Quantität sein, enthalten also kein Atom Gebrauchswert« (52). Das bricht einer Erkenntnis Bahn, die den klassischen Ökonomen verschlossen war und von der Marx beanspruchen kann, sie »zuerst [...] kritisch nachgewiesen« zu haben (Zur Kritik, 13/22f). Marx bringt sie als »Doppelcharakter der in den Waren dargestellten Arbeit« begrifflich auf den Punkt, den er als den »Springpunkt« hervorhebt, »um den sich das Verständnis der politischen Ökonomie dreht« (23/56). Arbeit schafft zwar in ein und demselben Zeitdifferenzial zugleich Gebrauchswerte und Wert, doch sind diese beiden Bestimmungen ebenso scharf zu unterscheiden wie die der Ware.

Ein erster Formulierungsvorschlag lautet: »Die Arbeit, deren Nützlichkeit sich so im Gebrauchswert ihres Produkts oder darin darstellt, dass ihr Produkt ein Gebrauchswert ist, nennen wir kurzweg nützliche Arbeit.« (Ebd.) – In der 1.A. (I867) stellt: »heiße hier der Vereinfachung halber kurzweg nützliche Arbeit« (11.5/22). Der Ausdruck erweist sich als unzureichend und geht daher in den folgenden Analysen verschiedene zusätzliche Verbindungen ein, um den jeweiligen Zusammenhang zu unterstreichen: »bestimmte produktive Arbeit« (23/52), »zweckmäßig produktive Tätigkeit oder nützliche Arbeit« (57) »nützlicher Charakter der Arbeit« (58), »konkrete Arbeit« (72), »bestimmte nützliche, konkrete Arbeit« (72), »bestimmte, konkrete, nützliche Arbeitsarten« (78), »konkrete Formen und nützliche Eigenschaften der wirklichen Arbeiten« (81), »nützliche Arbeiten oder produktive Tätigkeiten« (85), »bestimmte nützliche Arbeiten« (87), »besondere nützliche Arbeit« (124), »besondere konkrete Arbeit« (128), »Arbeitskraft nützlich verausgabt« (209), »konkrete, besondere, nützliche Eigenschaft« (215), »zweckmäßig nützliche, produktive Tätigkeit« (216) »Arbeit [...] in bestimmter nützlicher Form« (221). Das Warum der jeweiligen Hervorhebungen entschlüsselt sich beim Nachvollzug der analytischen Arbeit, wobei eine gewisse Variationsbreite der Bestimmungen das dogmatische Festhalten an einer Kategorie verwehrt.

1.2 Zunächst gilt allgemein für den produktiven Stoffwechsel des Menschen mit der Natur, kraft dessen er sein eignes Leben erhält: »nützliche Arbeit [... ist] eine von allen Gesellschaftsformen unabhängige Existenzbedingung des Menschen, ewige Naturnotwendigkeit« (57). Der Mensch schafft Gebrauchswerte für sich, um seine eigenen Bedürfnisse zu befriedigen. »Die seiner Leiblichkeit angehörigen Naturkräfte, Arme und Beine, Kopf und Hand, setzt er in Bewegung, um sich den Naturstoff in einer für sein eignes Leben brauchbaren Form anzueignen. Indem er durch diese Bewegung auf die Natur außer ihm wirkt und sie verändert, verändert er zugleich seine eigne Natur.« (192) Von diesem Standpunkt erscheint der Produktionsprozess als Arbeitsprozess, als dessen »einfache Momente« zeigen sich »die zweckmäßige Tätigkeit [...], ihr Gegenstand und ihr Mittel«, wobei die Erde »als der allgemeine Gegenstand der menschlichen Arbeit« vorausgesetzt ist (193). Bewirkt wird dabei »eine von vornherein bezweckte Veränderung des Arbeitsgegenstandes« (195). Der bestimmende Zweck ist »ein durch Formveränderung menschlichen Bedürfnissen angeeigneter Naturstoff« oder Gebrauchswert (ebd.). Plan, praktische Zielgerichtetheit und die zur Handhabung der Arbeitsmittel erforderten Qualifikationen, angefangen damit, dass er das »Spiel« und die »Potenzen« der »seiner Leiblichkeit angehörigen Naturkräfte [...] seiner eignen Botmäßigkeit« unterwirft (192), sind allgemeine Momente der in diesem Sinne nützlichen Arbeit.

Eine weitere Dimension kommt in dem Maße durch den gesellschaftlich-kooperativen Charakter der Arbeit hinzu, in dem arbeitsteilig Gebrauchswert für Andere produziert wird. Ein weiterer Bedeutungssprung der ›Nützlichkeit‹ ereignet sich, wenn in der einen oder anderen Weise subaltern für Andere gearbeitet wird, also fremder Nutzen in Betracht gezogen werden muss. Durch den Begriff der »Verfügung über fremde Arbeitskraft«, wie sie zuerst die »freilich noch sehr rohe, latente Sklaverei« in der patriarchalischen Familie kennzeichnet, haben uns Marx und Engels bereits in der DI den Schlüssel für die Entzifferung solcher Verhältnisse als Klassenverhältnisse in die Hand gegeben (3/32). Wo sie sich herausgebildet haben, fallen Last der Arbeit und Lust des Genusses (die Verwirklichung des Nutzens) verschiedenen Klassen zu.

1.3 Mit der Warenproduktion wird das Verhältnis noch komplexer und muss begrifflich anders gefasst werden. Jetzt geht es weder um nützliche Arbeit für Andere im Rahmen einer Gemeinschaft noch eines Verhältnisses direkter Herrschaft, sondern um eine von der Tauschbarkeit des zum »gesellschaftlichen Gebrauchswert« (23/55) bestimmten Produkts motivierte. Der Nutzen für den Produzenten und der Nutzen für seine ›Kunden‹ treten auf neue Weise in Gegensatz zueinander, wenn jeder »sich die fremde Ware aneignet, indem er die eigne veräußert« (99). In Zur Kritik spricht Marx diese Verwandlung noch so aus: »seine Arbeit ist nur wirkliche Arbeit als nützliche Arbeit für andere, und sie ist nur nützlich für ihn als abstrakt allgemeine Arbeit. Es ist daher die Aufgabe des Eisens oder seines Besitzers, den Punkt in der Warenwelt aufzufinden, wo Eisen Gold anzieht.« (13/71) Diese »Schwierigkeit, der salto mortale der Ware« (ebd.), ist erst überwunden, wenn der Verkauf stattgefunden hat.

