Die Verhandlungen zwischen Athen und der Euro-Gruppe bestimmen seit Wochen die Schlagzeilen. Nicht nur die Finanzmarktakteure wurden in Atem gehalten. Jetzt – genauer: am 20. Februar - kam es erstmals zu einer vorläufigen Einigung. Im Vorfeld dieses Treffens gab es europaweit viele lokale Solidaritätsaktionen für die Regierungsmitglieder mit dem SYRIZA-Mandat, einige davon in Deutschland. Dennoch: Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel und EU-Kommissar Günther Oettinger, von dessen Griechenland-Äußerungen sich sogar EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker distanzierte, hatten wenig Gegenwind – sie konnten «einfach machen». Dabei übertraf ihre Verhandlungsunwilligkeit sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel.
In Deutschland gab es keinen in der Gesellschaft hörbaren linken Aufschrei «so nicht!» als der Antrag aus Athen auf dringend erforderliche Kredite regierungsoffiziell mit «nicht ausreichend» kommentiert wurde. So sollte das Verhandlungsergebnis vom Freitag nicht überraschen. Die Hardliner in Deutschland, Österreich, Finnland und in den Niederlanden ignorierten die Bereitschaft von Zugeständnissen aus der Europäischen Kommission und aus dem IWF. Und so lief die Regierung in Athen Gefahr, zahlungsunfähig zu werden. Die benötigte letzte Rate von gut sieben Milliarden Euro aus dem laufenden «Hilfsprogramm» und 460 Millionen griechische Zinszahlungen müssen bis Ende Februar getätigt sein. Drei Viertel dieser «Hilfen» gingen an den Finanzsektor und davon mehr als die Hälfte an die Gläubiger[1]. Insbesondere die deutsche Regierung machte seit Ausbruch der «Euro-Krise» ordentliche Zinsgewinne. Aber: Drei Viertel der Deutschen sollen gegen Zugeständnisse gegenüber der Regierung in Athen sein. Massive, zusätzlich von der EZB provozierte Geldabflüsse aus den Banken erhöhten noch deren Druck.
Nun sagte am Tag nach der Eurogruppen-Verhandlung Alexis Tsipras, dass man ein «wichtiges und erfolgreiches Ergebnis» erreicht habe, aber aus dem Zentralkomitee von SYRIZA werden Forderungen nach Rücktritt der Regierung erhoben. Wie die Mainstream-Medien in Deutschland sehen die entnervten und erzürnten Genossinnen und Genossen das zentrale Wahlversprechen gebrochen: man würde aus dem Troika-Diktat und der Austeritätspolitik aussteigen. Das ist nachvollziehbar. Die Genossinnen und Genossen sehen in Tsipras‘ Satz «Gestern haben wir einen entscheidenden Schritt getan, um die Austerität, die Memoranden und Troika zurück zu lassen», eine Unwahrheit. Sie verweisen wie die deutschen Mainstream-Medien auf den lediglich formelhaften Austausch des Wortes «Troika» durch «Institutionen». Manolis Glezos, die Symbolgestalt der griechischen Linken, entschuldigte sich am Sonntag bei den griechischen Menschen dafür, die Illusion einer Anti-Austeritätspolitik mit Syriza in der Regierung gemehrt zu haben. Er rief die Mitglieder seiner Partei und die mit ihr Sympathisierenden auf, das «wichtige und erfolgreiche Ergebnis» nicht zu akzeptieren. Auch das ist nachvollziehbar und verlangt Respekt. Glozos‘ Warnung «Bevor es zu spät ist» ist keineswegs als Panik eines von Alpträumen geplagten alten Mannes abzutun, denn zwei zusammengehörende Gefahren sind leider sehr wohl begründet: SYRIZA verliert seine radikal Linken und damit politische Handlungsfähigkeit. Die enttäuschten Menschen wenden sich Golden Dawn und Co. zu (50% der Polizisten haben Golden Dawn gewählt und es gibt Netzwerke von extrem Rechten in der Polizei. Da ist ein solches Schreckensszenario kein Hirngespinst).
