Das Thema Einheitsgewerkschaft wurde in den vergangenen Jahren kaum explizit diskutiert. Dennoch ist die Frage, in welchem Verhältnis die Einzelgewerkschaften zueinander stehen und wie in Zukunft der politische Einfluss der Gewerkschaften gebündelt werden kann, zurzeit virulenter denn je:
(1) Bei der Auseinandersetzung um den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur «Tarifeinheit» vertreten nicht allein Gewerkschaften, die nicht zum Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) gehören, und DGB-Gewerkschaften unterschiedliche Positionen. Auch zwischen den DGB-Gewerkschaften sind die Meinungen zum Gesetzentwurf kontrovers: Dabei stehen die Industriegewerkschaft Metall (IG Metall) und die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) auf der einen, die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di), die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) auf der anderen Seite.
(2) Zum Hintergrund des Gesetzentwurfs gehört: Kleine Berufsgewerkschaften, die nicht im DGB organisiert sind, geraten aufgrund ihrer Streikmilitanz (etwa die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer, GDL) zunehmend in den Fokus des öffentlichen Interesses. Außerhalb des DGB erstarken ständische Berufsgewerkschaften (von Ärzten, Piloten, Lokomotivführern).
(3) Zwischen Einzelgewerkschaften – vor allem zwischen den beiden größten Gewerkschaften IG Metall und ver.di – nehmen Konflikte um die Zuständigkeit für Mitgliederwerbung, Betriebsratswahlen und Tarifverträge in Unternehmen zu. Unter der Überschrift «Zwist unter Brüdern» schrieb jüngst die Wirtschaftswoche: «Wenn es um Macht und Mitglieder geht, ist es neuerdings häufig vorbei mit der brüderlichen Solidarität im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). Seit das Bundesarbeitsgericht 2010 den Grundsatz ‹ein Betrieb – eine Gewerkschaft› kippte, suchen nicht nur renitente Spartenorganisationen wie die Lokführergewerkschaft GDL neue Betätigungsfelder. Auch viele DGB-Gewerkschaften verspüren nun die Verlockung, Mitgliederzahl und Beitragseinnahmen zu mehren, indem sie im Revier der Kollegen wildern.» Bei den jüngsten Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst der Länder reagierte die DGB-Gewerkschaft GEW verbittert darauf, dass ver.di und der Beamtenbund einem Abschluss zustimmten, bei dem die Gleichstellung der angestellten Lehrer nicht erreicht wurde.
(4) Nicht zu übersehen ist die Schwäche des DGB gegenüber den großen Einzelgewerkschaften. Diese ist nicht nur Resultat der organisationspolitischen Entscheidungen bei der Gründung des DGB im Jahr 1949, sondern auch Ergebnis eines «langen Sterbens der Einheitsgewerkschaft DGB».
(5) Im Jahr 2015 wird des 70. Jahrestages der Befreiung von Faschismus und Krieg gedacht. Dieses Datum ist für die Linke besonders wichtig, um einen Kontrapunkt gegen die herrschende Geschichtspolitik zu setzen, die die «Sieger der Geschichte» um die Jahre 1989–1991 inszeniert. Die Gründung der Einheitsgewerkschaft in den Jahren nach 1945 stand im Zeichen der weltweiten Losung: «Nie wieder Krieg – nie wieder Faschismus!» Angesichts der zunehmenden Kriegsgefahren und des Aufstiegs rechtspopulistischer und neonazistischer Organisationen und Bewegungen in Europa ist es besonders wichtig, dass sich die Gewerkshaften ihrer geschichtlichen Wurzeln erinnern.
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