Nachricht | Ungleichheit / Soziale Kämpfe «Soviel du brauchst»

Angesichts der aktuellen gesellschaftlichen Debatten zur Staatsschuldenkrise, zur Krise des Euro, zu Steuerflucht oder Steuerhinterziehung war das Motto des diesjährigen Kirchentages für unterschiedliche Interpretationen offen. Von Ilsegret Fink und Cornelia Hildebrandt.

Information

«Kirchentage sind nicht mehr Impulsgeber oder Motoren gesellschaftlicher Diskurse als vielmehr deren Spiegel der aktiven Bürgergesellschaft. Für die Linken ist es wichtig, diesen zur Kenntnis zu nehmen und sich hier einzumischen.»

Die Rosa-Luxemburg-Stiftung auf dem 34. Deutschen Evangelischen Kirchentag vom 1. – 5. Mai 2013 in Hamburg.

Zum Selbstverständnis des Kirchentages 2013

Der 34. Deutsche Evangelische Kirchentag in Hamburg fand zufälliger Weise wieder einmal in einem Wahljahr statt und begann am 1. Mai - dem Tag der Arbeit, der auch von Seiten des Kirchentags­präsidiums bewusst mit «Brückenveran­staltungen» gestaltet wurde.

Der Kirchentag stand wie jedes Jahr auf vier Säulen: dem geistlichen Programm wie Bibelarbeiten, Vorträgen zu aktuellen, auch internationalen Herausforderungen wie die Friedensfrage, wie Gottesdiensten und Feierabendmahl, auf Konzerten, themenorientiertem Theater und Kabarett. Dazu gehört seit 1973 der «Markt der Möglichkeiten», als Dialogebene des Kirchentages. Bibelarbeiten waren seit der Gründung des Kirchentags 1949 nicht nur Sache von Theologen, bei Dorothee Sölle († 2003) aber auch bei Angela Merkel zählte man mehrere tausend Teilnehmer.

Die Themen der 11 Hauptvorträge dieses Kirchentages reichten von den «wertvollen Waren und wahren Werten» der Gesellschaft, den technischen Möglichkeiten und ökologischen Visionen, den Grenzen des wirtschaftlichen Wachstums, die Bewahrung der Schöpfung in der globalisierten Welt, Werten der Gesellschaft, den interkulturellen und interreligiösen Dialogen bis hin zur «Ökumenischen Sozialethik des 21. Jahrhunderts» und Wegen zu neuen Weltsichten einer Reformation Europas. Die Diskussionen zu diesen Themen beschrieben auf dem Kirchentag den Stand gesellschaftskritischer Debatten, deren milde Gesellschafts­kritik nur noch wenig mit den friedens- und gesellschaftskritischen Kirchentagsdebatten der 1980er Jahre zu tun hat. Kirchentage sind nicht mehr Impulsgeber oder Motoren gesellschaftlicher Diskurse als vielmehr deren Spiegel der aktiven Bürgergesellschaft. Für die Linken ist es wichtig, diesen zur Kenntnis zu nehmen und sich hier einzumischen.

Politische Prominenz fast aller Parteien trat zu Bibelarbeiten und Vorträgen in Messehallen, aber auch auf dem Markt der Möglichkeiten an ihren Parteiständen auf und ließ sich auf dem roten Sofa der Presse der Evangelischen Kirche ausführlich befragen.

