Inhaltsverzeichnis
0. Einleitung 2
1. Der Kongress in Zahlen und Beschlüssen 2
1.1. Die Delegierten 2
1.2. Die Beschlüsse 3
2. Worum es geht 3
2.1. Der 21. April 2002 4
2.2. Die Der Effekt der „Nein“-Kampagne 4
2.3. Mehrheitswahlrecht und Neuformierung 5
3. Die innerparteilichen Akteure und ihr Auftreten auf dem 33. Kongreß 6
3.1. Die Traditionalisten 7
3.2. Die Refondateurs 8
3.3. Die Hueisten 10
3.4. Die Mehrheit „Buffetisten“ 12
4. die anderen Akteure der politischen Neuformierung in Frankreich 13
4.1. Die „Nein“-Sager bei den Sozialisten. Die Strömung und Jean-Luc-Mélenchen 14
4.2. Kollektive des Neins 14
4.3. Gewerkschafter: 15
4.4. Grüne 15
4.5. Die Ligue Communiste Révoluitionaire (LCR) 15
5. Ausblick und Fazit: 17
0. Einleitung
Während die Bewegung gegen den Contrat première embauche (CPE) allgegenwärtig war – direkt nach Eröffnung wurde zugleich eine fünfstündige Pause eingelegt, damit alle Delegierten des Kongresses sich an einer Studierenden- und Schülerdemonstration teilnehmen konnten – bestimmte ein anderes Ereignis den Kongress nachhaltig: Das Referendum gegen die EU-Verfassung und vor allem der Erfolg desselben waren ein allgegenwärtiger Bezugspunkt, der immer wieder angerufen und interpretiert und auch zur Legitimierung durchaus divergierender politischer Strategien herangezogen wurde.
Diese strategische Diskussion bestimmte den gesamten Kongress und hatte schließlich ihren Kristallisationspunkt in der Diskussion um die Wahlstrategie der PCF für die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Jahr 2007.
Mit dem Beschluss, die Entscheidung über eine kommunistische Kandidatur auf den Spätherbst 2006 zu verschieben und zu einer anti-neoliberalen Einheitskandidatur aufzurufen, öffnet sich der französischen Linken ein historisches Fenster zur politischen Neuformierung.
Dabei bewegen sich die französischen Kommunisten zwischen dem Wunsch die Trägerkoalition der „Nein“-Kampagne in ein dauerhaftes politisches Bündnis umzuwandeln und einem Wahlsystem, das Spaltungen im „Nein“-Lager begünstigt und gleichzeitig den mächtigen Apparat kommunistischer Mandatsträger an die Weiterführung eines Bündnisses mit den Sozialisten kettet.
1. Der Kongress in Zahlen und Beschlüssen
1.1. die Delegierten
An dem Kongress der PCF haben 924 Delegierte aus 96 « Fédérations » teilgenommen. Darunter waren 43,83 % Frauen (40 % en 2003), 16,02 % waren Jugendliche unter 30 Jahren (8,5 % en 2003) und 137 (14%) davon waren weniger als zwei Jahre in der Partei. (2003:93).
Damit zeigt sich dass, der Partei ein gewisser Verjüngungsprozess gelungen ist. Dazu passen die Zahlen der Neueintritte, die allein im Jahr 2005 8.000 waren, so dass die Partei erstmals seit Jahrzehnten nicht weiter geschrumpft ist. (Offizieller Stand 2006: 135.000 Mitglieder)
Gleichzeitig lässt sich feststellen, dass die Partei immer mehr eine Partei des öffentlichen Dienstes wird. Von 924 Delegierten arbeiten mehr als die Hälfte (553) im öffentlichen Dienst. Nur 267 Delegierte arbeiten im privaten Sektor.
Noch bezeichnender ist aber, dass nur noch 7,9 % der Delegierten sich der Kategorie „ouvrier“, also Arbeiter zurechnen. 25,7 % sind Angestellte, 14 % sind Lehrpersonal 13 % technische und mittlere Angestellte und 21 % Selbstständige.
Darunter sind « nur » noch 67,74 % Mitglieder in einer Gewerkschaft oder Berufsgenossenschaft – allerdings ist gut die Hälfte dieser Mitglieder dort in einer Verantwortung. (29,92% der Delegierten)
Es zeigt sich also, dass die besondere Stellung, die die PCF einmal innehatte, weil die große Mehrheit ihrer Funktionäre und Kongressdelegierte tatsächlich Arbeiter waren, verloren gegangen ist. Allerdings sind die Delegierten noch immer relativ repräsentativ für die Parteiaktivisten und sind nicht wie bei anderen Parteien nur oder hauptsächlich aus Parteikadern und abhängigen Beschäftigten der Partei zusammengesetzt. Trotzdem sind immerhin 29,11 % der Delegierten Mandatsträger der Partei, wozu sich noch einmal einige nicht gewählte Hauptamtliche der Partei gesellen dürften.
1.2. Die Beschlüsse
Der Kongress verabschiedete eine Reihe wichtiger Dokumente. Darunter befinden sich die Überarbeitung des Kommunismusbegriffes „Visee communiste“, die Überarbeitung der Parteistatuten und ein Beitrag der PCF zur Programmdebatte in der Linken vor den Wahlen 2007.
Die alles entscheidende Debatte drehte sich aber um die Frage der strategischen Orientierung. Sollte die PCF bereits auf dem Parteitag ihre kommunistische Kandidatur beschließen oder sollte sie eine anti-neoliberale Sammlungsbewegung vorschlagen, deren Träger eine „kommunistische Kandidatur sein könnte“, über die die PCF aber erst auf dem nächsten Kongress im November beschließen würde.
Bereits in der allgemeinen Aussprache bezog sich eine Mehrheit der Delegierten auf diese Frage und nach Vorstellung des strategischen Leitantrages folgte noch einmal eine Debatte mit über 50 Teilnehmern.
Das Ergebnis ist, dass der strategische Leitantrag der Parteiführung, der einen Apell für eine anti-neoliberale Einheitskandidatur enthält und die Designierung der PCF-Kandidatur auf einen Kongress im Oktober/November verschiebt, mit 570 Stimmen dafür, bei 227 Gegenstimmen angenommen wurde. Die Zahl der Gegenstimmen – immerhin 26,92 % - ist dabei geringer als die Zahl der Stimmen, die in einem Änderungsantrag eine sofortige kommunistische Alleinkandidatur gefordert hatte. (etwa 35 % )
Am Ende wurde noch das nationale Führungsgremium der PCF gewählt: der Conseil National. Dieser wurde in einer Listenwahl gewählt, wobei eine Liste jeweils Kandidaten und Kandidatinnen für alle der 242 zu vergebenen Plätze aufweist. Der Kopf der Liste wird bei dem Erfolg der Liste automatisch zum Sécrétaire National gewählt.