Im Kapital ersetzt Marx dann »abstrakt allgemeine Arbeit« – bis auf eine Stelle (23/128) – durch »gleiche menschliche oder abstrakt menschliche Arbeit« (61). Das Realisationsproblem aber, dass sich immer erst nachträglich auf dem Markt heraussteilen kann, ob die Produktionstätigkeit tatsächlich »wirkliche Arbeit als nützliche Arbeit für andere« (13/71) war, taucht hier in Gestalt einer Aporie auf: »Alle Waren sind Nicht-Gebrauchswerte für ihre Besitzer, Gebrauchswerte für ihre Nicht-Besitzer. Sie müssen also allseitig die Hände wechseln. Aber dieser Händewechsel bildet ihren Austausch, und ihr Austausch bezieht sie als Werte aufeinander und realisiert sie als Werte. Die Waren müssen sich daher als Werte realisieren, bevor sie sich als Gebrauchswerte realisieren können. Andrerseits müssen sie sich als Gebrauchswerte bewähren, bevor sie sich als Werte realisieren können. Denn die auf sie verausgabte menschliche Arbeit zählt nur, soweit sie in einer für andre nützlichen Form verausgabt ist. Ob sie andren nützlich, ihr Produkt daher fremde Bedürfnisse befriedigt, kann aber nur ihr Austausch beweisen.« (23/100f) Beide Seiten der Waren produzierenden Arbeit, sowohl die Gebrauchswert produzierende als auch die Wert bildende, haben mithin ihr spezifisches Realisationsproblem.

1.4 Die Entfaltung der Warenproduktion beruht darauf, dass die in der gesellschaftlichen Form »selbständiger und voneinander unabhängiger Privatarbeiten« (57) betriebenen »qualitativ verschiednen nützlichen Arbeiten« (56) sich »zu einem vielgliedrigen System, zu einer gesellschaftlichen Teilung der Arbeit« ausdifferenzieren (57). Bei privat-arbeitsteiliger Wirtschaft muss der produktive Stoffwechsel mit der Natur durch den »gesellschaftlichen Stoffwechsel« (119) in Form der Warenzirkulation ergänzt werden – zunächst als »Produktenaustausch« (88), dann als Ware-Geld-Beziehung in den komplementär-gegensätzlichen Formen Kauf und Verkauf.

Den Begriff des Konkreten als zusätzliche Bestimmung nützlicher Arbeit bringt Marx bei der ›horizontalen‹ Unterscheidung jener »verschiedenen konkreten Formen« der Produktionstätigkeiten ins Spiel (52), und zwar im negativen Modus dessen, wovon abstrahiert werden muss. Um das Gemeinsame der heterogenen Produkte, das diese erst vergleichbar macht, darzustellen, veranstaltet er das Gedankenexperiment, im Blick auf die Waren deren Gebrauchswert, damit ihre »körperlichen Bestandteile« und »sinnlichen Beschaffenheiten«, ja den »nützlichen Charakter der Arbeitsprodukte« insgesamt wegzudenken und letztere nur als Arbeitsprodukte schlechthin festzuhalten. Im folgenden Schritt erstreckt er dieses Experiment auf die Arbeiten, deren Produkte sie sind. Jetzt erst, bei der Bestimmung der Wertsubstanz kommt die Kategorie des Konkreten, und zwar wiederum negativ, hinzu: Abstrahiert werden muss von dem, was Marx jetzt »die verschiedenen konkreten Formen der Arbeit« nennt. »Konkret« an der nützlichen Arbeit wäre z.B. ihre Form als Spinnarbeit. Als das den diversen Waren innewohnende Gemeinsame bleibt »gleiche menschliche Arbeit, abstrakt menschliche Arbeit« (ebd.). »Abstrakt« soll hier einfach die soeben gegebenen Bestimmungen des Konkreten negieren, meint also ›nicht-konkret‹, ›nicht in einer bestimmten Form‹, sondern ›verausgabte menschliche Arbeitskraft als solchem‹ (In der 1. Auflage heißt es noch: »menschliche Arbeit schlechthin«, II.5/27; ebenso in Gr; 42/38.)

In der weiteren Analyse des Doppelcharakters der Arbeit benutzt Marx durchgehend die Kategorie der nützlichen Arbeit oder des »nützlichen Charakters der Arbeit«, also »der Bestimmtheit der produktiven Tätigkeit«, von der abgesehen werden muss, um auf der anderen Seite die »Verausgabung menschlicher Arbeitskraft« (23/58) für die »Wertsubstanz« zu entdecken und die Zeit als Bestimmungsgröße des Wertquantums.

Erst bei der Frage der Arbeitsproduktivität kommt die Bestimmung der Arbeit als konkret wieder ins Spiel, einmal mehr negativ: »Da die Produktivkraft der konkreten nützlichen Form der Arbeit angehört, kann sie natürlich die Arbeit nicht mehr berühren, sobald von ihrer konkreten nützlichen Form abstrahiert wird.« (61) Marx organisiert hier in der Wortwahl einen Zusammenstoß von konkret und abstrakt, um die »gegensätzliche Bewegung« (60) von Wertgröße und stofflichem Reichtum vor Augen zu führen, die in der Folge die Dynamik des kapitalistisch betriebenen Produktionsprozesses bestimmt: »Derselbe Wechsel der Produktivkraft, der die Fruchtbarkeit der Arbeit und daher die Masse der von ihr gelieferten Gebrauchswerte vermehrt, vermindert also die Wertgröße dieser vermehrten Gesamtmasse, wenn er die Summe der zu ihrer Produktion notwendigen Arbeitszeit abkürzt.« (61)

Exkurs über den Doppelsinn von »abstrakt« und »konkret«. – Wenn Marx den Ausdruck »konkret« benutzt, um die »besonderen« oder »bestimmten produktiven Arbeiten« voneinander zu unterscheiden, so folgt er der Alltagssprache. Im Methodenkapitel der Einl 57 zeigt er hingegen, dass das vom Alltagsbewusstsein unmittelbar »vorgestellte Konkrete« nichts als »eine chaotische Vorstellung des Ganzen« ist (42/35). Im reflektierten, epistemologischen Sinn der »Reproduktion des Konkreten im Weg des Denkens« gilt: »Das Konkrete ist konkret, weil es die Zusammenfassung vieler Bestimmungen ist, also Einheit des Mannigfaltigen.« (Ebd.) Wenn es also spontan »das Richtige zu sein [scheint], mit dem Realen und Konkreten, der wirklichen Voraussetzung zu beginnen«, so »zeigt sich dies bei näherer Betrachtung [als] falsch« (34f). Bevölkerung als vorgestelltes Konkretes »ist eine Abstraktion, wenn ich z.B. die Klassen, aus denen sie besteht, weglasse. Diese Klassen sind wieder ein leeres Wort, wenn ich die Elemente nicht kenne, auf denen sie beruhn. Z.B. Lohnarbeit, Kapital etc. Diese unterstellen Austausch, Teilung der Arbeit, Preise etc.« (35). Solche durch Analyse gewonnenen »bestimmenden, abstrakten, allgemeinen Beziehungen« sind es, deren realitätsgerechter Zusammenfügung sich die »wissenschaftlich richtige« Darstellung verdankt. »Unumgänglich ist das Moment der Disziplin, am Vielseitigen zunächst eine Seite abstraktiv festzuhalten und für sich zu studieren, ebenso die korrigierende Gegenbewegung, die denkökonomisch angesagte Isolierung dieser einen Seite nicht in die metaphysische Falle gehen zu lassen, ihr ein inneres Wesen zuzuschreiben.« (W.F.Haug 2006, 40)

Was Marx von der Tauschwertkategorie sagt, gilt auch von der knA: so ›konkret‹ sie vorgestellt wird, ist sie doch ebenso nur eine »einseitige Beziehung eines schon gegebnen konkreten, lebendigen Ganzen« (42/36), wie die Kategorie abstrakte Arbeit. Jede der beiden Bestimmungen stellt nur je eine Seite der doppelt zu charakterisierenden warenproduzierenden Arbeit dar. Aber auch diese Abstraktionen fassen auf ihre jeweilige Weise unterschiedliche Bestimmungen zusammen. So wird z.B. das Abstraktionsresiduum »bloße Gallerte unterschiedsloser menschlicher Arbeit« (23/52) diesen Abstraktionscharakter nicht los und braucht die negative Beziehung auf sein komplementäres Gegenteil, den realen Unterschied (»unterschieds-los«), bildet also ein logisches Gedankenkonkretum sui generis, nicht weniger komplex als die begriffliche Abstraktion knA, die in ihrem Gegenbegriff als abstraktiv negierte erhalten bleibt.