Zum Motto des Kirchentags und seiner zentralen inhaltlich thematischen Achse

«Soviel du brauchst» (2. Mose 16,18) steht in dem höchst aktuellen Zusammenhang der durch Moses organisierten Flucht der hebräischen Sklaven aus Ägypten, die den Auftrag bekamen, eine völlig neue Gesellschaftsordnung ohne Sklaverei, aber auch ohne Könige zu errichten. Doch ihr Weg in die Frei­heit führte zuerst durch die Wüste, brachte Erschöpfung und Hungersnot, so dass den Geflüchteten der Sinn der gewonnenen Freiheit fraglich wurde. In dieser Situation bedeuteten die beschwichtigenden Worte Mose «Soviel du brauchst» darum keineswegs einen biblischen Aufruf, im Überfluss das richtige Maß zu finden. Mose versprach den befreiten Sklaven, dass es in der Wüste so viel Ver­pflegung geben wird, wie für ihr Überleben gebraucht wird. Der Protest der enttäuschten Befreiten gegen ihre Not auf dem Weg der Befreiung, steigerte sich trotzdem in den Protest «…dann doch lieber Sklave bleiben und satt sein». Es ist also eine Erzählung vom hohen Preis der Befreiung. Aber leider stand das nicht im Fokus des Kirchentags, sondern die Frage gesellschaftlicher, eher individueller Verantwortung in Beziehung zu «verantwortungsvollem Wirtschaften», zu bewusstem Konsum und zu persönlich nachhaltiger Lebensweise und globaler Gerechtigkeit. Folgerichtig bildeten die Krisen in Europa und weltweit, die Grenzen des wirtschaftlichen Wachstums, das verantwortungsvolle Wirtschaften, die Energiewende und Entwicklung neuer Technologien sowie Sozialethik des 21. Jahrhunderts zentrale Themenachsen dieses Kirchentags. Aber die Analyse der Ursachen stand nicht zur Debatte, auch wenn die Hauptpodien u.a. unter den Motti «Soziale Marktwirtschaft im Griff der Finanzmärkte», «Energiewende in guter Gesellschaft» und «Nicht mehr und nicht weniger. Von Grenzen Wirtschaftlichen Wachstums» standen.

Angesichts der aktuellen gesellschaftlichen Debatten vor allem zur Staatsschuldenkrise und zur Krise des Euro, zu Steuerflucht oder Steuerhinterziehung, war das Motto des Kirchentags «Soviel Du brauchst» für unterschiedlichste Interpretationen offen.

Der diesjährige Kirchentagspräsident Prof. Dr. Gerhard Robbers appellierte in Bezug auf Staatsschulden- und Wirtschaftskrise sowie enormer Arbeitslosigkeit an gesellschaftliche wie auch individuelle Verantwortung. Die «Gier des Einzelnen» - wie sie letztlich auch mit Steuerflucht oder –hinterziehung sichtbar werde - verband er mit der Forderung: «Steuerflucht muss aufhören.» Steuerflucht – Steuergerechtigkeit für alle wurde nicht nur auf diesem Podium immer wieder eingefordert, sondern mit der Gerechtigkeitsfrage verbunden – sogar in Umformu­lierung des Kirchentagsmottos in «soviel jede/r braucht».

Verantwortung in der Gesellschaft und vor allem verantwortungsvolles Handeln des Einzelnen forderte mit Verweis auf die Präambel des Kirchentags auch Dr. Ellen Ueberscher, zurzeit Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentages. In ihrem Vorwort des Programmheftes bezieht sie das Motto des Kirchentags vornherein auf die persönliche Ebene: «Zu viel verdirbt den Charakter». Diesen Gedanken griff auch die Hamburger Bischöfin Fehrs auf und ergänzte, dass es zugleich zu viel gäbe, was ein Mensch nicht brauche nämlich zu viel Ungerechtigkeit, Bomben und Gewissenlosigkeit. Z.B. lebe jedes fünfte Kind in Hamburg in Armut – es gebe Kinder, die noch nie die Elbe gesehen hätten.[1] Folgerichtig wurde im Aufruf des Kirchentags im Eröffnungsgottesdienst mehr Gerechtigkeit und mehr verantwortungsvolles Wirtschaften gefordert. In den vergangen 20 Jahren sei «bei der Entlastung der oberen Zehntausend» das Pendel in die falsche Richtung ausgeschlagen, erklärte der Ratsvorsitzende der EKD Nicolaus Schneider in Bezug auf die deutsche Steuerpolitik. Aus seiner Sicht sei eine Vermögensab­gabe für Reiche denkbar, sagte er in einem Interview.[2] Katrin Göring-Eckardt, Spitzenkandidatin der Grünen verteidigte die Forderung nach Steuererhöhung ihrer Partei bei mehr als 80.000 Euro Jahresverdienst. Sie verteidigte auch sehr diplomatisch den Ankauf von Steuer-CDs - wenn es hierzu keine Alternativen gäbe. Wer nicht mehr von seiner Arbeit leben könne, «ist auch in seiner Würde verletzt», erklärte Manuela Schwesig von der SPD.

