Nachricht | Arbeit / Gewerkschaften - Demokratischer Sozialismus - Rosa-Luxemburg-Stiftung Frank Deppe: 80

Der Marburger Politologe ist der Stiftung vielfältig verbunden. Glückwünsche von Rainer Rilling

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Frank Deppe Foto: Rainer Rilling

In einem Vortrag am Institut für Politikwissenschaften der Universität Marburg über «Die Linke in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland» notierte Frank Deppe 1999: «Im Jahre 1963 hatte ich gerade begonnen, mich selbst als «einen Linken» (ohne familiäre Traditionen) zu definieren» – um jedoch sofort in einer Fußnote klarzustellen: «ich hatte zunächst die Idee, den ganzen Vortrag biographisch anzulegen; immerhin geht es um fast 40 Jahre eigene Aktivitäten in der westdeutschen Linken. Schließlich habe ich aber doch auf diese Überbetonung des ‹subjektiven Faktors› verzichtet.» Nun, weitere Jahrzehnte später, ist Gelegenheit, ihm nachdrücklich zu seinem 80. Geburtstag am 23. September 2021 zu gratulieren!

Nicht nur «Die Linke in der Geschichte» oder die Partei «Die Linke», deren Mitglied er ist, sondern auch die Rosa-Luxemburg-Stiftung haben Anlass genug, ihm für diese Aktivitäten zu danken, die auch in schwierigen Zeiten immer wieder neu Zugänge, Vorschläge und Orientierungen zu grundlegenden Aspekten, Akteuren und Medien des linken Felds der Wissenschaft und Politik und der Entwicklungsbedingungen eines lebenswerten Sozialismus eröffnet haben. 2008 bis 2012 (und dann wieder seit 2020) war Frank Deppe Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der Rosa-Luxemburg-Stiftung, 2012 war er als Mitglied des Vereins aufgenommen worden und bis 2014 auch Mitglied des Vorstands. Seit der Jahrhundertwende hat er auch vielfach auf ihren Tagungen und Konferenzen diskutiert und vorgetragen oder in den Zeitschriften (Utopie kreativ, LuXemburg) der Stiftung publiziert. Nicht vergessen werden darf der unermüdliche Lesekreis des Rosa Luxemburg-Clubs Marburg, den er seit einem Jahrzehnt gemeinsam mit anderen betreut. Und der «revolutionäre Absentismus» (Michael Brie), der ihm zuweilen dazwischenkam!

Doch jenseits dieser organisatorischen Verbindungen sind in erster Linie die intellektuellen und politischen Wirkungen des kritischen Wissenschaftlers und öffentlichem Intellektuellen Frank Deppe zu nennen – aufbauend auf einem transformativen, strategischen, auf praktische Politik bezogenen Wissen. Seine Analysen und Einschätzungen in weit über einem halben Tausend Beiträgen – darunter auch als Redakteur und Beiratsmitglied in «Z» oder als Mitherausgeber des «Sozialismus» und als Opus Magnum die zwischen 1999 und 2010 erschienenen vier Bände in fünf Büchern «Politisches Denken im 20. Jahrhundert», die durch seine Studie zu «Niccolò Machiavelli – Zur Kritik der reinen Politik» (1987) und die Aufsatzsammlung «Fin de Siècle. Am Übergang ins 20. Jahrhundert» (1997) vorbereitet wurden – haben seit Jahrzehnten Gewicht. Sie sind durchgängig angespornt von zeitdiagnostischen Untersuchungen, der marxistischen Kritik des internationalisierten Kapitalismus und gleichsam parallelen Sozialismusperspektiven, die immer durch ein profundes, weit ausgreifendes theoretisches und historisches Wissen unterlegt werden. Beiträge von ihm ohne historische Referenz wären eine merkwürdige Seltenheit.

Er rechnete sich frühzeitig als eingreifender, verbindender Bewegungsintellektueller dem linken Flügel der Arbeiterbewegung und den sozialen Bewegungen von unten zu – und blieb dabei. Was er dachte und tat, war und ist immer auch auf politische Wirkung angelegt: Termine bei Betriebsversammlungen, Treffen mit Betriebsräten, Vertrauensleuten oder Aktivist*innen, Gremien oder Zirkeln der IG Metall, Kampagnen, Seminaren oder diversen gewerkschaftlichen Fest- und Senior*innenreden gehen immer vor. Seit den frühen 70er Jahren bearbeitet er immer neu in der Tradition Wolfgang Abendroths die antagonistischen Widerspruchsfelder, die schon damals in Publikationen wie «Autonomie und Integration» (1979) oder «Einheit und Spaltung der Arbeiterklasse» (1981) als die für ihn zentrale Problematik der Klassenbildung und -politik entwickelt wurde, die immer als «politisches Projekt» behandelt werden müsse. Sie sind wohl der rote Faden seiner Analysen zu sozialen Bewegungen, Gewerkschaften, Klassen und ihren Kämpfen, Intellektuellen, Krisen, Staat, Politik, Demokratie, Weltgeschichte und Weltordnung. Und sie schöpfen auch aus einem linken Wissens- und Politiknetzwerk, einem Medium der Lernorte, Institutionen und Personen von Braunschweig bis Beijing, zu dem er im Lauf von über fünf Jahrzehnten Kontakt gehalten hat. Und gerne vorbeischaut.

Sicher: Für ihn war ein in den 1970er bis 90er Jahren immer deutlicher triumphierender wilder und elender Kapitalismus, in dem «die Reichen einstweilen aufgehört haben, sich zu fürchten» (Eric Hobsbawn 1990) auch eine Zeit historischer Defensive, Schwäche und Niederlage der Linken. Doch für ihn ist das jetzt auch eine Zeit des Durchbruchs zu einer Welt, in der die Vorherrschaft des Westens aus den Fugen geht, mit den Wendepunkten der Vielfachkrise des neoliberalen Klassenprojekts 2008 und der Coronapandemie seit 2020 sich neuartige und ungleiche Entwicklungen ausbreiten und zu hören ist: «Socialism is back again» (Nancy Fraser 2020). Frank würde es vorsichtig bejahen, zurückhaltend. Und sogleich nachfragen: «Welche Art von Sozialismus genau? Was ist neu? Auf welchen Wegen? Welchen Widersprüchen? Welcher Zwischenbilanz?» Seine aktuellen Antworten hat er auf 400 Seiten in ein eigenes Geschenk verpackt. Es heißt sehr schlicht «Sozialismus. Geburt und Aufschwung – Widersprüche und Niedergang – Perspektiven» und wird im Oktober bei VSA erscheinen.

Publikationen von Frank Deppe bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung