Nachricht | GK Geschichte Schmidt: Arbeiter in der Moderne. Arbeitsbedingungen, Lebenswelten, Organisationen, Frankfurt/M 2015

"...als Einstieg in das Thema Arbeitergeschichte ist der Band von Schmidt uneingeschränkt zu empfehlen."

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Axel Weipert,

Das Thema „Arbeiter in der Moderne“ ist zweifellos ein weites Feld. Kann man das überhaupt auf knapp 300 Seiten abhandeln? Um es vorweg zu nehmen: man kann. Es versteht sich aber fast von selbst, dass das nur im Rahmen eines Überblicks erfolgt. Jürgen Schmidt, Historiker an der Humboldt Universität Berlin und u. a. Verfasser einer Biografie August Bebels, konzentriert seine exemplarische Darstellung auf die deutsche Entwicklung seit dem 19. Jahrhundert. Es wird aber durchgängig, wenngleich knapp, auf andere Länder hingewiesen.

Strukturiert ist der Band in mehrere Abschnitte, in denen das Thema unter den Schlagworten Lebenswelt, Arbeit, Kultur und Arbeiterbewegung abgehandelt wird. Ob diese Aufteilung immer glücklich gewählt ist, darüber lässt sich streiten. Beispielsweise wird nicht klar, warum die Organisationen des Arbeitersports und der politischen Bildungsarbeit nicht unter „Arbeiterbewegung“ behandelt werden. Aber das ist ein eher peripherer Einwand, grundsätzlich überzeugt die Behandlung der Thematik unter diesen Gesichtspunkten. Durchgängig wird auf Inklusions- und Exklusionsmechanismen verwiesen, also die Frage, wie Arbeiter untereinander und mit anderen Teilen der Gesellschaft interagierten.

Im Kapitel zur Lebenswelt geht der Autor beispielsweise auf den Stadt-Land-Gegensatz und auf Arbeitsmigration ein. Im folgenden Abschnitt erfährt der Leser u. a., welche jeweils eigenständigen Entwicklungen es in der Landwirtschaft und im Textil- und Druckgewerbe gab. Anschaulich wird dem Leser vor Augen geführt, wie sich Veränderungen, etwa Technisierung und Rationalisierung, auswirken konnten. Den Aspekt Kultur fasst Schmidt sehr weit, fallen darunter doch so unterschiedliche Themen wie Religiosität der Arbeiter, kulturelle Praktiken im Arbeitsprozess oder die Übernahme von bzw. Ablehnung der bürgerlichen Kultur. Die Arbeiterbewegung bestand nicht nur aus den klassischen Organisationen wie Parteien und Gewerkschaften, hebt der Autor im letzten Kapitel mit Recht hervor. Ebenso einleuchtend ist die Feststellung, dass „Ideen und Ideologien keineswegs nur die Werke der Meister- und Vordenker sind, sondern im Organisationskosmos der Arbeiterbewegungen und damit zumindest teilweise im Leben der organisierten Arbeiterschaft verankert waren.“ (S. 219)

Durchgängig werden aktuelle Ereignisse und Entwicklungen mit der historischen Darstellung in Beziehung gesetzt. Das verdeutlicht: Die großen Themen der Arbeiter- und Arbeitsgeschichte sind noch immer relevant, etwa hinsichtlich der Arbeitszeit, sozialen Sicherheit oder internationalen Solidarität. Schmidt hat auch die Ambivalenz der Modernisierung im Blick, wird diese doch keineswegs einfach als eine Erfolgsgeschichte geschrieben.

Einigen Details muss aber widersprochen werden. So schreibt der Autor, zwischen der Mitte des 19. Jahrhunderts und dem Ende des Zweiten Weltkriegs habe es in Deutschland keine schwerwiegende Krise in der Lebensmittelversorgung gegeben. Was ist mit den massiven Engpässen während des Ersten Weltkriegs, denen mehrere hunderttausend Menschen zum Opfer fielen? Verwunderung löst auch eine Passage zur Weimarer Republik aus, wo von der „Bereitschaft der Kommunisten“ die Rede ist, „in ihrer politischen Praxis Gewalt einzusetzen, während sich die Sozialdemokratie im Kaiserreich davon gelöst hatte und am Prinzip der Gewaltlosigkeit in der politischen Auseinandersetzung festhalten wollte“. (S. 158) Muss erst daran erinnert werden, dass auch Gustav Noske oder Karl Zörgiebel Mitglieder der Sozialdemokratie waren?

Dem Überblickscharakter des Bandes ist es wohl geschuldet, dass der Autor sehr ausführliche Begriffsdefinitionen vornimmt. Dagegen werden historiografische, politische und methodische Kontroversen oft nur angedeutet. Hier hätte man sich eine etwas andere Gewichtung gewünscht. Dennoch gelingt es Schmidt, die Ansätze von Politik-, Sozial- und Kulturgeschichte ausgewogen in die Darstellung einfließen zu lassen. Hinzu kommt eine verständliche Sprache und Anschaulichkeit durch zahlreiche Beispiele. Die Vertiefung einzelner Aspekte wird dem Leser durch ein Verzeichnis der Quellen und Forschungsliteratur erleichtert. Insbesondere als Einstieg in das Thema Arbeitergeschichte ist der Band von Schmidt uneingeschränkt zu empfehlen.

Axel Weipert  

Jürgen Schmidt: Arbeiter in der Moderne. Arbeitsbedingungen, Lebenswelten, Organisationen, Campus Verlag, Frankfurt/M./New York 2015, 285 S., ISBN: 978-3-593-50340-0, 29,99 EUR 

Die Rezension erschien zuerst in Heft 3/2016 von Heft von "Arbeit - Bewegung - Geschichte. Zeitschrift für historische Studien". Dieses enthält u.a. Artikel zu Vertragsarbeit in der DDR und 15 Jahre Gewerkschaft ver.di.