Nachricht | Kultur / Medien - Bildungspolitik - Erik-Neutsch-Stiftung Wettbewerb für junge AutorInnen

Für junge ErzählerInnen mit literarischem Anspruch schreibt die Erik-Neutsch-Stiftung anlässlich des 80. Geburtstages des Stifters einen Preis aus. Evelin Wittich zum Lebenswerk von Neutsch. Einsendeschluss verlängert!

Information

Autorin

Evelin Wittich,

Der Einsendeschluss, der am 21. Juni 2012 enden sollte, wird bis Ende Juni verlängert. Voraussichtlich im Dezember werden die Preise in Berlin übergeben.

Teilnahmeberechtigt sind deutschsprachig Schreibende, die im Jahr 2011 das 30. Lebensjahr noch nicht vollendet haben.

Gewertet werden Manuskripte,

  • die literarisch gestaltet von Menschenschicksalen in sozialen Prozessen um die Jahrtausendwende (etwa 1990 bis 2010) erzählen,
  • deren Autorin/Autor für die Urheberschaft seines/ihres Textes garantiert,
  • die bisher unveröffentlicht sind,
  • die etwa 20 bis 50 Druck- oder Schreibmaschinenseiten zu je 30 Zeilen umfassen.

Einzusenden sind die Arbeiten unter dem Kennwort "Junge Erzähler" an die Erik-Neutsch-Stiftung bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Franz-Mehring-Platz 1, 10243, Berlin, Sekretariat Dr. Evelin Wittich.

Beizufügen sind Adresse und Angaben zur Person der Autorin/des Autors. Die Preise verleiht die Erik-Neutsch-Stiftung im Oktober 2012, und zwar

  1. Preis 3000,- €
  2. Preis 2000,- €
  3. Preis 1000,- €

Die Auswahl der auszuzeichnenden Erzählungen trifft der Vorstand der Erik-Neutsch-Stiftung mit berufenen Fachleuten unter Ausschluss des Rechtsweges.

Spur des Lebens

Evelin Wittich zum 80. Geburtstag von Erik Neutsch.

In dem 2010 erschienenen Interviewbuch «Spur des Lebens» gibt es viel zu erfahren über den Schriftsteller, Menschen und Sozialisten Erik Neutsch. Über sein politisches Credo, das in allen seinen Werken erkennbar ist, sagt er dort: „Ich für meinen Teil zog mir oft den Unmut gewisser Funktionäre zu, wenn ich meinte, statt des realen sollte man wieder mal den idealen Sozialismus auf die Fahnen schreiben, dessentwegen ich in die Partei eintrat.“[1]  Die Reduzierung des Sozialismus auf das Wort real empfand er als Ausrede, als halbe Kapitulation. 

Erik Neutsch wurde am 21. Juni 1931 in Schönebeck an der Elbe als Kind in einer sozialdemokratisch geprägten Arbeiterfamilie geboren. Die Erzählungen seines Vaters zum Beispiel über die Verbrüderung mit den Russen 1917 an der Ostfront oder darüber wie es war, wenn gestreikt wurde und er (der Vater) als Angehöriger der Streikführung, dem Großvater als Streikbrecher gegenüber stand,  hinterließen tiefe Spuren bei dem Jungen. Dennoch ließ er sich durch die Nazis verführen und träumte von einem Nibelungenreich in einem Großdeutschland. Der 1943 verstorbene Vater konnte es nicht verhindern. Mit 14 ½ Jahren kam er unter Werwolfverdacht für ein Dreivierteljahr in ein Gefängnis des NKWD aus dem er mit eigenen Worten als ein anderer Mensch herauskam. Er gehört zu der Generation junger Deutscher wie Hermann Kant oder Hans Modrow, die den menschenverachtenden Wahnsinn des Nationalsozialismus' zutiefst begriffen und sich mit ganzer Kraft und Person für ein anderes, ein sozialistisches Deutschland einsetzten und  nach 1989 diesen Anspruch nicht aufgaben.

