Wachsende soziale Probleme – insbesondere Erwerbslosigkeit, Verarmung, soziale Ausgrenzung, Repressionen und Vereinzelung – und eine an Breite gewinnende gesellschaftliche Debatte über Armut und Prekarität erklären eine »Flut« von Reformvorschlägen. Diese gehen auf sehr unterschiedliche Sichtweisen auf die Probleme, die Gesellschaft und auf verschiedene politische Ziele zurück.
Während in der Gesellschaft die Unzufriedenheit mit regierender Sozialpolitik wächst, schreitet ihr Umbau in eine Gesellschaft fort, in der die und der Einzelne Unternehmer/in der eigenen Arbeitskraft und sozialen Sicherung sind. Die seit Jahrzehnten wirkende und gestärkte Hegemonie des radikalisierten Liberalismus ist mit dem geschwundenen Einfluss einer Denkweise und Tradition verknüpft, die Gesellschaft historisch und komplex betrachtet, das Individuum als Gesellschaftsmitglied, Kapitalismus als historisch entstanden, wandelbar, transformier- und (vielleicht bzw. hoffentlich) überwindbar. Diese Denkweise wird sich nicht mehr oder nur in sehr vereinfachter Art angeeignet, keineswegs kritisch und systematisch gepflegt und weiterentwickelt. Das begünstigt vorgeblich radikal-kapitalismuskritische sozialpolitische Vorschläge, die zum einen gesellschaftliche Zusammenhänge außer Acht lassen und daher zum anderen in ihrer Logik Projekten der radikalisierten Liberalen nahe kommen. Beiden Antipoden ist gemeinsam, dass sie letztendlich die Gesellschaft als Summe von Individuen sehen und Reformkonzepte vom atomisierten Individuum ausgehend entwickeln. Dies erkennen viele, die sich ebenfalls als »links« definieren, aber darunter verstehen, dass »Gemeinschaftsbeziehungen über die individuelle Autonomie« (Lafontaine 2006: 205) gestellt werden müssten und Forderungen erheben, denen man schwer folgen kann, wenn man dem Ideal einer Gesellschaft anhängt, in der die freie Entwicklung der/ des Einzelnen als Bedingung für die freie Entwicklung aller gilt.
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