Erstmals in der Geschichte der PCF trat bei dieser Wahl eine Oppositionsliste gegen die Mehrheitsliste von Marie-George Buffet an. Die Liste, die von André Gérin angeführt wurde kann dem traditionalistischen Flügel zugerechnet werden (s.3.1.). Für die Liste von Marie-George Buffet stimmten 753 Delegierte. (91,27%) Für die Oppositionsliste stimmten 72 Delegierte (8,72%).
2. Worum es geht
Im Jahr 2007 stehen in Frankreich Präsidentschafts- und Parlamentswahlen an.
Wie wird die Linke zu diesen Wahlen antreten?
Die heutigen Debatten können nur vor dem Hintergrund zweier Ereignisse verstanden werden: Den Präsidentschaftswahlen 2002 und dem Erfolg der „Nein“-Kampagne bei der Volksabstimmung am 29. Mai 2005.
2.1. Der 21. April 2002
Die Strategiedebatte in der Linken ist von dem traumatischen Ereignis, das die Präsidentschaftswahlen 2002 für die Linke insgesamt darstellten, schwer belastet.
Damals war die aus dem Regierungsbündnis kommende Linke „gauche plurielle“ aus Sozialisten, Kommunisten, Grünen, Gauche Radicale und der linkssouveränistischen Bewegung von Jean-Pierre Chevenement schwer abgestraft worden. Im Vergleich zu den vorherigen Präsidentschaftswahlen 1995, als die trotzkistische Kandidatin Arlette Laguiler erstmals die Fünf-Prozent-Hürde übersprang, konnten die trotzkistischen Kandidaten insgesamt über zehn Prozent der Stimmen erhalten und damit mehr als drei mal so viel wie die KPF mit 3,37 Prozent für ihren Kandidaten Robert Hue. Dieser an sich schon bemerkenswerte und beispiellose Wahlerfolg der „extremen“ Linken wurde aber von einem anderen Ergebnis der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen überschattet. Abgestraft durch die massive Wahl für die „extreme“ Linke und Kandidaten anderer linker Formationen – der Grünen beispielsweise – zog der sozialistische Kandidat Jospin nicht in die zweite Runde der Präsidentschaftswahlen ein. Stattdessen gewann Jean-Marie Le Pen überraschenderweise so viele Stimmen, dass es in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen erstmalig seit Gründung der 5. Republik keine Wahl zwischen einem linken und einem rechten Kandidaten gab. Stattdessen mussten die Wähler zwischen einem rechten und einem faschistischen Kandidaten wählen, was die Linke in ihrer absoluten Mehrheit dazu veranlasste zur Wahl von Chirac aufzurufen. Dieser gewann dann in der zweiten Runde 82 Prozent der Stimmen.
In der kollektiven Erinnerung von Parteiaktivisten und Wählern überlagern sich diese widersprüchlichen Erfahrungen.
Für die radikale Linke – insbesondere für die trotzkistische Organisation Ligue Communiste Revolutionaire (LCR) stellte die Aufstellung des bis dahin vollkommen unbekannten Olivier Besancenot einen großen Erfolg dar. Sie gewann als kleine Organisation einen öffentlichkeitswirksamen Sprecher, dessen Bekanntheitsgrad in keinem Verhältnis zur Größe der Organisation steht. (siehe 4.5.) Da sich die LCR für die Regierungspolitik nicht verantwortlich fühlt, ist aus ihrer Perspektive das Debakel der „gauche plurielle“ „deren Problem“.
Für Wähler und Aktivisten von PCF, den Sozialisten und den Grünen sieht die Sache komplizierter aus.
Waren es gerade die kommunistischen und sozialistischen Wähler, die mit ihrer Stimmabgabe ihrer Parteien abstrafen wollten („vote sanction“), so waren sie gleichzeitig von den Konsequenzen „ihrer“ Wahl geschockt.
Während die Führungen vor allem der Sozialisten und der Grünen versuchten, dieses schlechte Gewissen ihrer Wähler gegen die in den Wahlen ausgedrückte Kritik ihrer Politik ins Feld führten – „die Protestwahl hilft nur den Rechten“ – fühlten sich viele Aktivisten und Mitglieder von Grünen, SP und PCF in ihrer Kritik der Regierungspolitik bestätigt, wussten allerdings nicht wie sie diese in eine Politik umsetzten sollten, die eben nicht den Rechten in die Hände spielt – ein Leitmotiv auch für die Debatten auf dem 33. Kongress der PCF.
2.2. Der Effekt der „Nein“-Kampagne
Die „Nein“-Kampagne gab den Kräften, die eine Politik links des Sozialliberalismus der Parteiführungen von Grünen und PS realisieren wollten einen konkreten Fokus.
Konnte die Protestwahl der sozialistischen, grünen und kommunistischen Wählerschaft bei den Wahlen 2002 noch für die Niederlage des gesamten linken Lagers verantwortlich gemacht werden, so wurde mit dem Referendum zur EU-Verfassung zum ersten Mal eine Perspektive der Mehrheitsfindung links des Sozialliberalismus greifbar.
Insofern ist der Sieg der Nein-Kräfte mehr als eine Einheit im Nein. Für das linke Nein, „le Non de gauche“, ist mit der erfolgreichen Kampagne zur EU-Verfassung die Perspektive einer „anti-neoliberalen Mehrheit“ in der Bevölkerung entstanden.
Besonders signifikant wird dieser Sieg dadurch, dass alle daran beteiligten Kräfte die Bedeutung der Einheitskampagne betonen. Mit über 1.000 Komitees im ganzen Land in deren Kern AktivistInnen von KP, LCR, Gewerkschaftern und Dissidenten aus Grünen und Sozialisten monatelang kooperierten, entstand eine echte, das ganze Land umfassende Volksbewegung.
Diese ermöglichte es auch, dass die Mehrheit der sozialistischen (59%) und grünen Wähler (64%) trotz der klaren Positionierung ihrer Parteiführungen zu Gunsten der Verfassung, für das „Nein“ gewonnen werden konnten.
Die Kombination aus dem Erfolg und der Erfahrung einer kollektiven Kampagne zum Nein hat die Linke nachhaltig geprägt und die Führungen von Grünen und Sozialisten traumatisiert.
Der 29. Mai hat als politisches Erdbeben einerseits (EU-Verfassung gekippt und die rechte Regierung von Jean-Pierre Raffarin zum Rücktritt gezwungen) und als kollektive Erfahrung tausender AktivstInnen das Zeug zu einem Gründungsmythos politischer Neuformierung zu werden.