Man kann dennoch die Dokumente auch anders lesen. Allerdings macht das nur Sinn, wenn die Linken und andere sozial Orientierte der verschiedensten politischen Lager in der EU und vor allem in Deutschland bereit und fähig wären, mit SYRIZA solidarisch zu sein – politikwirksam solidarisch zu sein. Das setzt voraus, mit dem Politikwechsel der Linken und der LINKEN zu beginnen, denn die Interpretation der Formulierungen der Eurogruppen-Stellungnahme können und sollten als Angelegenheit der gesellschaftspolitischen Kräfteverhältnisse gelesen werden. Das betrifft insbesondere die folgenden aus der Vereinbarung zitierten Passagen (eigene Übersetzung):
- «Diese Verlängerung (des Master Financial Assistant Facility Agreement[2] - J.D.) wird die Zeit für Diskussionen über ein mögliches Folge-Arrangement zwischen der Eurogruppe, den Institutionen und Griechenland überbrücken.» Die Vereinbarung könnte demnach den sozialen Herausforderungen besser entsprechen.
- «Die griechischen Autoritäten haben ihre starke Zusage zu einem breiteren und tieferen Strukturreformprozess, der auf solide Vervollkommnung der Wachstums- und Beschäftigungsperspektiven zielt, die Stabilität und Elastizität des Finanzsektors sichert und soziale Fairness erhöht, gegeben.» Dies könnte man auch so deuten: Die Stabilität und Elastizität des Finanzsektors könnte mit Bekämpfung von Steuerflucht und Steuerhinterziehung, mit Umverteilung von oben nach unten verbessert werden. Der Stellenwert des Sozialen in der Politik könnte wachsen.
- Der Satz nach «… Fairness erhöht» lautet dann auch: «Die Autoritäten verpflichten sich, die lange überfälligen Reformen zur Bekämpfung von Korruption und Steuerhinterziehung und zur Verbesserung der Effektivität des öffentlichen Sektors umzusetzen.» Die «Effektivität des öffentlichen Sektors» könnte an der Verbesserung von sozialen und anderen öffentlichen Leistungen gemessen werden.
- «Die Institutionen werden für die Zielstellung des primären Überschusses 2015 (zur Realisierung der ‹Schuldennachhaltigkeit› gemäß Regelung vom November 2012, d.h. kurzfristig müssen 4 Milliarden Schulden bedient werden – J.D.) die wirtschaftlichen Umstände 2015 berücksichtigen.» Mit «berücksichtigen» könnte durchaus Vernünftiges verstanden werden.
- «Wir laden die Institutionen und die griechischen Autoritäten ein, sofort die Arbeit, die einen erfolgreichen Abschluss der Überprüfung (der Bedingung für die Ausreichung der Finanzierung an die griechische Regierung; die Anschlussfinanzierung muss zum 1.3.2015 geregelt sein – J.D.) erlauben würde, fortzusetzen.» Mit «erfolgreich» könnte eine stärkere Berücksichtigung der griechischen Interessen gemeint sein.
Für die Umsetzung des Konjunktives in den Indikativ gibt es zwei Grundbedingungen: Die Mobilisierung der Mitglieder wie der Unterstützerinnen und Unterstützer von SYRIZA in Griechenland und die Mobilisierung der Linken in der Europäischen Union, insbesondere in Deutschland (siehe dazu auch die Erklärung von Gabi Zimmer[3]). Je nach dem, wie diese Passagen gelesen werden, könnte die Aussage in Tsipras‘ Erklärung vom 21.2.2015 durchaus Sinn machen: «Gestern war nicht das Ende der Verhandlungen. Wir werden in ein neues, wesentlicheres Stadium unserer Verhandlungen eintreten, um eine endgültige Vereinbarung zum Wandel weg von der katastrophalen Politik der Memoranden hin zu einer Politik, die auf Entwicklung, Beschäftigung und soziale Kohäsion zielt, zu bekommen. … Gemeinsam mit der Unterstützung der griechischen Menschen, die der ultimative Richter über unsere Aktionen sein werden. Als UnterstützerInnen und aktive TeilnehmerInnen werden die griechischen Menschen uns bei unseren Bemühungen, einen Politikwechsel herbeizuführen», unterstützen.
