Das Wähler*innenpotenzial der Partei DIE LINKE liegt derzeit bei 15 Prozent. Vor allem im Osten der Republik ist es stabil und hoch. Vor allem junge Menschen und Menschen mit geringem Einkommen können sich vorstellen, DIE LINKE zu wählen. Die veröffentlichten Werte für das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) erscheinen dagegen überschätzt. Vor allem überschneiden sich die Potenziale der beiden Parteien offenbar geringer als erwartet. Insbesondere AfD- und FDP-Anhänger könnten sich vorstellen, eine Wagenknecht-Partei zu wählen.
Mario Candeias, Direktor des Instituts für Gesellschaftsanalyse (IfG) der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Das sind die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage des größten Meinungsforschungsinstituts in Deutschland, Kantar, im Auftrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung, die zwischen dem 9. und 15. November 2023, durchgeführt wurde.[1] Gleichzeitig relativieren die Ergebnisse, die in den letzten Wochen und Monaten kolportierten Zahlen zum Wähler*innenpotenzial des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW) und legen eine nüchterne und differenzierte Betrachtung nahe; bei aller Vorsicht bei der Interpretation dieser sehr vorläufigen Zahlen.
Ebenso relativieren die jetzt vorliegenden Zahlen Spekulationen, dass sich die Gründung einer Partei unter Führung von Wagenknecht auf DIE LINKE verheerend auswirken würde. Im Gegenteil: DIE LINKE hat nun die Chance, Wähler*innen zurückzugewinnen und unterschiedliche Wähler*innenpotenziale auszuschöpfen.
Die Ergebnisse im Einzelnen
Auch wenn beide Parteien scheinbar ein ähnlich großes Potenzial haben, sind die Überschneidungen voraussichtlich deutlich geringer als erwartet. Nur 13 Prozent der Befragten mit einer klaren Parteipräferenz für DIE LINKE könnten sich vorstellen, evtl. ihre Stimme auch einer von Wagenknecht geführten Partei zu geben.
Dagegen könnten sich aber 29 Prozent mit einer Präferenz für die AfD und 21 Prozent mit einer Präferenz für die FDP vorstellen, BSW zu wählen. Bei Befragten mit einer Präferenz für DIE LINKE können sich nur vier Prozent vorstellen evtl. auch die AfD zu wählen, umgekehrt sind es Null – zwischen AfD und LINKER gibt also kaum noch oder keine Überschneidungen. Es scheint sich zu bestätigen, dass der Austausch zwischen Wähler*innen der LINKEN und der AfD ist schon seit längerem abgeschlossen ist.
Von den Nicht-Wähler*innen können sich 12 Prozent vorstellen für BSW zu stimmen, neun Prozent für DIE LINKE. Die Erwartungen, dass BSW die AfD deutlich schwächen und viele derjenigen überzeugen könnte, die sich enttäuscht von «der Politik» abgewandt haben, werden durch die Ergebnisse der Umfrage relativiert.
Deutliche Unterschiede zwischen der Partei DIE LINKE und BSW gibt es auch mit Blick auf die Altersstruktur: DIE LINKE hat deutlich größere Potenziale bei jüngeren Menschen, während die potenziellen Wähler*innen von BSW strukturell älter sind.
Betrachtet man die Haushaltsnettoeinkommen, so zeigt sich, dass das Potenzial der LINKEN besonders bei Menschen mit geringen Einkommen stärker ist, während es bei BSW in Richtung der mittleren Einkommen verschoben ist.
Das Potenzial der LINKEN ist bei Erwerbstätigen etwas höher (15% gegenüber 14% Nichterwerbstätigen) als beim Potenzial von BSW (10% gegenüber 15%). Mit Blick auf Altersstruktur, Haushalteinkommen und Berufstätigkeit lässt sich schlussfolgern, dass BSW vergleichsweise viele Rentner*innen anspricht, während Beschäftigte mit niedrigen Einkommen und Erwerbslose mehr zur LINKEN tendieren.
Überraschend sind die Werte im Ost-West-Vergleich. Wurde vielfach vermutet, gerade im Osten der Republik habe eine von Wagenknecht geführte Partei gute Chancen, so bestätigen die folgenden Zahlen diese Annahme nicht.
Im Osten verfügt DIE LINKE derzeit über ein Potenzial von 18 Prozent, BSW von 13 Prozent. Der Wert für BSW liegt nur leicht über dem Potenzial im Westen von 12 Prozent, DIE LINKE liegt im Westen bei einem Potenzial von 14 Prozent.
Von Interesse ist auch, dass das Wähler*innenpotenzial der AfD im Vergleich zu den derzeit kursierenden hohen Umfragewerten in der Sonntagsfrage nur bei 17 Prozent liegt (16% im Westen, 23% im Osten). Offenbar gelingt es der AfD aber deutlich besser als den anderen Parteien, ihr Potenzial auszuschöpfen. Während die AfD ihr Potenzial derzeit zu fast zwei Dritteln auszuschöpfen vermag (64%), schafft es DIE LINKE nur zu knapp einem Viertel (22%).
Nur die FDP liegt mit einem Ausschöpfungsgrad von nur 18 Prozent noch weiter zurück (SPD 32%, CDU/CSU 44%, Bündnis 90/Grüne 50%).
[1] Das Meinungsforschungsinstitut Kantar (ehemals Emnid) führte im Auftrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung vom 9. bis 15.011.2023 eine repräsentative Umfrage in Form von computergestützten telefonischen Interviews über Festnetz und Mobilfunk (CATI = Computer Assisted Telephone Interviewing) durch. Befragt wurden 1048 Personen in Ost- und Westdeutschland. Die Auswertung der von Kantar erhobenen Daten erfolgte durch die Rosa-Luxemburg-Stiftung.