Analyse | Arbeit / Gewerkschaften - Partizipation / Bürgerrechte - Einbürgerung - GK Klassen und Sozialstruktur Arbeiterklasse in Deutschland ist international

Zur sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung von Inländern ohne deutschen Pass

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Autor

Horst Kahrs,

Bauarbeiter auf dem Dach
Unter den 34,7 Mio. sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Deutschland Ende des Jahres 2022 besaßen 5,1 Mio. oder 14,7 Prozent nicht die deutsche Staatsbürgerschaft. Foto: shutterstock

In dem kleinen Dossier «Gesellschaft der Ungleichen: Taxation without Representation» stellte ich zu Jahresbeginn die wichtigsten statistischen Daten zur (quantitativen) Bedeutung der Einwohner ohne deutschen Pass für Wirtschaft und Gesellschaft zusammen. Der Titel verwies auf die Ungleichheit, die im Mittelpunkt stehen sollte: Die im Land lebenden Nichtdeutschen sind nicht berechtigt, Repräsentanten in die regionalen und nationalen Parlamente zu wählen, auch wenn sie noch so lange ansässig sind, hart arbeiten und Steuern und Sozialbeiträge entrichten. Ihre Steuern und Abgaben werden von der deutschen Mehrheitsgesellschaft angeeignet, ohne dass vergleichbare Mitbestimmungs-Rechte bestehen. Am Ende des Dossiers standen einige Vorschläge, wie Wahlrecht und Staatsbürgerschaftsrecht entkoppelt bzw. auf republikanische Art und Weise verbunden werden könnten. «Nation» versteht sich dabei radikal republikanisch: Wer Steuern an den Staat entrichtet, kann von der Entscheidung darüber, was mit den Steuern geschieht, nicht grundsätzlich ausgeschlossen bleiben.

Dieses Dossier vertieft die Zusammenstellung von Daten zur Klassenposition der regulär Beschäftigten Ausländer in Deutschland zum Stichtag Ende Dezember 2021. Zusammengestellt werden Daten aus der Beschäftigtenstatistik der Bundesagentur für Arbeit. Im Mittelpunkt stehen dabei Daten zu Alter, zur regionalen Verteilung und zur Tätigkeit (Wirtschaftszweig, Beruf, Anforderungsniveau) der Inländer ohne deutschen Pass. Ein zentraler Aspekt ist schließlich der mittlere Verdienst nach Region, Berufssegment und Anforderungsniveau. Hier wird die quantitative wie qualitative Unterschichtung des regulären deutschen Arbeitsmarktes in allen Regionen bzw. Ländern besonders deutlich.

Nicht die Rede ist hier von dem Teil des Arbeitsmarktes, der nicht vom deutschen Sozialversicherungssystem erfasst wird: der Erbringung von Dienstleistungen durch ausländische Unternehmen oder der illegalen Beschäftigung. Auch bleibt unberücksichtigt, dass zugewanderte Beschäftigte eingebürgert wurden und mittlerweile einen deutschen Pass besitzen.

Der Linken wird verschiedentlich vorgegeben: In der «Fundamentalkrise des heutigen Kapitalismus muss sie sich erneut als klassenbewusste sozialistische Kraft konstituieren – oder sie versagt und geht unter» und «vom Standpunkt jener, die besonders gefährdet sind, Abhängigkeiten mehr als andere erfahren, auf die Klasse als Ganzes» blicken. Es geht an dieser Stelle nicht um den Klassen-Begriff und die Rolle von Klassenpolitik für die Erneuerung der Linken, sondern allein gegen die Gefahr, bei der Suche nach dem «Standpunkt jener, die besonders gefährdet sind», diejenigen zu übersehen, die mangels Wahlrecht keine Stimmen einbringen können. Anders formuliert: Eine Linke, die Politik für die «untere Hälfte der Einkommenspyramide» machen will, muss realisieren, dass diese untere Hälfte zu einem erheblichen Teil aus Nichtdeutschen besteht, dass die «Arbeiterklasse» in Deutschland international ist. Und das gerade in den jüngeren Altersgruppen, die mit ihren Beiträgen zu einem nicht geringen Teil dazu beitragen, die aktuellen und zukünftigen Rentenzahlungen an die – überwiegend wahlberechtigten – Älteren zu finanzieren.