Bereits am 25. Februar brachten wir eine erste Dokumentation russischer Antikriegserklärungen. Dieser Artikel wird laufend aktualisiert.
Die Reaktionen der Linken auf den Krieg in der Ukraine wirken im Moment als Stimmengewirr, dabei vor allem für sich genommen kleiner und unbedeutend scheinender Gruppen. Grundsätzlich sind sich aber die Linken in den verschiedenen europäischen Ländern in ihrer Mehrheit in der Ablehnung des Krieges einig. Humanitäre Aktionen sind wahrscheinlich das stärkste Bindeglied dabei. [https://en.connection-ev.org/article:conscientious-objectors-and-deserters-need-support-no-to-war-in-ukraine]
Dr. Lutz Brangsch ist Referent zum Thema «Transformation des Staates» in der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Die größte Gefahr besteht darin, dass sich Menschen an den Krieg gewöhnen, je länger er sich hinzieht. Und dass diese Gewöhnung mit einer Brutalisierung der Diskussionen über die Ursachen des Krieges verbunden ist. Das Spektrum der Meinungen reicht bereits jetzt von streng pazifistischen Aussagen bis hin zu Forderungen nach einer schärfstmöglichen Sanktionspolitik und massiven Waffenlieferungen an die Ukraine sowie der Stärkung der NATO.
So fordert die Ukrainische Pazifistische Bewegung in einem Beitrag vom 27. Februar 2022 zu Verhandlungen auf und verurteilt alle Arten militärischer Aktion. Der Artikel beginnt mit einem Blick auf die Wirklichkeit des Krieges, jenseits der ideologischen Schleier und der geopolitischen Überlegungen. Die allgemeine Verrohung auf beiden Seiten, die innerhalb weniger Stunden begonnen hat, bewegt besonders. Frieden könne nur auf einem gewaltlosen Weg erreicht werden. Daher könnten sie keinen Krieg unterstützen und werden alles tun, um die Ursachen des Krieges zu beseitigen. [https://worldbeyondwar.org/putin-and-zelenskyy-talk-to-each-other/]
Aus einem anderen Blickwinkel versucht Taras Bilous von der ukrainischen Bewegung Socialnyj Ruch auf den Seiten von Spil’ne (Commons) sich und anderen die Situation zu erklären und sein Handeln zu begründen. In einem Brief an die Linke des Westens vom 25. Februar [https://commons.com.ua/uk/letter-western-left-kyiv/] unterzieht er die Positionen eines Teils derselben einer Kritik. Diese richtet sich vor allem gegen einseitige Sichten, die zwar das Agieren der NATO und den Rechtsextremismus in der Ukraine in den Blick nehmen, aber nicht den Rechtsextremismus in den Separatistengebieten, die konservative, nationalistische und autoritäre Politik Putins und die Verstöße seitens Russlands und der Separatisten gegen das Minsker Abkommen. Er schließt mit den Worten:
In Teilen der Linken in an die Ukraine angrenzenden EU-Ländern wird noch radikaler Position bezogen. So trat die kleine linke Partei Razem aus Polen jetzt aus DIEM25 und der Progressiven Internationale aus, da diese sich nach Auffassung der Organisation nicht eindeutig auf eine Anerkennung der Souveränität der Ukraine und eine eindeutige Verurteilung des russischen Überfalls festgelegt hätten. [https://partiarazem.pl/2022/03/konczymy-wspolprace-z-diem25-i-progressive-international/]
In einer Erklärung vom 25. Februar [https://partiarazem.pl/2022/02/stanowisko-razem-ws-napasci-rosji-na-ukraine/] hatte die Partei bereits die Forderungen nach umfangreichen Sanktionen, die allseitige Unterstützung der Ukraine und die Stärkung der NATO in den Mittelpunkt gestellt.
