Interview | Geschlechterverhältnisse - Iran - Befreiung von Gewalt Nicht nur Opfer, sondern auch Rebellinnen

Eine intersektionale Perspektive auf Femizide im Iran

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Im Iran werden Femizide als Problem ethnischer Minderheiten dargestellt. Tatsächlich ist Misogynie tief in den Institutionen des Staates verankert. «Ni una menos» (Nicht eine [Frau] weniger) ist eine internationale feministische Grassrootsbewegung gegen Femizide. CC BY-NC-SA 2.0, Foto: aestheticsofcrisis via Flickr

Femizide sind überall auf der Welt eins der hässlichsten Gesichter der Misogynie und eines der gewalttätigsten Unterdrückungsinstrumente des Patriarchats. Durch die Debatte um einen aktuellen Femizid im Iran wird die Notwendigkeit einer intersektionalen Perspektive verdeutlicht. Wer ist die Frau, über dessen Tod wir hier sprechen? Mona Heydari war eine junge Frau aus einer kleinen Stadt im Süden des Iran, in der viele Einwohner*innen der arabischen Minderheit im Land angehören. Sie wurde von ihrem Mann und dessen Bruder ermordet. Die grausamen Bilder ihres Mörders, der mit Monas abgetrenntem Kopf in der Hand durch die Straßen ihrer Stadt lief, kursierten in Windeseile in den sozialen Medien. Sie befeuerten nicht nur sehr viel Wut und Trauer über den Vorfall. Es kam auch zu rassistischen Zuschreibungen misogyner Praktiken, die als ausschließliches Problem marginalisierter Minderheiten inszeniert wurden. Der vom Universalismus der Misogynie ablenkende Rassismus in der Debatte erinnert an Narrative, die wir bereits hierzulande kennen. Darüber, was das für die inner-iranische Debatte über Misogynie und Femizide bedeutet und welche Parallelen wir zu den Debatten in Europa feststellen können, sprachen wir mit der Soziologin und Feministin Fatemeh Karimi. Mit ihr sprechen Bahar Oghalai und Maria Hartmann.

Fatemeh, wie du weißt, ist unsere Anfrage, mit Dir über Femizide zu sprechen, den aktuellen Ereignissen im Iran geschuldet: der Ermordung von Mona Heydari. Kannst du zusammenfassen, was genau passiert ist?

Die Getötete, Mona, war zum Zeitpunkt ihres Todes 17 Jahre alt. Sie wurde im Alter von 12 Jahren gezwungen, ihren Cousin zu heiraten. Es handelte sich dabei offensichtlich um eine Zwangsverheiratung und Kinderehe. Mona bekam kurz nach der Eheschließung ein Kind, das nun drei Jahre alt ist. Offenbar lernte sie auf Instagram einen syrischen Mann kennen, der in der Türkei lebt. Der Mann schmeichelte ihr und Mona verliebte sich in ihn. Anscheinend war sie zu dem Zeitpunkt mit ihrem zweiten Kind schwanger. Sie brach die Schwangerschaft ab und floh in die Türkei, um mit dem besagten Mann zusammen zu sein. Nach sechs Monaten bereute Mona ihre Entscheidung: Sie war enttäuscht von dem Mann und dem Leben mit ihm. Daraufhin kontaktierte ihre Familie und offenbarte ihren Verbleib. Die Familie fuhr zu ihr in die Türkei und versprach, dass ihr bei ihrer Rückkehr nichts geschehen würde. Nachdem Mona mit ihrer Familie in den Iran zurückgekehrt war, wurde sie wenige Tage später von ihrem Ehemann aufs Brutalste ermordet. Das Foto von Monas Ehemann, der mit ihrem abgetrennten Kopf auf dem Stadtplatz steht, verbreitete sich schnell in den Medien. Dabei ist aber wichtig zu erwähnen, dass solche Vorfälle jeden Tag im Iran vorkommen – nur bekommen sie in der Regel sehr wenig bis gar keine mediale Aufmerksamkeit. Warum also bei diesem Fall? Woher kommt diese plötzliche Erregung über Monas Fall während andere Opfer von Femiziden anonym und von der Öffentlichkeit unbeachtet bleiben? Ich halte es für wichtig zu betonen, dass dieser Vorfall kein Einzelfall, sondern in eine lange Reihe von Femiziden im Iran einzuordnen ist.

Danke für die Einschätzung, Fatemeh. Wir kommen gleich nochmal zurück zu den möglichen Gründen für diese scheinbar selektive Aufmerksamkeit, die der Fall erfährt. Aber zunächst die Frage, wie sich deiner Meinung nach der aktuelle Vorfall in die Kontinuität von Misogynie im Iran einfügt?