2.3. Mehrheitswahlrecht und Neuformierung
Besonders delikat wird das Ringen um eine Neuformierung der politischen Linken in Frankreich, da er auf dem Boden eines sehr eigensinnigen Wahlrechts stattfinden muss.
Frankreich ist eine Präsidialdemokratie. Die Institutionen der V. Republik sind als Antwort des Gaullismus auf die Parteiendemokratie in der IV. Republik entstanden. Sie waren darauf ausgerichtet die Rechte hinter einem starken Präsidenten De Gaulle zu vereinigen und die Kommunistische Partei – von 1946-56 durchgehend mit mehr als 20 Prozent der Stimmen stärkste Kraft in Frankreich – auszumanövrieren. Der Effekt war, dass die
Präsidentschaftskandidatur und ihre Logik – in der zweiten Runde alles auf zwei Kandidaten zuzuspitzen – die Wahlen zukünftig bestimmte. Für die KP bedeutete dies in Zukunft bei den Wahlen für die Präsidentschaft auf einen mehrheitsfähigen sozialistischen Kandidaten angewiesen zu sein.
Für die Präsidentschaftswahlen kristallisierten sich Bedeutungsunterschiede der Runden heraus. Für die erste Runde schickte jede Formation ihren Kandidaten ins Rennen, um die eigene Organisation national zu profilieren und um die Kräfteverhältnisse innerhalb der Linken festzustellen. In der zweiten Runde gab es dann eine Fokussierung auf den jeweils bestplazierten Kandidaten, der dann vor allem die Aufgabe hatte das gegnerische Lager zu besiegen.
Konnten die Präsidentschaftswahlen früher zur Profilierung jeder einzelnen Organisation dienen und als Barometer für die Aushandlung des Kräfteverhältnisses der Wahlbündnisse für die Parlamentswahlen dienen, so hat diese Funktion seit der Wahl 2002 einen großen Schaden genommen. Die Wähler erwarten für die Präsidentschaftswahlen 2007 – gerade auf der Linken – dass die Linke Kandidaten aufstellt, die eine Wiederholung des Desasters des Einzuges von Jean-Marie Le Pen in die zweite Runde ausschließen.
Andererseits bedeutet die Personalisierung der Wahl, dass Bündnisse zwischen verschiedenen Kräften nicht gerade erleichtert werden. Denn, wenn es der eine Kandidat ist, wie sind dann die anderen Kräfte vertreten? Oder kann es nur einen Dritten gänzlich unabhängigen Kandidaten geben, der dann glaubwürdig die Einheit der Kräfte vertreten kann?
Die Parlamentswahlen und ihr Verfahren sind in Bezug auf mögliche Neuformierungsprozesse nicht weniger problematisch. In Frankreich existiert ein Mehrheitswahlrecht. Das heißt, dass der jeweilige Abgeordnete im zweiten Wahlgang die Mehrheit der Stimmen in seinem Wahlkreis gewinnen muss. Für die kleineren Parteien bedeutet dies eine automatische Abhängigkeit von einem Bündnis mit der Sozialistischen Partei, (Parti Socialiste, PS), da diese dann in einem formalisierten Bündnis jeweils nur einen Kandidaten der Linken in die zweite Runde schicken. Andernfalls droht den kleinen Parteien das Schicksal der Grünen die 1993, als diese ohne Bündnis mit den Sozialisten antraten und trotz eines Ergebnisses von 10,74 Prozent keinen einzigen Abgeordneten gewannen. Ähnlich übrigens wie der Front National, der über keine Abgeordneten verfügt (trotz 15-18% der Stimmen.)
Ein anti-neoliberales Bündnis müsste also eine solche Dynamik entfesseln, dass es in wichtigen Wahlkreisen unter der Linken in der ersten Runde erstplaziert ist, so dass dann die andere Kraft (also wahrscheinlich die Sozialisten) zu Gunsten dieses Bündnisses verzichten würden. Dann müsste zusätzlich die Rechte im zweiten Wahlgang besiegt werden.
Zusammenfassend lässt sich also feststellen, dass einerseits die Niederlage der Linken am 21. April 2002 und der Erfolg der „Nein“-Kampagne die Herausbildung eines anti-neoliberalen Bündnisses – durchaus auch gegen die Sozialisten – begünstigt. Andererseits ist die Linke – auch die anti-neoliberale – anscheinend an die Sozialistische Partei gebunden, um ins Parlament einzuziehen und ihre Mandate zu sichern. Zudem produziert das Trauma des Einzuges von Jean-Marie Le Pen in die zweite Runde die Erwartung in der Wählerschaft eine /einen Kandidaten aufzustellen, der im zweiten Wahlgang die Rechte schlagen kann.
3. Die innerparteilichen Akteure und ihr Auftreten auf dem 33. Kongreß
Diese Fragenkomplexe sind die Grundlage, um den Debatten, Resolutionen, Konflikten und Ergebnissen des 33. Kongresses näher zu kommen.
Die Parteiflügel
Mit der oben skizzierten politischen Ausgangslage gingen die verschiedenen Strömungen der PCF auf dem Parteitag sehr unterschiedlich um.
Im öffentlichen Erscheinungsbild der PCF wurden in der Vergangenheit immer zwei Grundströmungen ausgemacht. Auf der einen Seite die Modernisierer, denen seit der Übernahme der Position des Secretaire national durch Robert Hue 1994 die Parteiführung zugerechnet wird. Diese Strömung bezog sich positiv auf die von Robert Hue ausgerufene Mutation, selbst wenn sie sich ihrerseits in unterschiedliche Strömungen geteilt hat.
Andererseits in die „Traditionalisten“ oder „Stalinisten“, die die „Mutation“ als „Liquidierung“ der Partei angriffen und sich ihrerseits in unterschiedliche Strömungen unterteilt.
Diese Wahrnehmung entspricht aber nur einer medialen Vereinfachung. In Wirklichkeit ist die Lage innerhalb der Partei komplizierter. Spätestens mit diesem 33. Parteitag sind nun aber neue Konstellationen aufgetaucht, die die bisherige Wahrnehmung in Frage stellen. Grob lassen sich aus meiner Perspektive vier Strömungen ausmachen:
3.1. Die Traditionalisten
Die wohl organisierteste und am deutlichsten von allen unterscheidbare Strömung ist die „traditionalistische“ Strömung. Sie präsentierte für den Kongress als einzige vier alternative Texte, die insgesamt auf 35 Prozent der Stimmen bei der Mitgliederbefragung kamen.
Trotz der Unterschiede und Spaltungen innerhalb dieses Lagers war diese Strömung auch die einzige, die dem Kongress eine Oppositionsliste als Alternative zur Führungsliste von Marie-George Buffet gegenüberstellte.