Tatsächlich wurde die Losung des Kirchentags «So viel Du brauchst» auch mit der Forderung nach Mindestlöhnen verbunden, für die auf den großen Podien des Kirchentags einvernehmlich Vertreter der Kirchen, Gewerkschaften und Politik eintraten. Strittige Themen wie Streikverbot und Diakonie-Outsourcing wurden allerdings nur auf dem Markt der Möglichkeiten ausführlich diskutiert.

Weitere Deutungen des Kirchentagsmottos bezogen sich auf den Zusammenhang zwischen Konsum und Überfluss (also Konsumvermeidung)und Energie- und Ressourcenverschwendung. Hierzu forderte eine der fünf Kirchentagsresolutionen «eine sozial gerechte und umweltverträgliche Energiewende!»[3]

Großen Raum nahmen im Programm des Kirchentags die Probleme einer alternden Gesellschaft ein, für die es erstmalig ein Zentrum «Älterwerden» gab. Hier wurde das Motto des Kirchentags mit den Möglichkeiten der Partizipation in der Gesellschaft und mit der sozialen Frage verbunden, die sich ausführlich auch in der Resolution gegen Altersarmut wieder fand.

Die Friedensfrage hatte ihren zentralen Platz im Zentrum für Umwelt, Frieden und globale Gerechtigkeit. Gerade hier wurden vor allem auch kritische Stimmen gegen Waffenexporte laut, die angesichts der geplanten Aufrüstung der Bundeswehr durch bewaffnete Drohnen und dazu dem Kauf von US-Drohnen von größter Aktualität waren. Dies wurde u.a. diskutiert auf dem Podium «Krieg als Geschäft. Rüstung Made in Germany». «Wir fordern Bundestag, Bundesregierung, Länder, Kommunen, Rüstungsunternehmen und Universitäten auf, den Export von Kriegswaffen und Rüstungsgütern grundsätzlich abzulehnen», heißt es in einer der fünf Resolutionen des Kirchentags, eingereicht von Regina Kranich, Bund für Soziale Verteidigung e.V., Minden.

Trotzdem bleibt die Präsenz der Militärseelsorge eine ständige Herausforderung auf Kirchentagen. «Willkommen zu Hause?», hieß ein Podium zur Verantwortung und den Folgen von Auslandseinsätzen der Bundeswehr für Soldaten und deren Familien. Für die Friedensaktivisten bleibt das «NEIN» zur Beteiligung der Bundeswehr an Kriegseinsätzen eine zentrale Forderung. Dass Kirchentage sich mit aktuellen Friedensfragen angesichts weltweit unzähliger bewaffneter Konflikte auseinanderzusetzen haben, hatte Dorothee Sölle immer wieder gefordert. Ihr Wirken wurde anlässlich ihres zehnten Todestages ausführlich gewürdigt, unter anderem mit einem Dokumentarfilm über ihr weltweites Engagement in Sachen Theologie der Befreiung.