1.5 Die Frage der gebrauchswertbildenden nützlichen Arbeit im Verhältnis zur wertbildenden wird auf neue, ihrer bisherigen Trennung dialektisch widersprechende Weise relevant in der Bestimmung der Äquivalentform. Ausgangspunkt ist das Problem, wie, als Vorbedingung des Austauschs, der Wert einer Ware im Verhältnis zu einer anderen ausgedrückt werden kann, wenn doch das Gemeinsame, die abstrakt menschliche Arbeit, nicht sichtbar, nicht sinnlich körperlich vorhanden ist. In der strukturell einfachsten Form, in der der Wert einer Ware A in einem bestimmten Quantum einer Ware B ausgedrückt wird, gilt: »Der Körper der Ware, die zum Äquivalent dient, gilt stets als Verkörperung abstrakt menschlicher Arbeit und ist stets das Produkt einer bestimmten nützlichen, konkreten Arbeit. Diese konkrete Arbeit wird also zum Ausdruck abstrakt menschlicher Arbeit.« (72) Die »Wertabstraktion« oder die Negation der »Naturalform« einer Ware erscheint hier als »Naturalform« der zweiten Ware, die als Material des Wertausdrucks der ersten, als deren »Wertkörper« dient (65f).

Es ist dieser »Äquivalenzausdruck«, Präfiguration des in einem Geldquantum ausgedrückten Preises, der »den spezifischen Charakter der wertbildenden Arbeit zum Vorschein« bringt, indem er die »verschiedenartigen Arbeiten tatsächlich auf ihr Gemeinsames reduziert, auf menschliche Arbeit überhaupt« (65). Hier zieht Marx wieder die Kurzform konkret als Gegensatz zu abstrakt zur Bestimmung des auf den ersten Blick rätselhaften Vorgangs heran, dass etwas zum Ausdruck seines Gegenteils wird. Jetzt ändert sich einmal mehr, was als nützlich gilt. »Im Wertausdruck der Leinwand besteht die Nützlichkeit der Schneiderei nicht darin, dass sie Kleider, also auch Leute, sondern dass sie einen Körper macht, dem man es ansieht, dass er Wert ist, also Gallerte von Arbeit, die sich durchaus nicht unterscheidet von der im Leinwandwert vergegenständlichten Arbeit. Um solch einen Wertspiegel zu machen, muss die Schneiderei selbst nichts widerspiegeln außer ihrer abstrakten Eigenschaft, menschliche Arbeit zu sein.« (72) In knapper Zuspitzung schärft Marx ein, »dass konkrete Arbeit zur Erscheinungsform ihres Gegenteils, abstrakt menschlicher Arbeit wird« (73). Die Beweisführung zielt auf den weiteren Widerspruch, dass darin zugleich »Privatarbeit« als »Arbeit in unmittelbar gesellschaftlicher Form« (ebd.) gilt.

Im Kontext nützlicher Arbeit als »Erscheinungsform« oder »Verwirklichungsform abstrakt menschlicher Arbeit« (ebd.) fügt Marx den Bestimmungen der nützlichen Arbeit immer dann das Beiwort konkret hinzu, wenn gesagt werden soll, dass eine »bestimmte, konkrete, nützliche Arbeitsart« im Warenäquivalent enthalten ist, eine qualitativ besondere Arbeit, die »also nicht erschöpfende Erscheinungsform der menschlichen Arbeit« ist (78f), während zugleich die abstrakte Arbeit hinterrücks die Regie über die Produktions- und Tauschpraxis und damit zugleich übers Bewusstsein der Produzenten gewinnt.

1.6 Soweit bestimmender Zweck und treibendes Motiv in Geld ausgedrückte Quanten abstrakten Reichtums sind, werden im selben Maße, in dem dieser Standpunkt dominiert, den Akteuren die nützlichen Charaktere der Tätigkeiten und Produkte ebenso ›gleichgültige‹ wie Geld dem Gelde formell gleich gilt. »Bestimmte und erfahrungsmäßig festgestellte Quanta Produkt stellen jetzt nichts dar als bestimmte Quanta Arbeit, bestimmte Masse festgeronnener Arbeitszeit. Sie sind nur noch Materiatur von einer Stunde, zwei Stunden, einem Tag gesellschaftlicher Arbeit. Dass die Arbeit grade Spinnarbeit, ihr Material Baumwolle und ihr Produkt Garn, wird hier ebenso gleichgültig, als dass der Arbeitsgegenstand selbst schon Produkt, also Rohmaterial ist.« (204) Immer wieder benutzt Marx den Term ›gleichgültig‹, um die Beliebigkeit des bestimmten Produkts und damit der bestimmten knA vom Standpunkt des Verwertungsinteresses einzuschärfen (202, 263). »Der Gebrauchswert ist also nie als unmittelbarer Zweck des Kapitalisten zu behandeln.« (168)

In den Resultaten erstreckt Marx diese These auf den Bewusstseinseffekt der Lohnform: »Ebenso gleichgiltig wie dem Capital [...] die besondre stoffliche Gestalt, worin es im Arbeitsprocesse erscheint, [...] ebenso gleichgiltig ist dem Arbeiter der besondere Inhalt seiner Arbeit. [...] er hat sie nur verkauft, um sich Geld und mit Geld Lebensmittel anzueignen.« (II.4.1/88)

In den Grundrissen, wo diese These breit ausgefühlt wird, kontaminiert Marx die zwei im strengen Sinn inkompatiblen Bedeutungen von ›abstrakt‹, deren eine die gesellschaftliche Wertabstraktion, die andere die stoffliche Naturalform meint: Die Gleichgültigkeit trete umso reiner hervor, je mehr die Arbeit ihren »Kunstcharakter« verliere und »sie mehr und mehr rein abstrakte Tätigkeit, rein mechanische, daher gleichgültige, gegen ihre besondre Form indifferente Tätigkeit wird; bloß formelle Tätigkeit oder, was dasselbe ist, bloß stoffliche, Tätigkeit überhaupt, gleichgültig gegen die Form« (42/218f). Übersieht man, dass es im Kontext um die Herausbildung des Produktionsverhältnisses Kapital-Lohnarbeit als »besondre materielle Weise der Produktion« geht, die erst auf »einer besondren Stufe der Entwicklung der industriellen Produktivkräfte [wahr wird]« (219), könnte diese Formulierung dazu verleiten, die knA eines Maschinenbedieners oder die monoton-repetitive Tätigkeit am Fließband, die ja gerade Formen sind, welche die knA auf entsprechendem Produktivkraftniveau annimmt, als Verwandlung der konkreten Arbeit in abstrakte zu interpretieren.