Femizide hat es bedauerlicherweise im Iran schon immer gegeben. Nicht nur im Iran, sondern auf der ganzen Welt. Selbst in Frankreich wurden im vergangenen Jahr 113 Frauen aus verschiedenen frauenfeindlichen Gründen getötet. In Frankreich, wo einer der vermeintlichen Grundwerte der Gesellschaft die Gleichstellung der Geschlechter sein und das Gesetz diese nachdrücklich verteidigen soll, wo es Hunderte von Institutionen zum Schutz von Frauen gibt, sehen wir, dass Femizide weiterhin stattfinden. Stelle dir nun vor, wie es im Iran aussieht, wo Misogynie und Gewalt gegen Frauen hochgradig institutionalisiert ist. Im Iran hat der Staat keine Gelegenheit ungenutzt gelassen, um Misogynie strukturell zu etablieren. Seit ihrer Machtübernahme hat die Islamische Republik Frauenfeindlichkeit und die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern systematisch in privaten, öffentlichen, politischen, sozialen Sphären institutionalisiert und etabliert. Es gibt nicht nur keine staatlichen Institutionen, die sich für Frauenrechte im Iran einsetzen, die Islamische Republik verteidigt sogar offen sogenannte «Ehrenmorde» und weitere misogyne Praxen. Wenn zum Beispiel ein Mann seine Frau mit einem anderen Mann beim Sex ertappt, gibt es im Iran Gesetze, die ihm das Recht zusprechen, beide zu töten. Und es gibt viele Männer, die dies ohne gesetzliche Strafe oder mit sehr geringen Strafen getan haben. Aufgrund der heutigen Gesetzeslage kann es zudem beispielsweise für einen Vater, der sein Kind tötet, zu sehr geringfügigen Strafen kommen. Auf diese Weise ermutigt und rechtfertigt die Islamische Republik offen den Mord an Frauen. Im Bereich der Kindererziehung wird die Verheiratung von Kindern gerechtfertigt und gefördert. Beschäftigungs- und Einkommenschancen sind selbst für gebildete Frauen in der Gesellschaft deutlich geringer. Dabei haben wir noch nicht über den obligatorischen Hijab und die frauenfeindlichen Familiengesetze gesprochen. Die Islamische Republik fördert und etabliert die zweitklassige Stellung der Frau in allen kulturellen, wirtschaftlichen und rechtlichen Aspekten.

Fatemeh Karimi studierte Soziologie und Frauenstudien in Teheran. Ihr Forschungsinteresse liegt bereits seit ihrem Studium auf dem Leben kurdischer Frauen im Iran und ihren intersektionalen Erfahrungen. Karimi beschäftigte sich lange Zeit wissenschaftlich und aktivistisch mit weiblicher Genitalverstümmelung. Zu diesem Thema publizierte sie bereits auf Farsi. Seit 2013 arbeitet und lebt sie in Paris. In ihrer dort verfassten Dissertation beschäftigt sie sich mit den Guerilla-Kämpferinnen der Komalah-Partei in Iranisch-Kurdistan. Das Buch zu ihrer Dissertation ist erst kürzlich mit dem Titel «Geschlecht und Militanz in Iranisch-Kurdistan» auf Französisch erschienen. Sie leitet das «Kurdistan Human Rights Network».

Würdest du an dieser Stelle noch einmal auf den intersektionalen Aspekt der Diskriminierung im Iran eingehen?

