Das von der Rosa-Luxemburg-Stiftung geförderte Buch «Anders wachsen!» besteht aus zwei Teilen: Teil 1 beschäftigt sich mit der «Krise der Wachstumsgesellschaft». Ulrich Brand, Silke Kleinhückelkotten, Steffen Lange, Stephan Lessenich, H.-Peter Neitzke, Barbara Unmüßig und Markus Wissen haben dazu geschrieben.
Teil 2 zeigt «Wege einer sozialökologischen Transformation» auf. Dazu haben sich Judith Dellheim, Felix Ekardt, Christian Felber, Friderike Habermann, Frigga Haug, Katja Kipping, Niko Paech und Muruchi Poma geäußert.
Unsere Mitarbeiterin und Autorin Judith Dellheim hat mit dem Herausgeber Maximilian Becker ein Gespräch geführt:
Dellheim: Vor einigen Wochen erschien Euer Sammelband «Anders wachsen! Von der Krise der kapitalistischen Wachstumsgesellschaft und Ansätzen einer Transformation». Wie kam es zu dem Buch und wie ist es Euch gelungen, so viele bekannte Autor*innen für Euern Band zu gewinnen?
Becker: Das Buch ist letztlich ein Ergebnis von vielen Jahren erfolgreicher Arbeit von oikos Leipzig. Als Verein an der Universität Leipzig haben wir schon sehr lange Kritik der Wachstumsgesellschaft betrieben. Darüber konnten wir auch mit den «Promis in der Szene» in das Gespräch kommen. Vor knapp einem Jahr entstand dann die Idee für den Sammelband und wir waren sehr froh, dass so viele Autor*innen Interesse an unserem Projekt entwickelt hatten.
Zu Wachstumskritik und Transformation wurde schon viel geschrieben, warum nun also «Anders wachsen!»? Was war das Anliegen der HerausgeberInnen?
Wir möchten mit dem Buch zweierlei erreichen: Zum einen hat die gesamte Debatte um die kapitalistische Krise in den letzten Jahren noch einmal enorm an Dynamik gewonnen. Als Stichwort möchte ich hier die breite Diskussion um die Konzepte der «Externalisierungsgesellschaft» und der «imperialen Lebensweise» nennen. Zudem wurden vermeintliche Lösungsansätze zur Überwindung der multiplen Krise wie beispielsweise die Grüne Ökonomie oder auch die Digitalisierung als Scheinlösungen enttarnt. Unser Ziel war es, den aktuellen Stand dieser Diskussionen systematisch wiederzugeben und dafür verschiedene Akteure, Wissenschafter*innen, Politiker*innen und Aktivist*innen zu Wort kommen lassen.
Wir waren und sind der Ansicht, dass die wachstumskritische Debatte sehr weit ist in der Analyse der Probleme des aktuellen Systems, aber dass die Gegenentwürfe einer alternativen Gesellschaftsordnung bisher zu wenig Beachtung fanden. Dabei gibt es unzählige Ideen und Vorschläge. Wir wollten daher einen Beitrag leisten, dass sich das umkehrt, dass die gesellschaftliche Linke mit positiven Gegenerzählungen in die Offensive kommt und den Menschen stärker als bisher Angebote für eine sozial-ökologische Lebensweise unterbreitet. Wir haben daher aus den vielfältigen vorhandenen Konzepten einige ausgesucht, die uns besonders gut gefallen und ihnen einen Großteil des Buches gewidmet.
Der Band besteht aus 14 Beiträgen von sehr unterschiedlichen Autorinnen und Autoren. Lassen sich trotzdem einige Hauptbotschaften zusammenfassen?