Solche Bestimmungen gibt es im theoretisch weiterentwickelten Kapital nicht mehr. Sie haben aber in der späteren Diskussion um Fließbandarbeit, ja selbst über Automationsarbeit unter Hightech-Bedingungen dazu geführt, eine Gleichgültigkeit der Arbeiter gegen ihre eigene Arbeitspraxis aus der Einspannung ins Wertverhältnis abzuleiten bzw. vorherzusagen (s.w.u.).

1.7 Das dialektische Spiel mit dem Gegensatz von konkret und abstrakt dient zur eindrücklichen Vorführung einer Verkehrung, die den »mystischen Charakter« (23/85) der Ware und des Geldes entschlüsseln hilft. So ist in der »allgemeinen Wertform«, in der die Vorläuferin der künftigen Geldware allen anderen Warenarten den gemeinsamen Wertausdruck liefert, »die im Warenwert vergegenständlichte Arbeit nicht nur negativ dargestellt als Arbeit, worin von allen konkreten Formen und nützlichen Eigenschaften der wirklichen Arbeiten abstrahiert wird. Ihre eigne positive Natur tritt ausdrücklich hervor. Sie ist die Reduktion aller wirklichen Arbeiten auf den ihnen gemeinsamen Charakter menschlicher Arbeit, auf die Verausgabung menschlicher Arbeitskraft.« (81)

1.8 Im Abschnitt über den Fetischcharakter der Ware, der die bis hierher gewonnenen Befunde der Analyse von Ware und Wertform in ein erstes Gesamtbild einfügt, schärft Marx, als hätte er die vielfältigen Diskussionen und Missverständnisse in dieser Frage vorhergesehen, noch einmal ein, es sei »eine physiologische Wahrheit, dass sie [die nützlichen oder produktiven Tätigkeiten] Funktionen des menschlichen Organismus sind und dass jede solche Funktion, welches immer ihr Inhalt und ihre Form, wesentlich Verausgabung von menschlichem Hirn, Nerv, Muskel, Sinnesorgan usw. ist. [...] In allen Zuständen musste die Arbeitszeit, welche die Produktion der Lebensmittel kostet, den Menschen interessieren [...]. Endlich, sobald die Menschen in irgendeiner Weise füreinander arbeiten, erhält ihre Arbeit auch eine gesellschaftliche Form.« (85f) In einer durch den Warenwert sich systemisch-hinterrücks regulierenden privat-arbeitsteiligen Warenproduktion erhält sie eben die Form der Lohnarbeit mit der Herrschaft der abstrakten Arbeit über die knA.

In der weiteren Analyse der Warenform und des Fetischcharakters wird das Beiwort »konkret« überflüssig. Der analytische Blick gilt dem Schicksal der »nützlichen Privatarbeiten«, die als austauschbare untereinander gleich gelten müssen, d.h. von ihrer »wirklichen Ungleichheit« abstrahieren müssen (87). Marx nennt dies den »doppelten gesellschaftlichen Charakter« der Privatarbeiten (ebd.), in dem Nützliches für andere produziert wird und dies im »Gehirn der Privatproduzenten« in der »Form des gemeinsamen Wertcharakters dieser materiell verschiednen Dinge« (88) erscheint. Die für diese Analyse gewählten Ausdrücke sind jetzt »nützlich«, »gesellschaftlich nützlich« auf der einen Seite und weiterhin »abstrakt menschliche Arbeit« (87f) auf der anderen.

1.9 Auch im Zuge der Analyse des Geldes und der einfachen Warenzirkulation ist es die »besondere nützliche Arbeit«, hier die der Goldproduktion, deren Stellenwert bestimmt wird; sie als konkret zu bezeichnen, wäre unmotiviert, weil es nicht mehr um das dialektische Ineinander von abstrakt und konkret geht, das jenem Ausdruck seinen funktionalen Sinn gibt. »In ihrer Wertgestalt [Gold] streift die Ware jede Spur ihres naturwüchsigen Gebrauchswerts und der besondren nützlichen Arbeit ab, welcher sie den Ursprung verdankt, um sich in die gleichförmige gesellschaftliche Materiatur unterschiedsloser menschlicher Arbeit zu verpuppen.« (123f) Marx führt diesen Gedanken weiter zum inneren Widerspruch der Ware. Wo es um den Gegensatz von Gebrauchswert und Wert geht, spricht er noch einmal von »besondrer konkreter Arbeit, die zugleich nur als abstrakt allgemeine Arbeit gilt« (128), wie sich ihm überhaupt der Ausdruck konkret immer dann aufzudrängen scheint, wenn es um den Gegensatz zur abstrakt menschlichen Arbeit geht.

1.10 Wertübertragung. – Während es für die Betrachtung der Wert- und Mehrwertbildung genügt, von der Verausgabung von »Arbeit in nützlicher Form« zu sprechen, weil sie »conditio sine qua non« der Verwertung ist, sprich »in nützlicher Form verausgabt werden muss, um Wert zu bilden« (208), benutzt Marx zuweilen noch den Zusatz konkret, wenn er Beispiele für bestimmte Arbeitstätigkeiten wählt, so bei der Analyse der Wertübertragung die Spinnarbeit (215). Genau letztere zeigt sich entscheidend für die Erhaltung des Werts der bei der Produktion verbrauchten Produktionsmittel. »Konkret« meint jetzt die qualitativ bestimmte Tätigkeit, bei der die Übertragung des Resultats abstrakter Arbeit, die in den Arbeitsgegenständen und in den Arbeitsmitteln steckt, insofern sie Kapitalwert darstellen, sich in jedem Zeitpunkt vollzieht, in dem der Spinner zugleich durch Verausgabung seiner Arbeitskraft Neuwert schafft. In den folgenden Überlegungen wäre der Ausdruck konkret gewissermaßen konkretistisch, weil es weiter darum gehen muss, dass überhaupt Arbeit »zweckmäßig nützlich, produktiv« (216) eingesetzt ist, in je angemessener »bestimmter nützlicher Form« (221), um Wert zu übertragen.

Damit wächst letzterer als qualifizierter »Arbeitskraft im flüssigen Zustand« eine entscheidende Funktion für die qualitätslose Seite von Arbeit »in geronnenem Zustand, in gegenständlicher Form« (65) auf Seiten des konstanten Kapitals, also der als Produktionsmittel eingesetzten Arbeitsgegenstände und Arbeitsmittel zu. Dazu bestimmt, als produktive Gebrauchswerte zu dienen, muss diese ihre Bestimmung verwirklicht werden – und zwar von nützlicher Arbeit. Diese muss »sie aus nur möglichen in wirkliche und wirkende Gebrauchswerte verwandeln« bzw. »als Gebrauchswerte [...] verwirklichen« (198), wobei sie »in ihrer abstrakten, allgemeinen Eigenschaft [...] als Verausgabung menschlicher Arbeitskraft [...] Neuwert« zusetzt und »in ihrer konkreten, besonderen nützlichen Eigenschaft« den Wert der Produktionsmittel erhält (215). Marx nennt dies eine aus dem Doppelcharakter der Arbeit resultierende »doppelseitige Wirkung« (216). In jeder Krise, in der die Produktionsmittel still stehen, zeigt sich dieses Verhältnis anschaulich als Werteinbuße für den Kapitalisten, als Arbeitslosigkeit für den Arbeiter.