Was nun die Linken in der EU und insbesondere in Deutschland anbelangt, so geht es insbesondere um dreierlei: Erstens, den «eigenen» Regierenden und Kommissaren deutlich machen, dass man ihre Politik gegenüber Griechenland nicht weiter hinnimmt; zweitens eine Klärung der deutschen Reparationen nachhaltig fordern; drittens «die eigenen Losungen ernst nehmen» (Brangsch[4]). Die Aufzählung ist nicht als Rangfolge gemeint.
Etwas ausführlicher: die offiziellen deutschen Diffamierungen, Drohungen und Provokationen, um die Wahl von Syriza zu verhindern, waren würdelos. Die Drohungen und Provokationen wurden selbst am Wahltag und in der Nacht danach fortgesetzt. Am 4. Februar 2015 erklärte die EZB, ab 11. Februar 2015 griechische Staatsanleihen nicht mehr als Sicherheiten für griechische Banken, die frisches EZB-Geld begehren, anzuerkennen. Das kam überraschend und nötigte die Regierung zu Notfall-Liquiditätshilfen für Banken. Vor allem verschlechterte dies die griechische Verhandlungsposition gegenüber der Troika und anderen Institutionen.
Was die Haltung Deutschlands betrifft sollte daran erinnert werden, dass 1945 die Pariser Reparationskonferenz befunden hatte, dass Griechenland Anspruch auf Reparationen für seine Verluste während der Nazi-Okkupation hätte. Gezahlt wurde eine lächerliche Summe. Aber hinzu kämen ca. 10 Mrd. Euro, die Nazideutschland für den Unterhalt des Rommel-Afrika-Korps zu zahlen gehabt hätte.
Das Mindeste und doch sehr viel, wofür die Linken in Deutschland und in der EU in Solidarität mit ihren Genossinnen und Genossen, ihren Freundinnen und Freunden, ihren Kolleginnen und Kollegen eintreten sollten, wäre: Schuldenerlass und Schluss mit der Nötigung zu Deregulierungen und Privatisierungen wie zur Absenkung sozialer Standards, zu Extraktivismus und zu einer «Sicherheitspolitik», die Menschenrechte verletzt, Ressourcen verschlingt und neue Unsicherheiten schafft.
Damit würden sie zugleich ihre eigenen Forderungen und Positionen vertreten, den eigenen Losungen entsprechen.
Schon vor der Wahl vom 25.1.2015 wurde vonseiten SYRIZAs bzw. u. a. beim Blockupy- Treffen im November vonseiten des Poulantzas-Instituts der Vorschlag geäußert, ein internationales Netzwerk für einen Politikwechsel in der Europäischen Union und in Europa zu schaffen. Dazu sollte man in Griechenland zusammenkommen, sowohl zur Unterstützung von Syriza als auch im eigenen und im gemeinsamen Interesse.
[1] http://www.arte.tv/de/attac-bericht-eu-politik-rettet-banken-nicht-die-griechen/7558700.html; http://www.attac.de/neuigkeiten/detailansicht/news/griechenland-rettung-77-prozent-flossen-in-finanzsektor/?no_cache=1&cHash=4b23d2b873e54968abb932ec7f8b41ef
[2] Vereinbarung zur technischen Realisierung von Finanztransfer im Rahmen der Euro-Rettungsinstrumente
[3] http://www.gabizimmer.eu/unversoehnliche-haltung-der-eurogruppe-geht-an-realitaet-in-griechenland-vorbei/