Einige Zahlen zum Hamburger Kirchentag

Über 800.000 nahmen an den Veranstaltungen des Hamburger Kirchentages teil. Darunter knapp 120.000 Dauergäste und 35.000 Tagesbesucher. 12.000 Privatquartiere wurden von den Hamburgern zur Verfügung gestellt. Die 5.500 freiwilligen Helfer waren an ihren Halstüchern gut zu identifizieren, erst recht die Pfadfinder. Dazu kamen 1.100 Johanniter, die nicht nur Erste Hilfe leisteten. An den Präsentationen und Veranstaltungen auf dem Markt der Möglichkeiten - also jenem traditionellen Platz auch für nichtkirchliche Organisationen des bürgerschaftlichen Engagements, der Entwicklungszusammenarbeit, der Gestaltung des Gemeindelebens - beteiligten sich 796 Gruppen mit über 8.100 Mitwirkenden. Unter den 2.500 Veranstaltungen an 400 Orten gab es zahlreiche, die sich dem interreligiösem Dialog verpflichtet haben, darunter allein 300 katholische Veranstaltungen. 130.000 Gläubige nahmen an dem Schluss-Gottesdienst im Stadtpark teil.

Es waren 330 Posaunenchöre mit 3.500 Bläsern in Veranstaltungen, Gottesdiensten  etc. aktiv. Trommlerformationen boten Mitmach-Konzerte an, Gospelchöre – auch aus Afrika- hatten großen Zulauf wie alle der 750 angebotenen Musikveranstaltungen, zu denen auch das War-Requiem von Benjamin Britten gehörte. Erstmalig wurde auf diesem Kirchentag eine Oper zu Leben und Werk von Dietrich Bonhoeffer aufgeführt. Theater, Kabarett und ein Workshop zu «interkulturellen Fettnäpfchen» waren deutlich überfüllt.

Ein Planspiel zum Thema Neonazis wurde sogar in der Hamburger Tagespresse diskutiert. Stadt-Spaziergänge z.B. zu «Treibhaus Hamburg» – auf den Spuren des Klimawandels» und tägliche Führungen und Veranstaltungen in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme fanden reges Interesse. Bereits am 1. Mai, dem Eröffnungstag, wurde der Vertreibung und Ermordung der Hamburger Sinti und Roma gedacht. Eine Ausstellung am Ort des ehemaligen Hamburger Bahnhofs vermittelte in sorgfältiger Dokumentation erschütternde Eindrücke.

Täglich erschien die Evangelische Kirchentagszeitung, die auf 32 Seiten ausführlich über den Kirchentag bis hin zu aktuellen Programmänderungen informierte. Das Kirchentagsprogrammheft umfasste 620 Seiten. 33.000 Papphocker wurden an den Veranstaltungsorten aufgebaut und 75 Tonnen Müll wurden während des Kirchentages eingesammelt, knapp ein Pfund pro Teilnehmer.

Angesichts dieser Zahlen, dem enormen Engagement freiwilliger Helfer und dem Selbstverständnis als gesellschaftlicher Dialog-Raum zu wichtigen Fragen der Gegenwart gehören die Deutschen Evangelischen Kirchentage zu den wichtigsten themenorientierten gesellschaftspolitischen Großveranstaltungen der Zivilgesell­schaft in Deutschland.

Die Wahl des Mottos «So viel du brauchst» aus dem Kontext der biblischen Sklavenbefreiung, hatte nahegelegt, dass auf diesem Kirchentag die Erklärung der 24. Generalversammlung des Reformierten Weltbundes in Accra/Ghana von 2004 eine wichtige Rolle spielen würde. Die in diesem Text enthaltene eindeutige Absage an die neoliberal globalisierte Wirtschaftsmacht und dem damit verbundenen Militarismus hätte schon in den vergangene Jahren eine Rolle spielen müssen, war aber umgangen worden. Dort heißt es: «… Darum sagen wir Nein zur Kultur des ungebändigten Konsumver­haltens, der konkurrierenden Habsucht und Selbstsucht oder jedes anderen Systems, das von sich behauptet, es gäbe keine Alternative. … Darum sagen wir Nein zur gegenwärtigen Weltwirtschaftsordnung, die vom globalen neoliberalen Kapitalismus aufgezwungen wird und zu jedem anderen Wirtschaftssystem, einschließlich der Planwirtschaft, das sich Gottes Bund widersetzt, indem es die Armen, die Verwundbaren und die ganze Schöpfung von der Fülle des Lebens ausschließt».