Alle Frauen im Iran sind der Gewalt eines totalitären und patriarchalen Systems ausgesetzt. Trotzdem sind nicht alle Frauen im gleichen Maße von dieser Gewalt betroffen. Wie wir wissen, ist die iranische Gesellschaft eine multikulturelle, multiethnische, mehrsprachige und multireligiöse Gesellschaft. All dies kann bei Gewalt gegen Frauen auf unterschiedlichen Ebenen eine Rolle spielen und diese verstärken. Denken wir an Frauen aus der Mittelschicht in Teheran und in anderen großen Städten, die Schiitinnen und Perserinnen sind. Es ist wahr, dass sie unterdrückt werden, weil sie Frauen sind. Aber weil sie Perserinnen sind und in den zentralen Regionen des Iran leben, unterscheidet sich der Grad der Unterdrückung stark von dem einer Frau, die Kurdin, Belutschin oder Araberin ist und in den benachteiligten Gebieten des Iran lebt. Aus diesem Grund sind Frauen, die ethnischen Minderheiten angehören, stärkeren Repressionen ausgesetzt. Das ist ja auch bei Mona der Fall gewesen. Wenn wir die Gebiete, in denen ethnische Minderheiten leben, mit den zentralen Gebieten des Landes vergleichen, ist der Grad der wirtschaftlichen, politischen und sozialen Benachteiligung viel höher und der Lebensstandard der Frauen dort überhaupt nicht mit dem der Frauen im Zentrum des Landes vergleichbar. Außerdem ist an kleinen Orten abseits des Zentrums, wie der Heimatstadt von Mona, der Druck auf Frauen höher, weil sich alle kennen. Der Diskurs über Ehre und Würde überwiegt dort und der Druck auf Familien ist aufgrund dieser Themen größer als in Großstädten, wo man problemlos anonym und ohne den Druck der ganzen Stadt leben kann. Außerdem gehen viele Morde, die in Großstädten trotz größerer Freiheiten stattfinden, gerade wegen dieser Anonymität viel schneller unter und werden nicht bekannt. Hinzu kommt, dass es in Kurdistan und in den arabischen Regionen des Südiran neben wirtschaftlichen Entbehrungen, kultureller Unterdrückung auch eine massive politische Repression gibt, die sich stark gegen die politischen Aktivitäten und Forderungen der Menschen in der Region richtet. Außerdem sind die meisten Kurd*innen, Belutsch*innen und Araber*innen sowohl Angehörige ethnischer Minderheiten als auch Sunnit*innen. Sie gelten im Iran daher als religiöse Minderheiten und werden auch aus dieser Perspektive vom Staat unterdrückt und benachteiligt. Unter solchen Umständen wird eine kurdische, arabische oder belutschische Frau mehrfach unterdrückt: als Frau und als Angehörige einer ethnischen Minderheit. Die iranische Gesellschaft ist sehr vielfältig und eine vereinfachte und homogenisierende Analyse von Gewalt gegen Frauen ist daher nicht richtig.

Zusätzlich hat sich in den letzten Jahren mit dem Aufkommen des Internets und dem Zugang zu sozialen Medien in großen Teilen der Gesellschaft vieles verändert. Der Zugang zu sozialen Medien verursacht eine immer größer werdende Schere in der Gesellschaft: Auf der einen Seite gibt es viele Benachteiligungen, auf der anderen Seite haben sich die Erwartungen der Frauen durch Bildung und den Zugang zur Außenwelt über das Internet verändert. Viele Frauen haben höhere Erwartungen an ihr Leben und ihr Schicksal als ihre Mütter und Großmütter. Sie wollen heute wirtschaftliche Unabhängigkeit und haben auch für ihr Privatleben andere Vorstellungen. Sie möchten sich verlieben, sie wollen lieben und geliebt werden. Die meisten Frauen begnügen sich nicht mehr mit einer Zwangsheirat, einem Leben ohne Liebe. Das heißt, sie sind in einer Kluft zwischen ihren Erwartungen und ihren tatsächlichen Lebensbedingungen gefangen. Auf der einen Seite machen ihre wirtschaftlichen, sozialen und rechtlichen Voraussetzungen sie sehr abhängig, auf der anderen Seite sind sie nicht mehr in der Lage, ihre Unterdrückung einfach hinzunehmen. Eine junge Frau wie Mona ist nicht länger bereit, Unterdrückung zu ertragen und sucht nach Liebe, obwohl sie verheiratet ist und Kinder hat. Diese Frauen sind keine Opfer. Sie werden zwar am Ende geopfert, aber das sind Frauen, die ihr Schicksal so, wie es ihnen aufgezwungen wurde, nicht akzeptieren wollen. Das sind Frauen, die sich dem patriarchalen System widersetzen, das sie in jeder Hinsicht unterdrückt. Leider wird aber dieser Mut allzu oft nicht gesehen. Was Mona getan hat, erfordert viel Mut, und es ist sehr wichtig, dass wir uns hier auf ihre Rebellion gegen patriarchale Strukturen konzentrieren und nicht nur auf ihre Opferrolle.

Bahar Oghalai ist Sozialwissenschaftlerin mit Fokus auf Intersektionen von Rassismuskritik und Feminismus. Sie promoviert zu Politisierungsbiographien diasporischer Feminist*innen aus dem Iran und der Türkei in Deutschland. 

Maria Hartmann forscht, arbeitet und engagiert sich politisch zu Fragen von transnationaler Solidarität und Diaspora-Aktivismus im Kontext der neuen emanzipatorischen Bewegungen in Westasien/ Nordafrika.