1.11 Ist knA zunächst gleichbedeutend mit produktiver Arbeit, so ändert sich der Sinn dieser Bestimmung mit den Produktionsverhältnissen. Unter Kapitalbedingungen verengt sich dieser Begriff. Es genügt nicht, dass der Lohnarbeiter Gebrauchswerte produziert, auch nicht, dass er dabei den Wert der vernutzten Produktionsmittel aufs Produkt überträgt und im selben Moment Neuwert bildet, er muss Mehrwert produzieren. Produktiv ist so nicht mehr bloß »ein Verhältnis zwischen Tätigkeit und Nutzeffekt«, sondern umfasst »ein spezifisch gesellschaftliches, geschichtlich entstandnes Produktionsverhältnis, welches den Arbeiter zum unmittelbaren Verwertungsmittel des Kapitals stempelt. Produktiver Arbeiter zu sein, ist daher kein Glück sondern ein Pech.« (532) Der Klassenantagonismus reißt auch den Sinn des Begriffs ›produktiv‹ antagonistisch auseinander.

1.12 Bei der Analyse des »Geheimnisses des Arbeitslohns« (562) zeigt Marx, wie »bestimmte nützliche Arbeit, Schneiderarbeit, Schusterarbeit, Spinnarbeit usw.« die Wahrnehmung der Lohnarbeiter so okkupiert, dass die Tatsache, »dass dieselbe Arbeit nach einer andren Seite hin allgemeines wertbildendes Element ist, [...] außerhalb des Bereichs des gewöhnlichen Bewusstseins« fällt (563). Dass Marx hier das Beiwort ›konkret‹ weglässt, wiewohl es wiederum um den Gegensatz der knA zur wertbildenden abstrakten Arbeit geht, zeigt die Austauschbarkeit des Beiworts.

Wo Marx schließlich über Rückwirkungen der Produktivkraftentwicklung auf die Arbeitstätigkeiten spricht, benutzt er Ausdrücke wie ›konkret nützlich‹ und ›abstrakt menschlich‹ nicht. Er führt vor, wie zuerst die manufakturelle Zerlegung der Arbeitstätigkeiten und vollends die «Revolution des Arbeitsmittels« (416) durch die Maschinerie der großen Industrie die Arbeitstätigkeiten grundlegend verändert haben. »Aus der lebenslangen Spezialität, ein Teilwerkzeug zu führen, wird die lebenslange Spezialität, einer Teilmaschine zu dienen.« (445) Die »Spezialität« der nützlichen Arbeit zeigt sich hier als für die Arbeitenden schädlich, indem sie »das Nervensystem aufs äußerste angreift«, »das vielseitige Spiel der Muskeln« unterdrückt und »alle freie körperliche und geistige Tätigkeit« konfisziert (ebd.).

2. »Die Geschichte«, schreibt Antonio Labriola 1897, könnte »in einem Trauerspiel als Tragödie der Arbeit dargestellt werden« (SPh, 363). In der Geschichte der Arbeiterbewegung gab es vielfältige Kämpfe um die Qualität der Arbeit und ihre Intensität, um die Länge der Arbeitszeit, um Gesundheitsschutz, um Frauen- und Kinderarbeit und schließlich gegen das, was Marx die »direkte, unverhüllte Herrschaft« des Kapitals nennt (23/526).

2.1 Während Marx in allen »Widersprüchen und Antagonismen [...] die Bildungselemente einer neuen und die Umwälzungsmomente der alten Gesellschaft« (ebd.) herausarbeitet, griffen die kritischen Industriesoziologen des 20. Jh. v.a. seine Beschreibung der Verelendung der Arbeiter auf und schlossen aus der Gleichgültigkeit von Kapital und Wertschöpfung gegen die knA auf die Gleichgültigkeit der Arbeiter gegen ihre eigene knA, für die es auch bei Marx Hinweise in Res und Gr gibt (s.w.o.). Kontroversen um die Subsumtion der Arbeit unters Kapital zogen die marxschen Beschreibungen der Maschinenarbeit zusammen mit den hegelianisierenden Passagen aus den Grundrissen mit dem Resultat, dass der zentrale Begriff bei Marx »die abstrakte Arbeit« sei und die gesamte Analyse dem Prozess der Verwandlung der konkreten Arbeit in abstrakte gelte. So heißt es bei Rudi Schmiede (1983), Marx habe »die reale Durchsetzung abstrakter Arbeit« (73) noch nicht voll konzipieren, sondern nur vorbereiten können, indem er »die Fabrikarbeit als einfach, monoton, stumpfsinnig, blöde und das Verhältnis der Arbeiter zu ihr als völlig fremd und gleichgültig« beschrieben habe (57). »Die Gleichgültigkeit gegenüber der konkreten Arbeit geht einher mit Loyalität gegenüber der Instanz ihrer Abstraktifizierung und Zerstörung.« (73) Die »Formverwandlung konkreter in abstrakte Arbeit« (57) zu analysieren, erscheint bei Schmiede daher als uneingelöstes Vorhaben marxscher Analyse und als Auftrag an die Industriesoziologie, die »reale Abstraktifizierung der konkreten Arbeit« (71) im automatisierten Produktionsprozess zu studieren.

Die Annahme, dass der marxschen Kategorie der reellen Subsumtion zufolge die knA zunehmend abstrakt werde, bestimmt in hohem Maße die industriesoziologischen Analysen der 1970er Jahre. So urteilt u.a. Jürgen Mendner, dass »die mit den Anfängen der Automation partiell gegebenen Tätigkeitsbereiche mit hoher Qualifikation, komplexer Prozesskenntnis und weitgehender Entscheidungsautonomie [...] im Prozess der reellen Subsumtion tendenziell beseitigt« werden (1975, 222). Die »knA« hält er für weitgehend von der Technologie »in Inhalt und Form determiniert« (15) und kommt so zum Ergebnis, dass »nicht die von [Serge] Mallet [1963/1972] beschriebenen ›hochqualifizierten Arbeitskräfte, die sowohl gründliches technisches Wissen als auch schnelle Anpassungsfähigkeit an die immer spezialisierteren Techniken des Unternehmens besitzen‹, das Zukunftsbild des Automationsarbeiters darstellen. Vielmehr wird sich mit zunehmender reeller Subsumtion der Automationsarbeiten der von Kern/Schumann [1970] beschriebene Typ der ›qualifizierten Angelerntentätigkeit‹ als vorherrschend durchsetzen. Diese erfordert keineswegs einen hohen handwerklichen, technischen oder gar wissenschaftlichen Ausbildungsstand« (222).