Präsentation der Rosa-Luxemburg-Stiftung auf dem Hamburger Kirchentag

Die Teilnahme an diesem Kirchentag war für die Stiftung allein schon dadurch eine erfreulich veränderte Situation, weil DIE LINKE auf dem Markt der Möglichkeiten in unmittelbarer Nachbarschaft mit einem repräsentativen Stand vertreten war.

Nach der Satzung des Deutschen Evangelischen Kirchentages hatten erstmals in Dresden 2011 auch Parteien (nicht nur ihre Arbeitsgemeinschaften) die Möglichkeit zur Selbstdarstellung. Die Präsentation der Bundesarbeitsgemeinschaft Christinnen und Christen bei der PDS/bei der LINKEN», hatte zwanzig Jahre die Vorsitzende des gewählten Sprecherkreises, Dr. Friederun Fessen, auf evangelischen, katholischen und ökumenischen Kirchentagen wahr­genommen.

Seit 2001 hat auch die RLS auf Kirchentagen am Stand und in Veranstaltungen auf dem Markt der Möglichkeiten - aber auch außerhalb des Kirchentagsgeländes - Veranstaltungen angeboten. Dabei konnte sich die Stiftung auf die Landesstiftungen immer zuverlässig stützen.

Das für uns unlösbare Problem bleibt, dass durch die zunehmend intensive Gesprächsarbeit und der Betreuung eigener Veranstaltungen zeitgleich zum Kirchentag für die Mitarbeiter am Stand der Rosa-Luxemburg-Stiftung die Teilnahme an wichtigen Kirchentagsveranstaltungen zwecks persönlicher Information zeitlich nahezu unmöglich ist. Selbst ein Überblick über die 800 Stände auf dem Markt der Möglichkeiten, die ihre interessanten Aktivitäten im In- und im Ausland darstellen, ist nicht zu erreichen.

Die Erfahrung besagt, dass zu den umliegenden Ständen, zu denen auch die der Konrad-Adenauer-Stiftung und Friedrich-Ebert-Stiftung gehörten, zunehmend gute nachbarschaftliche Kontakte geknüpft wurden.

Der Empfang, zu dem DIE LINKE am Eröffnungstag eingeladen hat, wurde vom Religionspolitischen Sprecher der Fraktion DIE LINKE, Raju Sharma, mit Zitaten aus Heinrich Heines Wintermärchen eröffnet. Dora Heyenn begrüßte die Teilnehmer im Namen der Fraktion der Linken in der Hamburger Bürgerschaft.

Mit Prof. Dr. Renate Wind, Nürnberg und Prof. Ulrich Duchrow, Heidelberg hatte  DIE LINKE zwei promintente Redner gewonnen, die seit Jahrzehnten nicht nur auf Kirchentagen, sondern in vielen Veröffentlichungen ihre linke Position vertreten. Bodo Ramelow, Fraktionsvorsitzender der LINKEN im Thüringer Landtag, moderierte ebenso sachlich wie humorvoll. Die Flüchtlingsbeauftragte der Nordkirche, Frau Pastorin Fanny Dethloff ergänzte das Programm des Abends durch einen unmissverständlich kritischen Beitrag zur sozialpolitischen Situation in Hamburg. Der Präsident dieses Kirchentages Prof. Dr. Gerhard Robbers und der EKD-Vorsitzende Nicolaus Schneider kamen sogar noch zum Empfang der LINKEN, nachdem sie ihr offizielles Kirchentagseröffnungsprogramm absolviert hatten, und sprachen ein persönliches Grußwort.

Haben wir Erfolge vorzuweisen?