Aus ungefähr 300 Seiten Text Kernbotschaften zu ziehen, ist natürlich eine riesige Herausforderung. Nun, eine Botschaft ist sicherlich, dass das neoliberale Wachstumsparadigma immer weiter an Grenzen stößt und daraus Brüche entstehen, die das Einbringen solidarischer Alternativen ermöglichen. Weiterhin zeigt das Buch, dass eine Vielzahl solcher Alternativen vorhanden ist und dass sie allesamt verschiedene Gruppen des linken Mosaiks ansprechen. Das ist aus unserer Sicht eine absolute Stärke! Eine dritte Botschaft ist mir persönlich besonders wichtig: In dem Band wird deutlich, dass die sozial-ökologische Transformation nicht nationalstaatlich gedacht werden kann, sondern grundsätzlich transnationalen Charakter aufweisen und dabei solidarisch mit allen Menschen, wo immer sie auch leben, sein muss. Gerade in Zeiten, in denen dieses Bewusstsein selbst in Teilen der gesellschaftlichen und politischen Linken infrage gestellt ist, halte ich ein klares Bekenntnis dazu für besonders wichtig.
Warum der Titel «Anders wachsen!»?
Die Diskussion um den Titel war tatsächlich langwierig. Wir haben uns letztlich für «Anders wachsen!» entschieden, weil der Begriff des Wachstums immer noch zu stark mit dem Begriff des Wirtschaftswachstums gleichgesetzt wird. Wir möchten zeigen, dass der Begriff letztlich jedoch vielmehr bedeuten kann, und dass Wachstum an Zwischenmenschlichkeit oder Zeitwohlstand etwas ganz Wichtiges und Wunderbares ist und dass wir daher unbedingt daran arbeiten sollten. Letztlich wollten wir dazu beitragen, den Begriff des Wachstums anders – ja positiver – zu besetzen.
Welche Wünsche habt Ihr mit der Veröffentlichung verknüpft?
Im Vorwort des Buches haben wir etwas geschrieben: «Die sozial-ökologische Transformation wird ein umkämpftes Projekt sein. Wir möchten alle Leser*innen ermutigen, in den Kampf und die Diskussion einzusteigen». Ich denke, das gibt ziemlich gut wieder, was wir mit dem Buch erreichen wollen. Wir würden uns freuen, wenn das Buch in verschiedensten Kreisen Debatten anstößt: Debatten über die verheerenden sozialen und ökologischen Konsequenzen der Wachstumsgesellschaft. Oder darüber, wie der Wandel gestaltet werden kann. Wenn sich durch das Lesen des Buches mehr Menschen mit diesen Fragestellungen beschäftigen und an der Konstruktion einer solidarischen Lebensweise arbeiten, dann wäre das doch eine super Sache.
Und wie sieht die aktuelle Arbeit mit dem Buch für Euch aus?
Aktuell haben wir einige Buchvorstellungen, auf denen genau das passiert, was ich oben noch als Wunsch beschrieben habe. Wir diskutieren mit den Menschen über Wege einer sozial-ökologischen Transformation. Kürzlich war ich bei einer Buchvorstellung mit überwiegend älteren Menschen, die sich mit vielen Fragen, die im Buch gestellt werden, noch nie beschäftigt hatten. Ihre Diskussionsbeiträge waren für mich außerordentlich wertvoll und haben deutlich gemacht, dass es sich lohnt, die Gespräche und Diskussionen zu suchen.
Habt Ihr schon darüber nachgedacht, ob es eine Fortsetzung vom Buchprojekt geben könnte?
Bisher haben wir uns damit noch nicht intensiv beschäftigt, wenngleich die Idee, das Projekt fortzusetzen natürlich attraktiv erscheint. Kürzlich schlug mir eine Freundin vor, dass die beteiligten Autor*innen ihre Beiträge gegenseitig kommentieren könnten. Dies scheint mir ein reizvoller Gedanke zu sein, der sicherlich einige neue spannende Gedanken zutage bringen könnte und auch für die Autor*innen herausfordernd wäre. Dazu werden wir in den kommenden Monaten Gespräche führen und darüber natürlich berichten.
Anders wachsen!
Von der Krise der kapitalistischen Wachstumsgesellschaft und Ansätzen einer Transformation
304 Seiten, oekom verlag München, 2018
ISBN-13: 978-3-96238-031-1