Die Debatte um die Komplementärbestimmungen ›konkret nützlich‹ und ›abstrakt menschlich‹ verschob sich in die Frage, ob die Anforderungen an die knA durch veränderte Technologie eigene Spielräume und Chancen zeigten, oder ob die Technik selbst immer »von den im System der privatwirtschaftlichen Produktionstechnik geltenden Prinzipien der Kapitalverwertung bis ins einzelne bestimmt wird« (Mickler u.a. 1976, 2). Implizit tauchte die Frage der Veränderung der knA als reguliert durchs Kapitalinteresse wieder auf in der Frage nach den an Hightech-Anlagen benötigten Qualifikationen auf der einen Seite, kapitalseitiger Kontrolle und Herrschaft im Produktionsprozess auf der anderen. Zunächst überwog die Auffassung eines Verlusts an Qualifikation und konkreten Funktionen (vgl. u.a. die einflussreiche Polarisierungsthese bei Kern/Schumann 1970, der zufolge die Hochtechnologie einige wenige Gewinner und ein Heer von Dequalifizierten hervorbringen werde). – Harry Braverman (1977) konnte vom Standpunkt des Handwerks nur Verluste konstatieren. Richard Edwards sah »Arbeitsmuster und Tempo« gänzlich durchs Programm vorbestimmt, so dass von Qualifikation oder Spielräumen keine Rede sein könne (1981, 136).

Basierend auf einer umfassenden Übersicht über Theorien über Automationsarbeit (1978a) machte das Projekt Automation und Qualifikation (PAQ) die Veränderung der Arbeitstätigkeiten in der »elektronisch-automatischen Produktionsweise« (Haug 1985, 94f), deren Siegeszug schließlich im »transnationalen Hightech-Kapitalismus« (2003, 41) münden sollte, zu einer Leitfrage seiner empirischen Untersuchungen. Die Entwicklung der Arbeit wird auf die Entwicklungsmöglichkeiten für die Arbeitenden hin als widersprüchlicher Prozess untersucht. Das besondere Interesse des PAQ gilt dem Widerspruch zunehmender Kompetenz an Hightech-Anlagen und der Fesselung des Gebrauchswertdenkens und des Handelns durchs Verwertungsinteresse. »Die häufig beschworene Gleichgültigkeit der Lohnarbeit [...] wird zum Problem, je mehr der Arbeiter nicht bloß als Kraft gebraucht wird, sondern als Schöpfer der Dinge, d.h., je mehr er selbst das Produkt, seine besonderen Eigenarten und den Ablauf des Produktionsprozesses qualitativ beeinflussen kann und muss, je mehr er also als Mensch gefordert ist.« (PAQ 1981, 415) Die Entwicklung der Arbeitstätigkeiten wird als Frage der Persönlichkeitsentwicklung historisch untersucht (1978b) mit dem Ziel, einen Maßstab zu gewinnen für ein Zueinander von knA und Verausgabung von Arbeitskraft als solcher, der in Arbeiterbewegungskämpfen – etwa um die ›Humanisierung der Arbeit‹ – einen Kompass bilden soll. Der Weg geht durch die Analyse der Geschichte der Arbeit und ihrer Entfremdung in Wechselwirkung mit der Entwicklung der Produktivkräfte bis zum Hightech-Kapitalismus in der Perspektive der Wiederaneignung der knA durch das Kollektiv der Arbeitenden.

Angesichts der rasanten Entwicklung der Produktivkräfte, die mit »hochtechnologischer Arbeitslosigkeit« (Haug 2006, 172ff, bes. 229, Fn. 148) einhergeht, wirken die Untersuchungen des PAQ wie ein uneingelöstes Versprechen möglicher Humanität. In Begriffen wie »Beschäftigungsfähigkeit« (Hartz 2001, 10) sind die Fähigkeit zu knA und die abstrakt menschliche Arbeit auf Abruf zusammengeschweißt zu einer Aufgabe für die Einzelnen, sich dienstbereit zu halten. Der Qualifikationsbegriff heißt Flexibilität und liegt in der Selbstverantwortung, sein Leben so auszurichten, dass man zu jeder Zeit, an jedem Ort und auf jede Dauer einsetzbar wird wie eine Maschine. Der »Job« ist die Form, in der Arbeit unaufhörlich im Umbruch ist, die Einzelnen sich permanent neu zu erfinden und ›Unternehmer ihrer selbst‹ zu sein haben. Nach dieser Seite bleibt die Verklammerung der knA mit der abstrakt menschlichen Arbeit auf eine Weise gültig, dass sich glücklich schätzen kann, wer zahlende Nachfrage findet für eine ihm bis gestern noch unbekannte Form von knA.

2.2 Der Ausdruck knA löste und löst sich in vielen Diskussionen immer wieder ab von seiner analytischen Bestimmtheit und wird als moralisch-wertende Kategorie verstanden. Das liegt nahe, wenn ›nützlich‹ vom Standpunkt einer anvisierten solidarischen und ökologisch nachhaltigen Vergesellschaftungsweise verstanden wird. Soll die Produktion von ›schädlichen‹ Dingen – etwa Waffen oder umweltschädliche Produkte – überhaupt als ›nützlich‹ bezeichnet werden? – In den Flüchtlingsgesprächen lässt Brecht von einem Kriegsgegner berichten, der beruflich Giftgas hergestellt hat. »Er ist privat ein Pazifist gewesen und hat vor der pazifistischen Jugend Vorträge gegen den Wahnsinn des Kriegs gehalten«. Er war der Auffassung, dass er mit der Verwendung seines Produkts nichts zu tun habe. Brecht überführt die spontane Haltung, die dem Produzenten von Militärgütern keinen »privaten« Pazifismus zubilligen will, als undurchdacht. »Wir haben genau gewusst, dass wir für den Krieg arbeiten, indem wir überhaupt arbeiten. Denn wenn die Fahrräder, die an und für sich unschuldige Gegenständ sind, nicht über die Grenzen gehn können, weil die Märkte besetzt sind, dann gehn eines schönen Tags die Tanks über die Grenzen [...]. Die Barbarei kommt schon von der Barbarei, indem der Krieg von der Wirtschaft kommt.« (GW 14, 1430f)

2.3 Von einigen feministischen Theoretikerinnen wurde die marxsche Arbeitswertanalyse verworfen mit der Begründung, sie basiere auf der Verdrängung der von Frauen unentgeltlich, also nicht in der Lohnform geleisteten knA im Haushalt. Ohne sich wirklich auf marxsche Analyse produktiver Arbeit als bestimmt durch die Anerkennung des Kapitals als mehrwertschaffende Arbeit und also als »Pech« für die Arbeiter zu beziehen, wird um die Anerkennung der Hausarbeit als produktiv gestritten (zusammenfassend Pohl 1984). Claudia v.Werlhof (1978) etwa hält die Wertformanalyse gerade wegen ihres Aufweises des Doppelcharakters der Arbeit für einen Fehler, weil auf diese Weise nur Lohnarbeit in die Gesellschaftsanalyse Eingang finde, nicht aber alle knA und v.a. nicht die unbezahlte der Frauen. Damit werde Frauenunterdrückung als »blinder Fleck« der Gesamtanalyse reproduziert. Christel Neusüss (1985) dehnt den Begriff der knA auf Schwangerschaft und Geburt aus und verurteilt die Vorstellung vom Doppelcharakter der Arbeit, weil dies bedeute, Frauen brächten ihre Kinder als Ware (Arbeitskraft) zur Welt. Obwohl beide das Nützliche an der Arbeit noch einmal unterstreichen und die Indienstnahme für Profitzwecke, also den Zugriff auf die abstrakt-menschliche Seite als allgemeines Prinzip von Gesellschaftsregelung mit Frauenunterdrückung zusammenbringen, zielt ihre Kritik faktisch auf eine Integration weiblicher Reproduktionstätigkeiten in die Lohnarbeit. Die ›alltags-metaphysische‹ Konzentration aufs Konkret-Nützliche, als wäre dies eine feststehende und positive Größe, versäumt es, die Stärke der Marxschen Theorie, wo sie auf die Verausgabung von Arbeitskraft blickt, für die Frauenfrage so nutzbar zu machen, dass die Befreiungsperspektive auf eine andere Verausgabung von Kraft und eine andere Nutzung von Zeit orientiert.