Wie wird dieser Vorfall und sein frauenfeindlicher Charakter einerseits aus feministischer Perspektive, andererseits in der iranischen Gesellschaft insgesamt diskutiert? Welche Rolle spielt dabei der Diskurs über «Ehrenmorde»?

Das bemerkenswerte Problem hier ist, dass in den zentralen Regionen des Iran viel mehr über Menschenrechtsfragen und politische Inhaftierte gesprochen wird, während politische Repression in benachteiligten Gebieten viel weniger verbreitet und öffentlich gemacht wird. Natürlich ist es wichtig, sich überall gegen jede Form von Gewalt und Repression stark zu machen. Trotzdem ist der Grad dieses Einsatzes für verschiedene Gruppen des Landes sehr unterschiedlich. In einer solchen Situation, in der solche Nachrichten aus diesen Gebieten häufig ignoriert werden, wird im Fall von «Ehrenmorden» oder Gewalt gegen Frauen als erstes betont, dass diese bei ethnischen Minderheiten vorkommen. Das war auch bei Mona der Fall. Es ist doch interessant, sich zu fragen, woher diese selektive Aufmerksamkeit kommt. Diese Doppelmoral in der Berichterstattung ist fatal. In dem so entstehenden Diskurs wird die Frage des Femizids auf ein kulturelles Problem ethnischer Minderheiten reduziert, während Fälle von Femiziden im Zentraliran viel weniger diskutiert werden und die Opfer anonym bleiben. Darüber hinaus gibt es in Iranisch-Kurdistan viele kurdische Menschenrechtsorganisationen, die Statistiken zu Tötungsdelikten und Gewalt gegen Frauen im Allgemeinen erstellen. Das Vorhandensein dieser Statistiken bedeutet jedoch nicht, dass es in anderen Teilen des Landes keine Morde gibt, und dieses Problem spezifisch für Kurdistan oder andere Minderheitengebiete des Landes ist. In einem Land, in dem Misogynie so stark institutionalisiert ist, können Femizide nicht nur in Kurdistan, Belutschistan oder den arabischen Regionen stattfinden. Es ist schon so weit gekommen, dass sich plötzlich einige kurdische Aktivist*innen aus diesem Grund gegen die Veröffentlichung von Fällen von Gewalt gegen Frauen in Kurdistan aussprechen. Sie argumentieren, dass die Veröffentlichung solcher Statistiken aus ihrer Perspektive die Klischees gegen kurdische Männer als gewalttätig und kurdische Frauen als schwach bestätigen würden.

Bedauerlich ist auch, dass eine große Zahl politischer Aktivist*innen, insbesondere feministische Aktivist*innen im Iran selbst und auch aus der Diaspora, diese Stereotype reproduzieren. Wenn sie über Femizide sprechen oder sie analysieren wollen, sprechen sie davon, dass diese in den «Stammeskulturen» zu finden seien. Eine Kritik am patriarchalen System an sich und Einwände gegen die Islamische Republik bei der Institutionalisierung von Misogynie haben in diesem analytischen Ansatz entweder keinen Platz oder werden an zweiter oder dritter Stelle erwähnt.

Ein weiteres Problem ist, dass viele Feminist*innen häufig den Begriff «Ehrenmord» verwenden, ohne eine spezifische Definition davon zu haben. Das bedeutet, dass jeder in Kurdistan begangene Mord, insbesondere wenn das Opfer eine Frau ist, als «Ehrenmord» gilt. Femizide haben jedoch viele verschiedene Gründe. Das Konzept des «Ehrenmordes» trifft zu, wenn eine Frau getötet wird, weil sie die Gefängnismauern ablehnt, die von einer patriarchalen Gesellschaft, insbesondere im Bereich der Sexualität, errichtet werden. Das betrifft zum Beispiel außereheliche Affären in jeder Form, vor und nach der Ehe und so weiter. Wenn eine Familie glaubt, dass sie ihre Ehre deshalb verloren hat und der einzige Weg, diese wiederzuerlangen, darin besteht, die vermeintlich schuldige Frau zu töten, kann dies als «Ehrenmord» bezeichnet werden. Viele Frauen werden im Kampf um ihre Rechte getötet: für das Recht auf Bildung, das Recht auf Arbeit, das Recht auf freie Meinungsäußerung, das Recht auf Sicherheit und die Gesundheit von Leib und Seele. Solche Morde sind Femizide, aber keine «Ehrenmorde». Das Wort «Ehrenmord» in allen Fällen von Femiziden zu erwähnen und diese auf eine Kultur zu beschränken, vertuscht die abscheulichen Dimensionen von Misogynie und stellt die Subjektivität von Frauen infrage.