Eindeutig ja, denn als Erfolg kann gezählt werden, dass am Stand der Rosa-Luxemburg-Stiftung hunderte Kirchentagsteilnehmer nachdenklich wahrgenommen haben, dass hier gesellschaftlich wichtige Informationen und bereitwillige Gesprächspartner zu finden waren. Zahlreiche Besucher hatten den Stand bereits auf den letzten Kirchentagen besucht und waren neugierig über unser diesjähriges Angebot.

Dass der Kirchentag die von der GKKE jährlich erarbeitete Dokumentation «Rüstungsexporte» nicht im Programm hatte, ist nach diesem Kirchentag durchaus verständlich. Am Stand haben wir mit dem Herausgebern und Autoren des Rüstungsexportberichts der GKKE eine öffentliche Diskussion veranstaltet, die, wie wir meinen, ein unentbehrlich konkret kritischer Beitrag zum Kirchentag gewesen ist. Wir hoffen, dass die von uns an Besucher verteilten dreißig Exemplare des Rüstungsexportberichts und das Material der Aktion «Aufschrei» gegen den Waffenhandel in den Kirchgemeinden zu Hause wichtige Diskussionen auslösen.

Dem interreligiösen Dialog wurde auf diesem Kirchentag mehrere Veranstaltungen gewidmet. Die Stiftung ist einen wichtigen Schritt weitergegangen und hat zum interreligiösen Dialog zwischen Vertretern von Juden, Christen und Moslems mit linken Politikern eingeladen. Diese Gesprächsebene halten wir für dringend nötig, wenn die zurzeit sich eskalierenden Konfrontationen in der Gesellschaft, besonders mit dem Islam, bewältigt werden sollen.

Eher ungewöhnlich war die Frage unseres Seminars «Kapitalismus als Religion?». Wir vermuten, dass es in der Tradition der Kirchentage eine Uraufführung war. Der Heilsanspruch, eine würdige Welt für alle schaffen zu können, wird vom Kapitalismus täglich beansprucht aber zugleich dadurch wiederlegt, dass die kapitalistische Praxis Verelendung, neue Kriegen und ´die Eskalation ziviler Konflikte hervorbringt.

 «Kapitalismus als Religion» ist eine Problemansage, die wir von Walter Benjamin übernommen haben. Mit den Artikeln zu diesem Thema von Prof. Dr. Ulrich Duchrow und Prof. Dr. Franz Hinkelammert, Costa Rica, die wir als Broschüre verteilt haben, wollten wir im Kirchentag - aber auch in der Linken ein bisher gemiedenes Thema aufgreifen.  Denn, wenn der Kapitalismus die Vereinnahmung des Menschen wie auch der Religion beansprucht und praktiziert (Walter Benjamin) müssten gerade Linke, die durch Aufklärung und Emanzipation gewonnene Freiheit der Menschen gegen diesen «religiösen» Zugriff verteidigen.

Ilsegret Fink und Cornelia Hildebrandt


Veranstaltungen der Rosa-Luxemburg-Stiftung anlässlich des Kirchentages

2. Mai, 11 - 12 Uhr: Waffenkammer Deutschland

Gespräch am Stand der LINKEN/Rosa-Luxemburg-Stiftung
Mit: Jan van Aken, MdB DIE LINKE, Tim Kuschnerus, GKKE – Herausgeber des Rüstungsexportberichts, Horst Heinz Scheffler, Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden

Diskutiert wurden hier die menschenverachtenden Rüstungsexporte als Teil eines sich zunehmend autoritär ausrichtenden neoliberalen Finanzmarktkapitalismus. Unter Einbeziehung der Autoren des jährlichen Rüstungsexportberichtes der GKKE (Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung) von 2012, wurden vor allem die neue Entwicklung dieser Rüstungsexporte aufgezeigt, die dahinter liegenden Strukturen und Interessen dargestellt und die Möglichkeiten von Begrenzung von Rüstungsexporten diskutiert. Dies aber setze das Wissen um die Rüstungsexporte voraus, die Transparenz und notwendige Informationspflicht gegenüber den Abgeordneten des Bundestags. Die Position der Linken ist klar – keine Waffenexporte und kein Export von Fabriken, in denen Waffen für neue Kriege produziert werden. Es ist deshalb keine Überraschung, dass als Quellen des Berichtes immer wieder auch Anfragen der Linken im Bundestag zur Formulierung des Berichtes beitrug. Aber es ging auch um gemeinsame Aktionen zur Begrenzung des Waffenhandels bei denen Kirchen, Initiativen und Parteien zusammenarbeiten müssen. Darin war sich dieses Podium einig.