2.4 Bezogen auf Lohnarbeit lassen sich bei Marx drei Arten von Nützlichkeit der knA hervorheben: die Gebrauchswertseite, der Nutzen für die Aneignung fremden Gebrauchswerts und die Nützlichkeit für die Verwertung des Kapitals. In der Analyse des Doppelcharakters von Arbeit treten die Bestimmungen ›konkret‹ für die spezifisch ausdifferenzierte Arbeit und ›abstrakt‹ für menschliche Arbeit schlechthin (als gleich geltende) auf. Obwohl also die Formulierung »knA« von Marx weder durchgehend, noch besonders häufig gebraucht wird, noch in ihrem Bestimmungswert erschöpfend ist, hat sich in marxistischer Tradition die Kategorie knA auf eine Weise eingebürgert und eine Festigkeit erlangt, die die nötige Beweglichkeit des Denkens unter verschiedenen Gesichtspunkten und sich ändernden Verhältnissen erschwert. Es ist, als lasse sich mit der Kategorie knA ein festes Wesen bezeichnen, dessen Inhalt ein für alle Male definiert werden könnte und das vorläufig in Gefangenschaft der abstrakt menschlichen Arbeit steckte, der, statt einer von den Produktions- und Austauschverhältnissen determinierten Funktion, ebenfalls ein festes Wesen zuschreibbar wäre. Marx fokussiert auf die Nützlichkeit von Arbeit bis zu dem Punkt, wo der Standpunkt des bürgerlichen Eigennutzes (Bentham) dazu zwingt, auch die Frage des Nützlichen den verschiedenen Standpunkten und historischer Entwicklung zu unterwerfen, also auch aus dem Nützlichen keine Wesenskategorie zu machen.

2.5 Der Umstand, dass abstrakt menschliche Arbeit nur im Kapitalismus eine blind-systemisch regelnde Funktion erhält, wird von einigen so verstanden, als sei das Substrat dieser über den Markt operierenden Funktion inexistent unter anderen gesellschaftlichen Bedingungen. Das lässt sich beobachten an den ›Experten-Antworten‹ auf die Frage studentischer Kapital-Lesender: »Sind abstrakte Arbeit und konkrete Arbeit zwei voneinander getrennte Arbeiten, sind sie zwei Seiten derselben Medaille, oder lässt sich die abstrakte aus der konkreten Arbeit herleiten?« (www.kapital-lesen.de, 30.6.2009) Michael Heinrich antwortet: »Konkrete Arbeit ist die Arbeit, die man beobachten kann.« Damit bleibt er im empiristischen Schein des bloß vorgestellten Konkreten befangen. KnA ist eine begriffliche Abstraktion, die eine der Seiten der doppelt charakterisierten warenproduzierenden Arbeit erfasst. Einen Begriff (eine Abstraktion) aber kann man nicht beobachten. In der sinnlichen Beobachtung der Arbeit sind die beiden Bestimmungen ungeschieden. – Heinrich weiter: »Konkret menschliche Arbeit ist eine Existenzbedingung des Menschen [...], abstrakte Arbeit ist Resultat eines im Tausch stattfindenden Reduktionsprozesses.« Hier verschwindet die Funktion (der systemisch-blinde Bewertungseffekt der Arbeitskraftverausgabung) in einem als tauschabhängig gedachten Sein. Und während die Wertgeltung als Sein gedacht wird, verflüchtigt sich die tatsächliche Verausgabung menschlicher Arbeitskraft im »physiologischen Sinn«, wie Marx sagt (23/61) – »aber«, wendet Heinrich ein, »nur an zwei Stellen, und [...] überwiegend argumentiert [Marx] ohne solche naturalistischen Bezüge.« – »Manche Marxisten«, erklärt Heinrich weiter, »behaupten, abstrakte Arbeit sei ebenfalls etwas von der Gesellschaft Unabhängiges«. Dass es so etwas wie konkrete oder abstrakte Arbeit an sich gebe, kann er als unsinnig zurückweisen. Doch er übersieht, dass der krisenhafte Kapitalprozess nach Naturgesetzen funktioniert und dass das für ihn historisch Spezifische auf Naturtatsachen aufbaut, indem es sie modifiziert und funktionell einspannt.

Sabine Nuss und Ingo Stützle machen in ihrer Antwort die abstrakte Arbeit von der effektiven Nachfrage abhängig: »Bei dem Tisch, der zwar als Ware produziert wurde, sich aber nicht verkauft hat, haben wir nur konkrete Arbeit, keine abstrakte.« (Ebd.) Es entgeht ihnen, dass nicht nur die wertbildende Arbeit ein Realisationsproblem hat, sondern auch die knA, die ebenfalls im Austausch beweisen muss, »ob sie andren nützlich [ist], ihr Produkt daher fremde Bedürfnisse befriedigt« (23/101). Wenn der Tisch zum Ladenhüter wird, verliert auch die Tischlerarbeit, derer seinen Ursprung verdankt, ihre Nützlichkeit, ohne deshalb ungetan zu sein. Den Wert und mit ihm die wertbildende gleiche Arbeit erst a posteriori im Tausch entspringen zu lassen, verwechselt die ›Anerkennung‹ durch den Markt mit dem ›Anzuerkennendem‹ und löscht mit dem »Salto mortale« der Realisation die Werttheorie aus. In positivistischer Manier gilt dann das Noch-Nicht kurzerhand als Nicht und das erst noch zu Realisierende als Nichtsein. Damit verschwindet zugleich die Entwertungsproblematik, die den Agenten der kapitalistischen Produktion so viel Kopfzerbrechen bereitet, wenn der noch nicht in Geld verwandelte Wert teilweise oder gänzlich vernichtet wird.

3. Das Ringen um das Nützliche auf der einen Seite und die Verwertung der verausgabten Arbeitskraft auf der anderen erfährt in der kapitalistischen Gesellschaft eine enorme Zuspitzung, die durch die Entwicklung der Produktivkräfte bis an den Rand der Existenz des Kapitalismus führt. Engels schreibt das Schicksal der nützlichen Arbeit, die er vom Standpunkt einer solidarischen Gesellschaft produktive Arbeit nennt, in die Befreiungsperspektive ein: dass »die produktive Arbeit, statt Mittel der Knechtschaft, Mittel der Befreiung der Menschen wird, indem sie jedem einzelnen die Gelegenheit bietet, seine sämtlichen Fähigkeiten, körperliche wie geistige, nach allen Richtungen hin auszubilden und zu betätigen, und [...] so aus einer Last eine Lust wird« (AD, 20/274).