War das Ergebnis dieser Wahl mit etwa 8 Prozent eine bedeutende Niederlage, so reflektiert dieses aber nicht die Präsenz dieser Strömung auf dem Kongress.
Als Hauptvertreter einer kommunistischen Kandidatur und deren Verkündung auf dem 33. Parteitag erhielt der von dieser Strömung diesbezüglich eingebrachte Antrag etwa 35 Prozent der Stimmen. Diese Zahl kommt den Stimmen der Mitgliederbefragung näher – überschätzt aber wahrscheinlich das Stimmenpotential der Traditionalisten, da wahrscheinlich auch eine Reihe von „Hueisten“ (siehe 3.3.) aus taktischen Gründen für den Antrag stimmten und die oppositionellen Strömungen sicher eher ihre Anhänger mobilisieren können, als die Strömung, die einfach dem Leitantrag der Mehrheit zustimmt.
Verankert ist diese Strömung in den historischen Hochburgen der PCF, beispielsweise in der Region „Nord“ und „Pas de Calais“, aber auch in dem Departement „Marne“ in dem „roten Gürtel“, der Industrie- und Arbeiterkonzentration um Paris.
Dazu kommt eine nicht unbeträchtliche Anzahl von betrieblichen AktivistInnen, entweder aus den verbleibenden „Betriebszellen“ oder von den aktiven Mitgliedern der CGT.
Diese Strömung ist einerseits durch ihre Verankerung in der klassischen industriellen Arbeiterklasse gekennzeichnet, selbst wenn diese gerade auch in den Herkunftsdepartements durch eine tiefe strukturelle Krise gezeichnet ist.
Die Strömung vertritt im Guten wie im Schlechten das „ouvriereistische“ Erbe der PCF.
Die PCF konnte lange Zeit ihren Anspruch die „Partei der Arbeiterklasse“ zu sein durchaus glaubhaft untermauern. 1978 – allgemein als Höhepunkt der Parteientwicklung der PCF anerkannt – gewann die Partei 39 Prozent aller Arbeiterstimmen in Frankreich – fast doppelt so viel wie das eigentliche Wahlergebnis (20 Prozent). Selbst 1997 nach 20 Jahren Niedergang verzeichnete die PCF mit 15 Prozent unter Arbeitern noch ein überdurchschnittliches Ergebnis im Verhältnis zum Gesamtergebnis. Das Gleiche betrifft die Mitgliedschaft. Während 1979 die Arbeiter mit 46,5 Prozent die größte und wichtigste Gruppe ausmachten, so waren sie 1997 mit nur noch 31 Prozent nahe an ihrer Präsenz in der Gesamtbevölkerung (28%) – damit aber im Vergleich zu allen anderen politischen Formationen aber immer noch am besten repräsentiert.
Unter dieser Arbeiterbasis ist die Ablehnung der „Mutation“, also der Modernisierung größer als im Rest der Partei. Die Ablehnung der „Mutation“ speist sich aus unterschiedlichen Quellen. Einerseits war es dieser Flügel, der als erstes die Opposition gegen die Privatisierung der Regierung unter Beteiligung der Kommunisten ausdrückt und organisiert – beispielsweise gegen den Verkauf von Aktien der Air France als Schritt zur Privatisierung unter einem kommunistischen Transportminister.
Dieser Flügel war es aber auch, dem die Abrechnung mit dem Stalinismus – also die Aufarbeitung der Geschichte der Sowjetunion ebenso, wie die dunkleren Seiten der PCF-Geschichte zu weit gehen.
Zusätzlich werden in diesem Flügel die Öffnungen gegenüber den sozialen Bewegungen und ihren politischen Positionen, z.B. in der Drogenpolitik kritisch beäugt – weshalb die Charakterisierung dieses Flügels als ungebrochen „linke“ Opposition meines Erachtens keinen Sinn macht.
Dabei bezog sich auch dieser Flügel auf den Erfolg bei dem Referendum gegen die EU-Verfassung am 29. Mai 2005. Allerdings betonen sie dabei vor allem die Rolle der PCF selbst. Dies ist auch deswegen erklärlich, da in diesen Bereichen die Partei die Kampagne alleine führte – ohne dabei auf Bündnisse oder „Nein“-Kollektive zurückzugreifen oder diese zu gründen.
Besonders bezeichnend war ein Beitrag eines Vertreters aus dem Pas-de-Calais in dem er erklärte bei sich gäbe es keine altermondialistische Bewegung, keine nennenswerten Kollektive und keine LCR. Solle er diese etwa aufbauen, um dann Kooperationspartner zu haben, fragte er rhetorisch.
Ein zweiter Bezugspunkt der Beiträge aus dieser Strömung war die eindringliche Warnung erneut in ein Bündnis mit den Sozialisten gezogen zu werden. Die Vertreter konnten dabei eindrucksvoll berichten, wie die Enttäuschung über die Regierungsbeteiligung in ihren Wahlkreisen zur Schwächung der KP und zum Aufstieg des Front National beigetragen habe. Das Ziel die „Arbeiter-Stimmen“ des Front National wieder zu gewinnen war dabei ein wichtiges Thema der Redebeiträge.
In der strategischen Debatte lavierten die RednerInnen aus diesem Flügel zwischen einer Einschätzung großer Stärke von Seiten der PCF einerseits und der Erklärung, dass wenn es sein muss, „Kommunisten auch bereit sein müssten einen langen Marsch durch die Wüste durchzustehen.“ Diese Widersprüchlichkeit aus Überschätzung der unabhängigen, eigenen Kraft der PCF und der Unterschätzung bis Geringschätzung der Kräfte außerhalb der PCF – also der Globalisierungskritischen Bewegung, der Jugend etc. – war auch ein wesentlicher Angriffspunkt gegen diese Strömung.
3.2 Die Refondateurs
Eine ebenfalls gut organisierte Strömung sind die „Refondateurs“, die „Neugründer“. Auch diese traten organisiert auf dem Kongress auf – allerdings ohne eine eigene Liste aufzustellen, da sie sich in der Liste von Marie-Gorge Buffet aufgehoben fühlen.
Entstanden ist diese Strömung 1989 im Zuge des Zusammenbruches des Ostblockes. Laut Roger Martelli, einem der heutigen öffentlichen Vertreter dieser Strömung, ist sie die erste Oppositionsströmung, die innerhalb der Partei geblieben ist – bzw. nicht ausgeschlossen wurde.