2. Mai, 19 Uhr: Bedingungsloses Grundeinkommen

Mit: Steffi Bentrup, Aktivistin, Studentin der Soziologie, Schwerpunkt Gender & Queer Studies an der Universität Hamburg; Prof. Dr. Franz Segbers, Universität Marburg, Professor für Sozialethik am Fachbereich Evangelische Theologie an der Philipps-Universität in Marburg; Georg Hupfauer, Bundesvorsitzender der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung Deutschlands e. V.; Moderation: Ronald Blaschke, Netzwerk Grundeinkommen

So viel du brauchst - biblische Bezüge zur unbedingten Sicherung der Existenz und Teilhabe von Menschen gab es viele, wie der Vortrag von prof. Franz Segbers deutlich machte. Eigentlich biete das Motto des Kirchentags geradezu «die Vorlage» für das bedingungslose Grundeikommen. Dieses – so auch der Vertreter der katholischen Arbeitnehmerbewegung - eine über zwei Jahrhundert alte Idee, die heute weltweit und auch in Deutschland wohlwollend, aber auch kontrovers debattiert wird. Steff Bentrup brachte die feministische Perspektive in diese Debatte ein. Kompetente Gesprächspartner_innen gab es auch unter den Teilnehmern der Veranstaltung, die evangelische, katholische und queer-feministische Zugänge zum Grundeinkommen diskutierten.

3. Mai, 16 – 19 Uhr: Linke im interreligiösen Dialog in Zeiten globaler Krisen

Mit Marwa Al-Radwany, Vorstandsmitglied der RLS; Dr. André Brie, MdL Mecklenburg-Vorpommern; Christine Buchholz, MdB; Prof. Dr. Ulrich Duchrow, Theologe, Heidelberg; Aiman A. Mazyek, Generalsekretär des Zentralrats der Muslime in Deutschland; Prof. Dr. Rolf Verleger, Lübeck; Bodo Ramelow, MdL Thüringen u.a.

Im Umfeld des Kirchentages in Dresden (2011) hatte die Stiftung erstmals zu einem interreligiösen Dialog eingeladen, bei dem es um unterschiedliche Tradition, Stellungnahmen zu verbreiteten Vorurteilen, aber auch um Berichte über die Möglichkeiten von Verständigung und Zusammenarbeit ging. Auf dem Kirchentag in Hamburg haben wir über den Beitrag von Religionen bei der Lösung von drängenden Problemen gegenwärtiger Gesellschaftsentwicklung diskutiert.
Wie stehen VertreterInnen von Juden, Christen und Moslems, Marxisten und Sozialisten dazu, wenn demokratisches Selbstverständnis zunehmend in Frage gestellt wird, demokratische Institutionen ihren Wert verlieren, neue soziale Ungleichheiten die Polarisierung vorantreibt Armut zunehmend zur Exklusion von Teilhabe führt?
Eine der zentralen Fragen weltweit  war die Frage nach der Gestaltung demokratischer Gesellschaften: Globale Wirtschaftsexplosionen knebeln erneut ehemalige Kolonien. In Europa wird vor dem Hintergrund der Krise die Entwertung demokratischer Institutionen wie dem Europaparlament und den nationalen Parlamenten vorangetrieben. Die Schaffung neuer, demokratisch nicht legitimierter Instrumente wie der Fiskalpakt, der ESM, die Spardiktate der Troika verändern nicht nur die innereuropäischen Beziehungen, sondern auch die Möglichkeiten der Gestaltung von Demokratie in den Ländern selbst.
Was bedeutet es, dass Antisemitismus und Islamfeindlichkeit und Homophobie in der Mitte unserer Gesellschaft längst virulent sind, was von rechts mit ausgrenzendem Nationalstolz bedient wird. Kann man noch von einer humanistischen Grundeinstellung der reichen Industrieländer reden, wenn Millionen von Menschen an der Armutsgrenze vegetieren unter denen Millionen Mitglieder der genannten Religionen sind? Diese und andere Fragen sollen auf dem Podium diskutiert werden.