Neutsch trat 1949 in die FDJ und in die SED ein, studierte von 1950 bis 1953 Gesellschaftswissenschaften, Philosophie und Publizistik an der Universität Leipzig, wo er als Diplom-Journalist abschloss. Über diese Zeit sagt Neutsch: „Ich empfand mich keineswegs nur als Objekt, sondern ganz im Sinne Blochs als Subjekt dieser Umgestaltung, war, zumal zeitweilig auch Instrukteur der Zentralen Parteileitung, kein nur nutznießender Student, sondern sah es auch als mein Werk an, dass zum Ende meines Studiums, in den Monaten April/Mai 1953, die Leipziger Universität den Namen Karl Marx erhielt.“[2]  Anschließend arbeitete er als Kultur- und Wirtschaftsredakteur bei der Bezirkszeitung „Freiheit“ in Halle von 1953 bis 1960. Seine Leidenschaft war und ist das Schreiben – auch über den täglichen Journalismus hinaus. So erschienen Anfang der 60er Jahre seine ersten Erzählungen und 1964 der Roman «Spur der Steine», der mehr als 500.000 mal verkauft wurde. Er sagt über ihn: „Ich erzählte in dem Roman von meiner Klasse wie Thomas Mann von der seinen in den «Buddenbrooks». Balla und Horrath könnten meine Brüder gewesen sein…“[3]  In der «Spur der Steine» setzt er ebenso wie in «Auf der Suche nach Gatt» oder «Der Friede im Osten» moralische Maßstäbe für das solidarische Zusammenleben in einer sozialistischen Gesellschaft, zeigte schonungslos Konflikte in dieser Gesellschaft auf und beschrieb, wie sich die Menschen darin verhielten. Eine Herangehensweise, die nicht immer begeisterte. So wurde der Film zu «Spur der Steine» mit Manfred Krug als Balla 1965 bei einigen seiner ersten Aufführungen in Filmtheatern organisiert ausgebuht, abgesetzt und erst 1990 wieder freigegeben. Dennoch fanden seine Bücher große Resonanz und Neutsch erhielt zwei Mal den Nationalpreis für Kunst und Literatur, den Heinrich-Mann-Preis der Akademie der Künste sowie den Literaturpreis des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes und weitere Ehrungen. 1963 wurde er Mitglied der SED Bezirksleitung in Halle und von 1974 bis 1990 war er Mitglied der Akademie der Künste der DDR.

Neutsch war dem Theater sehr verbunden, schrieb 1971 das Schauspiel «Haut oder Hemd», das am Landestheater Halle Premiere hatte und im gleichen Jahr das Libretto für die Oper «Karin Lenz».  Im Jahr 1974 beginnt er mit dem Romanwerk «Der Friede im Osten», das vor dem historischen Hintergrund der Jahre 1945 bis 1990 den Werdegang seiner Generation, die untrennbar mit der Entwicklung der DDR verbunden war. Vier Bücher sind erschienen und an dem fünften arbeitet er zur Zeit. Die Planung und Realisierung seiner Werke nahm mitunter Jahrzehnte in Anspruch und Neutsch begab sich oft in die Lebensumstände seiner Romanhelden. So arbeitete er zum Beispiel auf dem Bau, ging in die Nationale Volksarmee und war im Elektrochemischen Kombinat Bitterfeld tätig.

Er betrachtet die Autoren Büchner und Forster, die sich für die Interessen der Plebejer einsetzten, als seine literarischen Vorfahren und sein großes Vorbild ist Hemingway. Ihn faszinierten seine Professoren wie Ernst Bloch, Fritz Behrens, Ernst Engelberg, Wieland Herzfelde und andere.               

Jahrzehnte beschäftigte er sich auch mit dem Stoff zu seinem historischen Roman «Nach dem großen Aufstand» über den Maler Mathis Gothardt-Niethardt, der in die Kunstgeschichte als Matthias Grünewald eingegangen ist. Seit 1954 sammelte er Material über ihn und suchte seine Spuren überall im Land, besonders in Halle, wo Grünewald 1528 starb. Im Nachlass Grünewalds finden sich sowohl beeindruckende Kunstwerke wie der «Isenheimer Altar», den man lange für ein Werk Dürers hielt als auch reformatorische Schriften und zwölf Artikel aus dem revolutionären Programm der aufständischen Bauern. Neutsch schreibt fasziniert über diesen Künstler: „Noch nie war ein solcher Jesus am Kreuz dargestellt worden wie auf der ersten Schauseite des «Isenheimer Altars», ein solch geschundener Körper, ein auf den Tod gepeinigter Mensch, ein solch bis aufs Blut gefolterter Plebejer.“[4] Zu Lebzeiten war Grünewald allem Anschein nach genauso bekannt wie Dürer und Cranach dem Älteren. „Offenbar aber hatte er sich während des Bauernkrieges entschiedener als sie ähnlich anderen Bildkünstlern Jörg Ratgeb etwa und Tilmann Riemenschneider, den Aufständischen zugewandt, so dass er nach der Niederschlagung durch die Fürsten von Albrecht, seinen Dienstherrn, entlassen und verfemt wurde.“[5] Leser vergleichen die beiden historischen Ereignisse: das Scheitern der Bauernaufstände in der Frühbürgerlichen Revolution Anfang des 16. Jahrhunderts und den Niedergang des ersten Arbeiter- und Bauern-Staates auf deutschem Boden. Was geschieht mit politisch involvierten Künstlern nach dem Scheitern ihres politischen Projektes? Wie gestaltet sich das Verhältnis von Kunst und Macht? Diesen Fragen geht Neutsch in seinem 2003 erschienenen Buch nach.