Diese Strömung bezieht ihre strategischen und politischen Bezugspunkte aus dem Eurokommunismus. War zwar auch George Marchais als damaliger Generalsekretär der PCF an dessen Proklamation 1977 beteiligt, so wurde dieser doch durch eine Wendung hin zur UdSSR Ende der 70er Jahre zurückgedrängt – die sich unter anderem in der Rechtfertigung der Niederschlagung der Gewerkschaft Solidarnosc ausdrückte, und setzte sich niemals richtig in der PCF durch.
Der Eurokommunismus und die Strömung der Refondateurs sind dabei sehr ambivalent. Ihnen wird von den Traditionalisten der größte Verrat vorgeworfen. Dieser bezieht sich sowohl auf das kommunistische Erbe als auch auf deren Werkzeug: die Partei. In beiden Fällen wird dieser Strömung die Liquidierung vorgeworfen.
Und tatsächlich sind die Entwicklungspfade dieser Strömung ambivalent. So war für einen Großteil der eurokommunistischen Vertreter in Italien der Eurokommunismus nur die Durchgangsstation zu einer Auflösung der PCI nach dem Zusammenbruch des Ostblockes. Und auch die Strömung der Refondateurs hat solche „Karrieren“ vorzuweisen. Von den drei bekanntesten Gründerfiguren – allesamt ehemalige Minister der Mitterrandregierung – ist heute keiner mehr in der PCF. Einer der bekanntesten Figuren, Charles Fitterman, ist sogar zu den Sozialisten übergelaufen und heute ein einfacher Abgeordneter der PS.
Aber auch hier ist Vorsicht geboten. Denn diese Strömung einfach auf dem „rechten“ Parteiflügel zu verorten wäre falsch.
Richtig ist, dass diese Strömung wichtige traditionelle, inhaltliche Grundsätze und politisch-organisatorische Traditionen der PCF in Frage stellt.
Dazu zählen die „führende Rolle der Arbeiterklasse“ und die „Führungsanspruch der PCF über die Arbeiterklasse“. Dazu zählt aber auch beispielsweise das Staatsverständnis der alten PCF, in der es darum ging die Macht (revolutionär oder über den Wahlzettel) zu erobern und dann den Sozialismus von oben herab einzuführen.
Auch hier sind die Schlussfolgerungen ambivalent. So kann beispielsweise die Kritik am „Etatismus“, einer staatsfixierten politischen Strategie dazu führen den Aspekt der Selbstemanzipation wieder hervorzuheben und dem staatszentrierten Politikmodell ein auf gesellschaftliche Gegenmacht orientiertes Modell entgegenzusetzen. Die Kritik am „Etatismus“ der alten PCF kann aber auch dazu führen der Praxis der Verwaltung kapitalistischer Verhältnisse in der Regierung einen progressiveren, partizipativeren Anstrich zu verpassen – bzw. sogar den Weg zu Konzepten von Privatisierung eröffnen.
Das Gleiche gilt für die Suche nach dem Subjekt. Wird die Arbeiterklasse von dem mythologischen Sockel gestoßen, kann daraus im Namen der Zivilgesellschaft verantwortete Auflösung von Klassenwidersprüchen resultieren, die ideologisch störungsfreies Regieren ermöglicht, oder es kann den Blick für neue gesellschaftliche Bündnisse und Neukompositionen von Klassen schärfen.
Beide Entwicklungspfade finden sich bei den Refondateurs. So war wie beschrieben, für einen ihrer Gründer tatsächlich der Weg zu der Sozialdemokratisierung konsequent und führte zum Übertritt zu den Sozialisten. Ebenso war die Kritik an verstaubten Traditionen sicher auch ein Einstieg in die Diskussion um progressive Entstaatlichung, also die ideologische Begleitmusik für beispielsweise den Verkauf der Air-France-Aktien unter einem komm. Transportminister.
Gleichzeitig muss man dieser Strömung aber auch zu Gute halten, dass sie sich in ihrer Mehrheit anders entwickelt hat. So wird der Konflikt um die Privatisierung in der Regierung der „gauche plurielle“ als ein Schlüsselpunkt wahrgenommen, der dazu führte sich von der Strömung der Hueisten abzusetzen. Anders als diese wollten sie eben keine Privatisierung verantworten und insofern haben sie eben den Ausverkauf kommunistischer Grundlagen in ihrer Mehrheit nicht mitgemacht.
Wichtiger ist aber wohl, dass diese Strömung, da sie „auf der Suche“ nach einem gesellschaftlichen Subjekt war, wohl am ehesten die globalisierungskritische Bewegung und deren neue Bündnissysteme wahrgenommen und ihnen eine strategische Bedeutung zugeordnet hat.
So war es diese Strömung, die schon früh das Thema „Globalisierung“ entdeckte und sich bereits an dem ersten Weltsozialforum in Porto Allegre beteiligte.
Es war ebenfalls diese Strömung die auf eine Zusammenarbeit mit Attac drängte und das ESF in Paris als zentrale Möglichkeit wahrnahm.
Schließlich war es diese Strömung, die aus den Netzwerken des ESF heraus an der Ausarbeitung des Appels der 200 arbeitete, der die Kampagne gegen die EU-Verfassung überhaupt erst möglich machte.
In dem Maße wie diese Öffnung forciert wurde, musste diese Strömung auch in Widerspruch zu der elektoralistischen Strategie des Bündnisses mit der Sozialdemokratie geraten. Denn das Bündnis und die Öffnung gegenüber der globalisierungskritischen Bewegung bedeutete politisch die Wahrnehmung einer neuen Grundspaltungslinie zwischen neoliberaler und anti-neoliberaler Politik. Ein Bündnis mit der globalisierungskritischen Bewegung bedeutete also, wenn es nicht nur als ideologische Ressource, sondern als konkreter Ausgangspunkt einer politischen Neuformierung gesehen wurde, in Widerspruch zu der Bündnisstrategie mit der PS und damit zu vielen Mandatsträgern innerhalb der Partei zu geraten, die in der unbedingten Fortführung dieses Bündnisses ihre einzige Überlebenschance sehen.
Der erste Test für diese Strategie war die Liste „Alternatives Citoyennes“. Tatsächlich war es dieser Flügel der erstmals bei den Regionalwahlen 2004 die Initiative für eine offene globalisierungskritisch beeinflusste Liste in Paris und in Ile de France (Großraum Paris) ergriff – ein Bereich, wo die „Refondateurs“ besonders stark waren, und wo über das ESF in Paris besonders intensive Verbindungen zu sozialen und globalisierungskritischen Bewegungen aufgebaut wurden. Die guten Ergebnisse dieser Liste – 7,8 Prozent in der Ile de France und 5,6 % in Paris selbst – galten als ein erster Test für breitere Wahlallianzen. Diese Herangehensweise verhinderte auch nicht, dass es in der zweiten Runde der Wahlen eine Absprache mit den Sozialisten gab, um die Rechte gemeinsam zu schlagen. Allerdings fanden die Verhandlungen zu dieser erst zwischen den zwei Runden statt. Sonst hatten die Kommunisten immer schon auf einer gemeinsamen Liste mit den Sozialisten kandidiert.