4. Mai, 11 Uhr - 12:30 Uhr: Kapitalismus als Religion?
Mit Professor Ulrich Duchrow, Professor Franz Segbers, Christine Buchholz und Professor Michael Brie, Rosa-Luxemburg-Stiftung

«... dass es so weiter geht, ist die Katastrophe», schreibt Walter Benjamin schon in den 1930er Jahren, damals angesichts der faschistischen Gefahr und des drohenden zweiten Weltkriegs. Er befragt den Absolutheitsanspruch des Kapitalismus, der sich alternativlos längst als Religion gebärdet - Kapitalismus als Religion. Aber gerade die Alternativlosigkeit wird immer wieder von Linken (Christen, Marxisten, Sozialisten) in Frage gestellt. So wird in der Theologie der Befreiung seit vierzig Jahren der Kapitalismus auch darauf hin befragt, ob er mit seinen vielfältigen Formen individueller und kollektiver «Bestrafung» (vom Mangel an Essen, Kleidung, Gesundheitsversorgung, Wasser, Bildung bis zum Mangel an Arbeit, sozialen und demokratischen Rechten, von Embargo bis zum Krieg) sich nicht längst als Religion gebärdet? Was bedeutet es heute konkret, wenn Kapitalismus zur Religion wird? Wo müssen Gesellschaftskritik und Kämpfe um gesellschaftliche Alternativen heute ansetzen?
Von der Rosa-Luxemburg-Stiftung wurde deshalb das Kirchentagsmotto «Soviel du brauchst» danach befragt, was Menschen heute brauchen und wieviel. Das betrifft den gesellschaftlichen Auftrag der Kirchen – dem Dienst am Nächsten, der Sorge um ein gutes Leben in Frieden, sozialer Gerechtigkeit und unter Bewahrung der Schöpfung. Es geht nicht nur um das notwendige Engagement von Gesellschaft wie des Einzelnen. Wir müssen die Grundstrukturen kapitalistischer Gesellschaften aufdecken, um ein Leben in Würde, sozialer und ökologischer Sicherheit und Solidarität für alle möglich zu machen. Wie lassen sich die syste­mischen und strukturellen Ursachen der globalen krisenhaften Entwicklung stoppen oder gar beseitigen, die mit wachsenden sozialen Ungleichheiten, der Zerstörung der Natur und kriege­rischen Ausein­ander­setzungen einhergeht und zugleich ihre demokratische Institutionen zuerst entwertet und dann entmachtet.

Mehr Informationen zu den Aktivitäten der Rosa-Luxemburg-Stiftung auf dem 34. Kirchentag 2013 in Hamburg finden Sie auf dem Blog kirchentag.blog.rosalux.de 


[1] Kirchentagszeitung vom 2.5.2013, S. 4

[2] Kirchentagszeitung vom 2.5.2013, S. 2

[3]Anträge für Resolutionen des Kirchentags brauchen mindestens 1.600 Unterschriften, um als Resolution des Kirchentags beschlossen zu werden Resolutionen des Kirchentags:
www.kirchentag.de/programm/resolutionen/resolutionen-zur-abstimmung-2013/die-soziale-gerechte-und-umweltvertraegliche-energiewende.html