Welche Ähnlichkeiten zu rassistischen Argumentationsmustern siehst du in der Art und Weise, wie diese Themen in Europa diskutiert werden?

Meiner Meinung nach lässt sich das, was ich gerade beschrieben habe, sehr gut mit dem Ansatz vieler europäischer weißer Feminist*innen vergleichen: Es sind meist rechte europäische Feminist*innen, die im Einklang mit der Antimigrations- und antimuslimischen Politik ihrer Regierungen und gegen andere benachteiligte Gruppen arbeiten. Anstatt die Misogynie mit dem globalen patriarchalen System in Verbindung zu bringen und die regionale Intensität seines Vorkommens auf tieferliegende politische und ökonomische Ursachen zu prüfen, bezieht diese Gruppe der Feminist*innen in Europa Gewalt gegen Frauen auf Muslim*innen und ihre Kultur. Genau dieser Ansatz lässt sich leider bei einigen iranischen Feminist*innen, die auch der Opposition angehören, beobachten. In einer Gesellschaft, in der der Staat grundsätzlich antifeministisch ist, so viele Menschen unterdrückt und diese Unterdrückung speziell und in verschiedenen Formen auf ethnische Minderheiten anwendet, bringen solche Feminist*innen Femizide nicht mit dem misogynen Staat, seinen Institutionen und Strukturen in Verbindung. Sie reduzieren Gewalt gegen Frauen auch auf die Kultur einer Region oder einer ethnischen Minderheit. Das ist sehr traurig, weil solche Analysen immer im Interesse der Islamischen Republik sein werden. Denn wenn Femizide der Kultur von Minderheiten zugeschrieben werden, und das auch von der Opposition, wird die Verantwortung von der Islamischen Republik abgezogen und den Unterdrückten und Benachteiligten aufgebürdet. Auf diese Weise sieht der Staat keine Notwendigkeit, systematisch gegen Gewalt gegen Frauen, einschließlich Femizide, vorzugehen. Natürlich darf hier dennoch bei allen Gemeinsamkeiten die unterschiedliche Situation der Frauen in Europa, die deutlich besser ist, nicht außer Acht gelassen werden.

Wie sollte deiner Meinung nach die Debatte über Femizide gestaltet werden? Was ist zu beachten?

Zunächst einmal würde ich gerne ein paar Worte zu meiner eigenen Position in dieser Debatte sagen: Für Feminist*innen, die selbst ethnischen Minderheiten angehören, ist es sehr schwierig, zu diesem Thema Stellung zu beziehen. Jegliche Kritik unsererseits an solchen rassistischen Analysen und Ansätzen wird als das Ignorieren der Probleme der Frauen in der kurdischen Gesellschaft und als Nationalismus bezeichnet. Es gibt außerdem innerhalb der kurdischen Gesellschaft den Einwand gegen viele kurdische Feminist*innen, mich eingeschlossen, wir würden dazu beitragen, rassistische Stereotype über Kurd*innen zu reproduzieren und zu weiterer Diskriminierung beitragen, wenn wir über Gewalt gegen Frauen in kurdischen Gesellschaften sprechen. Dabei bildet es für mich keinen Widerspruch, die Gewalt gegen Frauen in der kurdischen Gesellschaft zu kritisieren, und Kurd*innen gleichzeitig zu verteidigen, wenn sie unterdrückt werden.

Ich glaube jedoch, dass der einzige Weg, Unterdrückung und Gewalt zu widerstehen, darin besteht, immer und in jeder Situation zu kritisieren und zu protestieren. Aus diesem Grund wird eine Analyse misogyner Gewalt ohne eine gleichzeitige Auseinandersetzung mit anderen Unterdrückungsformen nur begrenzt wirkmächtig sein.

Gerade deshalb ist es so wichtig, dieses Thema systematisch anzugehen und die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen, die Gewalt gegen Frauen befördern, zu berücksichtigen. Es ist elementar bei Femiziden, dass wir die Rolle eines Staates wie der Islamischen Republik reflektieren, statt das Thema zu kulturalisieren. Darüber hinaus wissen wir, dass es immer ein essentialistischer Akt ist, über die Kultur einer Gesellschaft oder einer Gruppe in der Gesellschaft zu sprechen und gewalttätige Praxen und Strukturen auf ihre Kultur zu beschränken. Solch eine Herangehensweise ignoriert die Möglichkeiten und Chancen für Veränderung ebenso wie die Verantwortung für Veränderungen.