Die Refondateurs sind dementsprechend auch die Kraft, die am stärksten auf eine Einheitskandidatur bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2007 drängen.
Sie waren es die schon während der Kampagne zum Nein die Möglichkeit einer anti-neoliberalen Einheitskandidatur aufwarfen. Um dieses Ziel zu erreichen arbeitet diese Strömung sowohl innerhalb der Partei, als auch außerhalb. Ähnlich wie der Appell der 200 gibt es auch jetzt einen Appell für eine anti-neoliberale Einheitskandidatur. Eine Homepage wurde eingerichtet und es wurden bereits über 5.000 Unterschriften (Stand Ende April) für eine solche Initiative gesammelt. Natürlich ist es nicht allein die Strömung der Refondateurs, die an dieser Initiative arbeitet, aber sie haben an deren Zustandekommen einen wichtigen Anteil.
3.3. die Hueisten
Die Hueisten werden zwar einerseits allgemein als Strömung wahrgenommen und als solche bezeichnet – sowohl innerhalb der Partei, als auch außerhalb. Ihnen werden immerhin rund 25 Prozent der Delegierten und mindestens ein ebenso hoher Anteil im Apparat der Partei zugerechnet. Andererseits traten sie aber weder offen auf dem Parteitag, noch in der Öffentlichkeit auf.
Das hat seine Gründe: Anders als der Rest der Partei ziehen sie keine oder kaum eine kritische Bilanz der Regierungszeit unter der „gauche plurielle“. Besonders stark unter den Mandatsträgern, die von einem Bündnis mit den Sozialisten abhängen, empfindet dieser Flügel eine überzogene Kritik an der „gauche plurielle“ als Hindernis für die zukünftige Zusammenarbeit mit den Sozialisten und als gefährliches Hochschrauben der Erwartungen gegenüber einer solchen Regierung.
Diese Haltung überträgt sich auch auf die Bündnispolitik mit den sozialen und globalisierungskritischen Bewegungen – insbesondere gegenüber der Kampagne des Neins. Die Öffnung gegenüber diesen Bewegungen wird als Schwenk in den „gauchismus“ angegriffen. Die sozialen Bewegungen seien undefinierbar, inhaltlich unbestimmt und von der „extremen Linken“ unterwandert, bzw. beeinflusst.
Am Ende komme man doch um ein Regierungsbündnis mit den Sozialisten nicht herum, denn nur in einer solchen Regierung ließen sich Veränderungen durchsetzen.
Angesichts dieser Positionen versteht sich die Schweigsamkeit auf dem Parteitag und in der Öffentlichkeit. Offen ausgesprochen würden diese Positionen Empörung hervorrufen. Und so schweigen die öffentlichen Vertreter diese Strömung lieber. Auch Robert Hue, immerhin ehemaliger Sécretaire national und einer der bekanntesten medialen Figuren, hat keine einzigen Redebeitrag auf dem viertägigen Kongress gehalten.
Allerdings gibt es einige wenige Gelegenheiten wo dieses Schweigen gebrochen wurde und die Ansichten dieses Flügels offensichtlich wurden. So schrieb beispielsweise Frederick Bertrand, der klar zum Flügel der Hueisten gerechnet wird, kurz vor der Abstimmung über die EU-Verfassung einen sehr denkwürdigen Artikel: „Referendum, la gauche la plus bète du monde“ (Referendum. Die dümmste Linke der Welt.)
In diesem bemerkenswerten Artikel werden wesentliche Stellungen dieses Flügels offenbar.
So wird die Kampagne gegen die EU-Verfassung abgelehnt. Sie wird als geschicktes Spaltungsmanöver von Seiten Chiracs dargestellt, der damit die Linke in Bedrängnis bringt. Entscheidend ist aber, dass an dem Regierungsbündnis mit den Sozialisten kein Zweifel gelassen wird und die Kampagne gegen die EU-Verfassung verunglimpft wird. Diese sei eine linksradikale Veranstaltung und würde die PCF zur Geisel der extremen Linken machen. Damit wird die Unterscheidung zwischen neoliberaler Politik und anti-neoliberaler Politik komplett fallen gelassen zugunsten einer inhaltlich nicht näher definierten Mehrheits- und Bündnisperspektive mit den Sozialisten. Um diese Perspektive zu rechtfertigen, muss zwangsweise die anti-neoliberale Sammlungsbewegung klein geredet werden.
Ein solcher Artikel wenige Wochen vor dem größten Erfolg der anti-neoliberalen Linken, hat dieser Strömung schwer geschadet. Denn ganz im Gegenteil zu der Perspektive von Frederick Bertrand ist es der anti-neoliberalen, radikalen Linken erstmals gelungen in einer grundlegenden Frage eine Mehrheit der Bevölkerung und eine überwältigende Mehrheit der Wähler und Mitglieder der PS und der Grünen zu gewinnen. Das ist umso bedeutender, da die Führungen dieser Parteien im Verbund mit der überwältigenden Mehrheit der Medien für das Ja kämpften. Insofern ist es der radikalen Linken erstmals gelungen die Hegemonie der Sozialdemokratie über ihre Wähler- und Anhängerschaft in Frage zu stellen.
Aus der Perspektive der Hueisten ist das aber nur eine Ablenkung von dem eigentlich entscheidenden Bündnis mit den Sozialisten. Die Öffnung gegenüber dieser Bewegung und sogar der extremen Linken, symbolisiert in der sehr erfolgreichen gemeinsamen Kampagne mit der trotzkistischen LCR und großen Veranstaltungen mit der Marie-George Buffet und Olivier Besancenot, kann da nur ein gefährlicher Irrweg sein.
Und doch schweigt diese Strömung in der aktuellen innerparteilichen Auseinandersetzung. Wieso?
Einerseits weil sie sich richtigerweise in der Minderheit wähnt und befürchten müsste ihre Posten innerhalb der Partei zu verlieren.