Über seinen Anspruch an seine Literatur schreibt Erik Neutsch: „Meine Figuren müssen konkret sein, realitätsbezogen und dazu gehört nun mal ihr gesamtes soziales Umfeld, das durch kaum ein anderes so geprägt wird, wie durch die Arbeit. Nur so, durch sein Tätigwerden bis ins Detail, wird ein Zimmermann zum Zimmermann, eine Architektin zur Architektin oder gar … ein Hirt zum Hirten. An seiner Arbeit lässt sich letztlich auch der Charakter eines Menschen messen. Und wie man sehen kann, habe ich in all meinen Büchern zumindest die Hauptperson immer wieder in ihrer Produktivität gezeigt … Wollte ich darauf verzichten, auf die Soziologie der schönen Details, wäre es, als beschriebe ich einen Menschen nur zur Hälfte, nicht einmal das, nur als seinen Schatten. Für meine dem Realismus verhaftete Auffassung begänne da eine Literatur des lebens- und weltfremden Nichtssagens, entweder des Elitären oder des Klischees.“

Wer historische Erfahrungen aus der DDR für gegenwärtige und künftige sozialistische Politik aufnehmen möchte, sollte am Werk von Erik Neutsch nicht vorbei gehen.

Im Jahr 2006 gründete Erik Neutsch die gleichnamige Stiftung unter dem Dach der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Evelin Wittich
Berlin, den 21.6.2011



[1] Erik Neutsch: Spur des Lebens, Verlag Das Neue Berlin, Berlin 2010, S.132

[2] ebenda, S.106/107

[3] ebenda, S. 111

[4] ebenda, S. 211

[5] ebenda, S. 210


Werke von Erik Neutsch

  • Die Regengeschichte, Halle (Saale) 1960
  • Bitterfelder Geschichten, Halle (Saale) 1961
  • Die zweite Begegnung, Halle (Saale) 1961
  • Spur der Steine, Halle (Saale) 1964
  • Die anderen und ich, Halle (S) 1970
  • Olaf und der gelbe Vogel, Berlin 1972
  • Haut oder Hemd, Halle 1972
  • Auf der Suche nach Gatt, Halle (Saale) 1973
  • Tage unseres Lebens, Leipzig 1973
  • Der Friede im Osten, Halle (Saale)
    1. Am Fluß, 1974
    2. Frühling mit Gewalt, 1978
    3. Wenn Feuer verlöschen, 1985
    4. Nahe der Grenze, 1987
  • Heldenberichte, Berlin 1976
  • Akte Nora S. und Drei Tage unseres Lebens, Berlin 1978
  • Der Hirt, Halle (Saale) 1978
  • Fast die Wahrheit, Berlin 1979
  • Zwei leere Stühle, Halle [u. a.] 1979
  • Forster in Paris, Halle [u. a.] 1981
  • Da sah ich den Menschen, Berlin 1983
  • Claus und Claudia, Halle [u. a.] 1989
  • Totschlag, Querfurt 1994
  • Vom Gänslein, das nicht fliegen lernen wollte, Leipzig 1995
  • "Der Hirt" und "Stockheim kommt", Berlin 1998
  • Die Liebe und der Tod, Halle an der Saale 1999
  • Nach dem großen Aufstand, Leipzig 2003
  • Verdämmerung, Kückenshagen 2003