Demgegenüber positioniert sich das Kollektiv der Plattform Lefteast, die dem Krieg nicht weniger ablehnend gegenübersteht, bedeutend differenzierter. [https://lefteast.org/lefteast-condemns-putins-imperial-war-against-ukraine/] Es verurteilt die «kriminelle Aggression» und fordert den Rückzug der Truppen. Weiter heißt es: «Auch wenn wir die Verantwortung der USA, der NATO und ihrer Verbündeten nicht vergessen, ist Russlands politische und wirtschaftliche Elite hier klar der Aggressor.» In Solidarität mit den Völkern der Ukraine, Russlands und der Region überhaupt sagen sie «Nein!» - heute zu Moskau und in der Zukunft zu der falschen Wahl zwischen Moskau und der NATO. In ähnlicher Weise erklärt der Sprecher der Plattform Solidarität aus Serbien Milos Bakovic Jadzic, dass Russland sofort die Kampfhandlungen einstellen und sich aus der Ukraine zurückziehen müsse. Man müsse zur Diplomatie zurückkehren. Dazu gehöre auch, dass die NATO ihren Expansionsprozess stoppen müsse. [https://solidarnost.net/bakovic-jadzic-rusija-da-zaustavi-vojna-dejstva-nato-da-zaustavi-sirenje-na-istok/]
Die Initiative «Stand with Ukraine», bestehend aus verschiedenen ukrainischen NGO, geht einen anderen Weg und versucht die Antikriegsaktionen mit dem Kampf für eine Energiewende zu verbinden. Sie ruft dazu auf, Importe von Öl, Gas und Kohle aus Russland zu boykottieren und gleichzeitig die Energieversorgung auf eine neue Basis zu stellen. [https://www.with-ukraine.org/]
In Russland gehen die Proteste inzwischen weiter. [https://t.me/altleft_org/654] Die Russländische Sozialistischen Bewegung konstatiert am Morgen des 1. März, dass sie offensichtlich nicht zu unterdrücken sind. Die Welle werde zu einem «Tsunami». [https://t.me/rsd_tg/3604] Über den telegram-Kanal verbreitet die Organisation Vorschläge für Aktionen gegen den Krieg. [https://t.me/rsd_tg/3608] Und dies trotz immer stärker werdender Repression. So wird gerade ein Gesetz vorbereitet, dass die Verbreitung von «Falschmeldungen» über den Krieg unter Strafe stellt. Zudem darf der Krieg nicht Krieg und der Angriff nicht Angriff genannt werden.
Unter den Parteien ist es vor allem die bürgerliche Jabloko, in den 1990er Jahren einflussreich, nun aber fast aus der Wahrnehmung verschwunden, die versucht, lautstark gegen den Krieg mobil zu machen. In einer Erklärung bezeichnet sie den Krieg in der Ukraine als ein schwerstes Verbrechen. [https://www.yabloko.ru/reshenija_politicheskogo_komiteta/2022/02/24] Sie fordert ihre Mitglieder auf, an Antikriegsaktionen teilzunehmen [https://www.yabloko.ru/cat-news/2022/02/25-0] und betreibt bereits seit dem 13. Februar eine eigene Unterschriftensammlung. [https://www.yabloko.ru/stop-war]
Die Positionen der Führung der KPRF sind weiter umstritten. Bereits am 26. Februar wurde über einen Runden Tisch von Mitgliedern der KPRF, der Linken Front, der Revolutionären Arbeiterpartei, der Russländischen Sozialistischen Bewegung und der Linkssozialistischen Aktion berichtet. [https://sovross.ru/articles/2235/56062] In einer Resolution verurteilten sie das Eindringen der russischen Truppen in die Ukraine und fordern den sofortigen Abbruch der Aggression. Inzwischen haben sich mehrere Abgeordnete der Duma-Fraktion der KPRF gegen den Krieg und damit gegen ihre Führung gewandt. [https://t.me/rsd_tg/3601] Auslöser war die Unterschrift des Abgeordneten der Moskauer Stadtduma Evgenij Stupin unter einer Antikriegs-Erklärung. Die Parteiführung forderte ihn daraufhin auf «sich zu erklären». Als Unterstützer Stupins werden die Abgeordneten Oleg Smolin, Vjacheslav Marchaev und Michail Matveev genannt.
Neben den Protest tritt nun auch die die Analyse. [https://t.me/kagarlitsky/930] Der unabhängige Politikwissenschaftler Boris Kagarlitzky sieht in dem Angriff auf die Ukraine den Versuch des Kreises um Putin, die in Russland angestauten Probleme mit einem Schlag in den Griff zu bekommen und eigentlich notwendige tiefgehende Reformen zu vermeiden. Es sei nie um die Menschen in den Separatistengebieten oder die russischsprachigen Ukrainer gegangen. Er sieht im Verlauf des Krieges ein Scheitern der Vorstellungen von einem schnellen Sieg, die aus einer völligen Fehleischätzung der ukrainischen Gesellschaft resultierten. Aus seiner Sicht bedeuten der Krieg und sein bisheriger Verlauf den Bankrott der Politik der letzten 30 Jahre. Notwendig seien Reformen in einem Maßstab, der nur mit denen nach der Niederlage Russlands im Krimkrieg (1853-1856) vergleichbar seien. Entweder man komme zu Gesprächen, in deren Rahmen eine Lösung gefunden wird, oder es komme zu einer atomaren Apokalypse, die wohl andere Völker, aber nicht die Russen überleben würden.