Andererseits hofft diese Strömung darauf, dass die Kräftekonstellation bei den Parlamentswahlen gar keine andere Wahl zulässt als sich wieder auf ein Bündnis mit den Sozialisten einzulassen. Deswegen wartet diese Strömung ab und versucht derweil hinter den Kulissen Schritte hin zu einem anti-neoliberalen Bündnis zu verhindern. Denn die Hueisten wären sicher die großen Verlierer eines solchen Bündnisses. Hatten sie dieses immer, mehr oder weniger offen bekämpft, so wären es insbesondere ihre Kandidaten, z.B. in der Nationalversammlung, die darum fürchten müssten, dass ihre Sitze den Bündniskandidaten, z.B. der LCR oder anderen globalisierungskritischen Kandidaten geopfert werden würden. Bisher sind diese Kandidaten zusätzlich dadurch geschützt, dass sie als Amtsinhaber um ihre Wiederwahl kämpfen. Die Schaffung eines neuen anti-neoliberalen Bündnisses würde aber die Perspektive eröffnen auch bestehende Kandidaten durch jüngere zu ersetzen, da die Chance bei den Wahlen erfolgreich zu sein steigt.
Selbst wenn aber das Wahlbündnis zustande kommen würde, könnten die Hueisten auf den Wahlausgang selbst hoffen. Was wäre denn beispielsweise, wenn es an den kommunistischen (oder anti-neoliberalen) Abgeordneten läge, ob eine rechte oder eine sozialistische Regierung zustande käme. In einem solchen Fall könnten dann die Hueisten die Gunst der Stunde nutzen und die Erwartung der Wählerschaft eine rechte Regierung zu verhindern, nutzen, um das angestrebte Bündnis mit den Sozialisten wieder hinzukriegen.
3.4. Die Mehrheit „Buffetisten“
Die „Buffetisten“ sind im eigentlichen Sinne keine Strömung. Insgesamt gibt es ja in der PCF keine offenen Strömungen. Zwar sind die „Refondateurs“ und auch die „Traditionalisten“ mittlerweile auch durch Publikationen und gesonderte Veranstaltungen kenntlich. Offiziell gibt es aber keine organisierten Strömungen und bis auf die „Traditionalisten“, die erstmals eine Oppositionsliste aufstellten, sind auch alle Strömungen in der Liste für den Conseil National von Marie-George Buffet aufgehoben.
Und tatsächlich ist die Führung um Marie-George Buffet schwer einzuordnen. Zwar ist die Abgrenzung zu den Traditionalisten klar, beispielsweise als Marie-George Buffet auf dem Kongress erneut klar die Verbrechen der stalinistische Regime angriff und betonte es hätte nach der Veröffentlichung der Geheimprotokoll durch Chrustchow auch alternative Wege geben können – was eine Kritik des Umganges der PCF mit den Geheimprotokollen darstellt, die diese lange nicht veröffentlicht hatte.
In Bezug auf andere Fragen bleibt Marie-George Buffet schwieriger einzuordnen. Anders als die Hueisten sieht sie die Regierungsbeteiligung unter der „gauche plurielle“ sehr kritisch und warnt dementsprechend vor einer Wiederholung der Katastrophe der „Alternance“, womit die Ablösung der jeweils gerade regierenden Regierung gemeint ist und somit sich die Unzufriedenheit der Wählerschaft ausdrückt
In ihrer Anfangs- und Abschlussrede hat sie viel Zeit darauf verwendet zu erklären, weshalb der Linke diesmal nicht enttäuschen darf. Ausgangspunkt ihrer Überlegungen war dann die erfolgreiche Kampagne des 29. Mai. Man müsse „den Wind des 29. Mai kräftig über das politische Leben blasen“. In der Kampagne des 29. Mai sieht Marie-George Buffet eine neuartige Einheit der Linken entstehen. Eine „union populaire“ – ein Begriff der an die „Union de gauche“ der Sozialisten in den 60/70er Jahren zwischen Sozialisten und Kommunisten und an die Volksfront („front populaire“) in den 30ern anknüpft – hätte sich dort konkret in einer gemeinsamen Kampagne von tausenden von AktivistInnen gebildet und nicht durch die Generalstäbe von Parteien. Diese Einheit gelte es fortzusetzen und in eine politische Einheit zu verwandeln. Dafür hat Marie-George Buffet zwei wesentliche Dinge vorgeschlagen – und der 33. Kongress ist ihr dabei gefolgt. Erstens wird die PCF über ihre Kandidatur erst im November entscheiden und schlägt eine anti-neoliberale Einheitskandidatur vor, wofür sie allerdings einen kommunistischen Kandidaten am geeignesten hält.
Zweitens wird Marie-George Buffet alle Kräfte des Nein am 29. Mai zu einer gemeinsamen Veranstaltung einladen, um die Möglichkeit einer Kandidatur zu erörtern.
Aber auch hier ist Marie-George Buffet ambivalent. Denn ebenso wie sie die Dynamik des 29. Mais betont, so versucht sie die Tür zu den Sozialisten nicht zu zuschlagen. So betonte sie in der Rede auf dem Parteitag, dass das Konzept, dass es „zwei Linke“ gäbe, eine sozialliberale und eine anti-neoliberale, die unvereinbar seien, nicht stimme.
Schon direkt einen Tag nach dem Referendum hatte Buffet erklärt man müsse die „Ja-Linke“ und die „Nein-Linke“ auch wieder miteinander vereinen können. In Abgrenzung von den Positionen der LCR und auch ihrer eigenen Traditionalisten erklärte sie, dass es nicht um eine „candidature de temoinage“ (einer Kandidatur um Zeugnis abzulegen) gehen würde, sondern darum etwas konkret für die Menschen zu verbessern.
Gleichzeitig hat sie in ihren Reden die Sozialisten scharf für ihre Anpassung an die neoliberale Politik angegriffen – die die Sammlung der Linken zu ihren Bedingungen betreiben wollten.
Wie ist diese Position einzuordnen?
Wie kann die PCF gleichzeitig die Formierung eines anti-neoliberalen Bündnisses vorschlagen und betreiben und andererseits das Bündnis mit den Sozialisten suchen?
Handelt es sich um ein unausweichliches Dilemma? Oder ist es möglich den Druck einer anti-neoliberalen Formierung in eine von den Sozialisten geführte Regierung zu übersetzen?
Oder ist die Forderung nach einer Formierung der anti-neoliberalen Linken nur ein Vorwand, um die eigene Ausgangsposition in einer Regierungs- und Bündnisbildung mit den Sozialisten zu verbessern?
Die Antwort auf diese Fragen können zu diesem Zeitpunkt kaum gegeben werden.
Fest steht, dass die PCF durch ihre Vertagung und ihren Appell für eine Einheitskandidatur das Tor für eine solche aufgestoßen hat. Damit hat sie sich in eine gute Ausgangsposition gebracht hat. Sie hat mit ihrer Entscheidung auf dem Parteitag die anderen Kräfte einer möglichen Neuformierung in Zugzwang versetzt.
Insbesondere die LCR steht unter Druck, da sie ihre Entscheidung auf einem nationalen Kongress im Juni treffen möchte.