Wie Engels setzen die russischen Revolutionäre nützliche mit produktiver Arbeit gleich und beschränken in der am 10. Juli 1918 verabschiedeten Verfassung Sowjetrusslands das aktive und passive Wahlrecht auf »alle diejenigen, die ihren Lebensunterhalt aus produktiver und gesellschaftlich nützlicher Arbeit bestreiten, ebenso Personen, die im Haushalt tätig sind, wodurch den ersteren das produktive Arbeiten ermöglicht wird [...], Bauern [...], insofern sie sich keiner Lohnarbeiter zur Erzielung von Gewinn bedienen« – eine Beschränkung, in der Lenin allerdings »kein notwendiges Merkmal des logischen Begriffs der Diktatur [des Proletariats]« sah (LW 28, 254f; zit.n. Luxemburg, GW 4, 356, Fn. 1). Gleichwohl gewann die Klausel praktische Bedeutung – z.B. im Kampf gegen die ›Kulaken‹, die Lohnarbeit einsetzten (vgl. Miedlig 2004, 21, 53). In der Verfassung von 1936 wurde auf politische Ausschlussklauseln verzichtet.

Perspektivisch denkt Marx die Auflösung der interessengetriebenen Verklammerung der knA mit der die Verwertung begründenden abstrakt menschlichen Arbeit. Die Emanzipation der Menschen liegt in der entwickelnden Verausgabung von Kraft zum gemeinschaftlich selbstbestimmten Zweck, dies freilich gemäß der »Ökonomie der Zeit«, von der er einschärft, dass sich »darin [...] schließlich alle Ökonomie auflöst]« (Gr, 42/105). Die Entwicklungsperspektive zielt auf eine Verschiebung des Trennungszusammenhangs von konkret nützlich und abstrakt menschlich in die Form der freien Tätigkeit, in der sowohl die Dimension des Nützlichen eine historische Entwicklung durchgemacht hat, als auch das Gleich-Menschliche der Mitwirkung an der notwendigen Gesamtarbeit selbstbestimmt nach gemeinsamem Zeitplan einzulösen ist statt durch Verallgemeinerung des Werts. Damit eine mögliche nichtantagonistische Ökonomie nicht der »Faulheitskonkurrenz« (4/103) ausgesetzt bleibt, wird eine neue Ökonomie der Zeit im »Reich der Notwendigkeit« auf ihre Weise die gemeinschaftlichen Geschäfte nach der verausgabten Zeit messen und verteilen müssen, dabei indes diesen Notwendigkeitssektor soweit zurückzudrängen bestrebt sein, dass er nurmehr einen geringen Teil der menschlichen Zeit beansprucht. In Marx’ Worten: Jenseits des Reiches der Notwendigkeit »beginnt die menschliche Kraftentwicklung, die sich als Selbstzweck gilt, das wahre Reich der Freiheit, das aber nur auf jenem Reich der Notwendigkeit als seiner Basis aufblühn kann. Die Verkürzung des Arbeitstags ist die Grundbedingung.« (25/828) Das Nützliche der Arbeit bleibt der marxschen Einsicht zufolge immer ein Dienendes, an die Notwendigkeit gekettet. Nützen muss es für die Möglichkeit der Freiheit.

Bibliographie: H.Braverman, Die Arbeit im modernen Produktionsprozess, Frankfurt/M 1977; R.Edwards, Herrschaft im modernen Produktionsprozess, a.d. Engl. v. G.v.Rabenau, Frankfurt/M 1981; P.Hartz, Job Revolution, Frankfurt/M 2001; W.F.Haug, »Die Elemente der neuen Gesellschaft im Übergang zu einer anderen Aggregatform«, in: ders., Pluraler Marxismus, Bd. 1, Berlin/W 1985, 87-119; ders., High-Tech-Kapitalismus. Analysen zu Produktionsweise, Arbeit, Sexualität, Krieg und Hegemonie, Hamburg 2003, 2.A. 2005; ders., Neue Vorlesungen zur Einführung ins »Kapital«, Hamburg 2006; H.Kern u. M.Schumann, Industriearbeit und Arbeiterbewusstsein, Frankfurt/M 1970; J.Locke, Some Considerations on lhe Consequences of the Lowering of Interest (1691), in: Works, London 1977; S.Mallet, Die neue Arbeiterklasse (1963), Neuwied 1972; J.H.Mendner, Technlogische Entwicklung und Arbeitsprozess. Zur reellen Subsumtion der Arbeit unter das Kapital, Frankfurt/M 1975; O.Mickler, E.Dittrich u. U.Neumann, Technik, Arbeitsorganisation und Arbeit. Eine empirische Untersuchung in der automatisierten Produktion, Frankfurt/M 1976; H.-M.Miedlig, Am Rande der Gesellschaft im Frühstalinismus, Stuttgart 2004; Chr.Neusüss, Die Kopfgeburten der Arbeiterbewegung oder die Genossin Rosa Luxemburg bringt alles durcheinander, Hamburg 1985; S.Pohl, Entwicklung und Ursachen der Frauenlohndiskriminierung. Ein feministisch-marxistischer Erklärungsansatz, Frankfurt/M 1984; Projekt Automation und Qualifikation (PAQ), Theorien über Automationsarbeit, Berlin/W 1978a; dass., Entwicklung der Arbeitstätigkeiten und die Methode ihrer Erfassung, Berlin/W 1978b; dass., Automationsarbeit: Empirie 3, Berlin/W 1981; R.Schmiede, »Abstrakte Arbeit und Automation. Zum Verhältnis von Industriesoziologic und Gesellschaftstheorie«, in: Leviathan, 11. Jg., 1983, H. 1, 55-78; C.v.Werlhof, »›Frauenarbeit‹«: Der blinde Fleck in der Kritik der Politischen Ökonomie«, in: Beiträge zur politischen Theorie und Praxis, 1. Jg., 1978, H. 1, 18-32.

Frigga Haug, Wolfgang Fritz Haug

 

→ abstrakte Arbeit, Äquivalentform, Arbeit, Arbeitsprozessdebatte, Arbeitsteilung, Automation, Bedürfnis, Dialektik, disponible Zeit, Doppelcharakter der Arbeit, Durchschnitt, Entfremdung, Faulheit, Feminismus, Form, formelle/reelle Subsumtion, Frauenarbeitspolitik, Gebrauchswert, Geschlechterverhältnisse, Gleichgültigkeit, Hausarbeit, Hausarbeitsdebatte, Historisches/Logisches, Humanisierung der Arbeit, Industrie, Interesse, Job, Kapital (konstantes und variables), Kontrolle, Krise, Markt, Maschine, Produktion, Produktionsverhältnisse, produktive Arbeit, Produktivkräfte, Qualifikationsdebatte, Standpunkt, Tauschwert, Ware, Wert, Wertformanalyse