Artikel vom 25.2.2022:
Bereits vor dem Einmarsch russischer Truppen hatten linke Organisationen und andere Kriegsgegner*innen in Russland und der Ukraine konsequent die Forderung nach einer friedlichen Lösung der Konflikte in der Region erhoben. Nach dem Überfall wurde der Protest auf vielfältige Weise fortgesetzt. In vielen Städten Russlands fanden Friedensdemonstrationen statt. Die im Netz kursierenden Berichte und die mehr als 1.800 Verhafteten legen nahe, dass die Proteste ein für Russland ungewöhnliches Ausmaß erreichen.
Obwohl Putin meint, dass die Mehrheit seiner Landsleute seinen Kurs mittragen, zeigen auch diese Aktionen, dass diese Zustimmung keinesfalls so sicher ist. Das Land ist gespalten. Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Levada vor dem Krieg zeigt, dass sich das Verhältnis der Befragten zur Ukraine in den letzten Monaten zwar verschlechtert hat, das bedeutet aber auch, dass 43 Prozent sich positiv äußerten. Eine Einbeziehung der Separatistengebiete in die Russische Föderation befürworten nur 25 Prozent. Vor allem die Jüngeren zwischen 18 und 24 Jahren (33 Prozent) fordern eine innerukrainische Lösung der Probleme der Region. Ilya Matveev und Ilya Budraitskis verweisen in ihrer Analyse auf eine andere Befragung, der zufolge 40 Prozent die Anerkennung der Separatistengebiete durch Russland ablehnen.
Die Breite der Ablehnung des Regierungskurses ist deshalb so wichtig, weil die russländische Linke schwach und gespalten ist. Gleiches gilt für die bürgerliche Opposition, deren bekannteste Figur im Westen Alexej Navalny ist. Die Möglichkeiten, den Protest zu artikulieren und zu organisieren sind begrenzt. Facebook und telegram, z.T. youtube spielen als Kommunikationskanäle eine große Rolle, weil sie dem Behördenzugriff weitgehend entzogen sind.
Die konsequentesten Erklärungen kamen in den letzten Stunden aus dem linksradikalen Spektrum. Die anarchistische bzw. trotzkistische Tradition lässt sie konsequent internationalistische Positionen einnehmen. Schon nach der Anerkennung der Separatistengebiete und der Entscheidung der Entsendung von Truppen dorthin erklärte der Linke Block, dass es in derartigen imperialistischen Kriegen keine gute Seite gäbe und verurteilte den Missbrauch des Leidens der Menschen als Instrument der Politik der Oligarchien. Die Russische Föderation sei der Aggressor. Abschließend fordern sie ein Programm zur Wiederherstellung des Donbass, das von den russischen Oligarchen zu finanzieren sei. Auf der Plattform Alternative Linke wird betont, dass nur eine «russlandweite Antikriegs-Mobilisierung» der Krieg stoppen könne. Dieser Aufruf schließt mit dem Satz «Für eine unabhängige Ukraine und ein freies Russland!» In dem gleichen Sinne fordert die Autonome Aktion dazu auf, an Antikriegs-Aktionen teilzunehmen und eine Petition zu unterschreiben, in der die Beendigung des Krieges gefordert und zur Schaffung einer breiten Bewegung in Russland gegen den Krieg aufgerufen wird. Bisher haben schon über 500 Tsd. Menschen diese Petition unterschrieben. In ähnlichem Sinne haben 5.000 Studierende einen Brief an den Präsidenten unterschrieben, in dem sie einen Abbruch des Krieges in der Ukraine fordern.
Die Russländische sozialistische Bewegung stellt neben den Protest gegen den Krieg und die Forderung nach sofortigem Abzug der Truppen aus der Ukraine den Versuch, die zersplitterte Linke in der Friedensfrage zu einen. In einem Aufruf richtet sich diese Bewegung an die Mitglieder der KPRF und ihrer Bündnispartner im Rahmen des «linkspatriotischen» Blockes den Appell, gegen die von der Duma-Fraktion und der Parteiführung verfolgte Politik der Unterstützung der Regierungspolitik und gemeinsam mit anderen Friedenskräften aktiv zu werden. Sie stellt ihnen die Frage, ob sie wirklich wollen, «dass unsere Schwestern und Brüder in den Schützengräben sterben, während die Sjuganovs [der Vorsitzende der KPRF] und Taysaevs [Sekretär des ZK und Stellvertretender Vorsitzender eines Duma-Ausschusses] in ihren bequemen Sesseln in der Staatsduma sitzen?»
Es zeigt sich, dass verschiedene linke Gruppierungen in Russland sich aktiv gegen den Krieg stellen und versuchen eine breite Antikriegsbewegung zu schaffen.