Die Situation ist deswegen kompliziert, weil die PCF anders als die LCR auf Zeit spielen kann. Will eine Partei einen Präsidentschaftskandidaten aufstellen, so muss sie 500 Unterschriften sammeln – und zwar von Abgeordneten oder Bürgermeistern. Für die PCF stellt dies kein Problem dar, da sie alleine über diese Anzahl Abgeordnete und Bürgermeister verfügt. Für die LCR hingegen ist die Sammlung der 500 Unterschriften ein enormer Kraftakt, der vor allem auch Zeit braucht.
Spielt die PCF also nur auf Zeit, um am Ende doch mit der PS in ein klassisches Regierungsbündnis einzuschwenken?
Oder ist dies tatsächlich der Einstieg in einen historischen Neuformierungsprozess der französischen radikalen Linken?
4. die anderen Akteure der politischen Neuformierung in Frankreich
In der Koalition der „Nein“-Kampagne engagierten sich die unterschiedlichsten Organisationen und viele einzelne Aktive. Mit über 1.000 aktiven Kollektiven im ganzen Land wird die Dynamik von manchen Beteiligten größer eingeschätzt als beispielsweise die Kampagne für den Präsidentschaftswahl von Francois Mitterrand oder die Mobilisierungen um den Mai 68.
Schafft es die französische Linke aus dieser Einheit im „Nein“ eine politische Neuformierung auf den Weg zu bringen?
Die PCF hat dafür ein Zeitfenster bis zum Oktober/November eröffnet und mit ihrem Appell die anderen Kräfte des „Nein“ unter Zugzwang gesetzt.
Wer sind diese? Und wie stehen sie zu der Neuformierung? Ein kurzer Überblick.
4.1. Die „Nein“-Sager bei den Sozialisten. Die Strömung und Jean-Luc-Mélenchen
Eigentlich hatten die Sozialisten, nachdem viel über eine Spaltung der Partei im Anschluss an den Erfolg des „Nein“ und den Ausschluss der Anhänger von Laurent Fabius aus dem nationalen Führungsgremium der Sozialisten gesprochen worden war, mit ihrem Kongress im November einen wichtigen Befreiungsschlag erreicht. Alle innerparteilichen Oppositionsströmungen (Marc Dolez und seine „Nein“-Strömung aus dem Norden, Henri Emanuelli, Laurent Fabius, Gerard Filoche und auch Jean-Luc Mélenchon) hatten sich wieder hinter der Führung vereinigt.
Vielleicht trügt aber der mediale Schein der Einheit – zumindest in Bezug auf die Strömung von Jean-Luc Mélenchon.
Diese hat sich in einem eigenen Verein organisiert, der am 8./9. April seine erste nationale Konferenz abhielt. Dies hat natürlich eine gewisse Ähnlichkeit zu der Gründung der „Initiative Arbeit und soziale Gerechtigkeit“ in der SPD, selbst wenn es in der sozialistischen Partei eine längere Tradition für stark organisierte Strömungen gibt.
Wichtig ist dementsprechend wohl eher das politische Resultat der Konferenz. Auf seiner zentralen Rede auf dem Kongress spricht Mélenchon in Bezug auf die Entscheidung der PCF für eine anti-neoliberale Sammlungskandidatur von einer „historischen Entscheidung“ und ruft zu der Formierung einer „union dans l’union“ auf, die innerhalb eines linken Regierungsbündnisses die Kräfte der „rupture“, des Bruches mit dem Kapitalismus sammelt.
Bedeutender ist aber, dass er auf dem Kongress einen Bruchpunkt mit den Sozialisten benannt hat. Sollten die Sozialisten Ségolaine Royal aufstellen, die das „Nein“ nicht respektieren wolle und auf eine neoliberale Politik festgelegt sei, so würde dies die Strömung nicht akzeptieren.
Angesichts dessen war der groß inszenierte gemeinsame Auftritt von Marie-George Buffet und Jean-Luc Mélenchon noch bedeutender und bedeutet, dass es durchaus eine Möglichkeit gibt, dass ein Teil der Sozialisten sich einer anti-neoliberalen Sammlungsbewegung anschließen könnte.
4.2. Kollektive des Neins
Die Kollektive des 29. Mai waren der Kern der Volksmobilisierung, der den Erfolg bei dem Referendum erst ermöglichte. Auf dem Höhepunkt der Kampagne waren es über 1.000, so sind heute noch immer schätzungsweise 400 davon aktiv.
Insbesondere die Mobilisierung gegen die Bolkesteinrichtlinie wurde von diesen Kollektiven getragen. In ihrer Zusammensetzung auch regional sehr unterschiedlich, haben sich die Kollektive seit dem Referendum bereits zwei Mal zu einem nationalen Treffen getroffen. Am 13. Mai werden die Kollektive sich erneut versammeln. Ziel des Treffens ist es eine anti-neoliberale Charta zu verabschieden. Diese ist als programmatisches Dokument gedacht, um das Nein gegenüber der Verfassung durch eine selbstständig erarbeitete Zukunftsvision zu ersetzen.
Gleichzeitig ist in den Kollektiven der Wunsch nach einer einheitlichen Kandidatur sehr stark und die Kollektive haben in ihrer Erklärung angedeutet, dass sie die Erarbeitung und Verabschiedung der Charta eben auch als eine politische Intervention für die Wahlen 2007 sehen wollen.
Ebenfalls aus diesem Kreis stammt der erste unabhängige Appell für eine „Einheits“-Kandidatur, der bereits von 7.000 Menschen unterzeichnet wurde.
4.3. Gewerkschafter:
Während in Deutschland ja bekannterweise wichtige Gewerkschaftsaktivisten ein Ausgangspunkt für die Gründung der WASG waren, so sind die Gewerkschaften in Frankreich bis jetzt in Bezug auf diesen Prozess recht passiv.
Das hängt einerseits damit zusammen, dass die Gewerkschaften – insbesondere die größte, die CGT – lange um ihre Unabhängigkeit von der Parteipolitik kämpfen mussten. Dementsprechend ist ein direktes parteipolitisches Engagement, bzw. das Engagement für eine politische Neuformierung schwierig.
Allerdings gibt es hier auch Ausnahmen. Beispielsweise hat der Gewerkschafter Claude Debons sowohl bei der Schaffung der 29. Mai-Kollektive, als auch bei der jetzigen Kampagne für eine Einheits-Kandidatur eine wichtige Rolle inne. Hierbei handelt es sich aber bezeichnenderweise um einen Gewerkschafter, der 1995 wegen der Unterstützung der CFDT für die Reformen der Juppé-Regierung aus dieser Gewerkschaft ausgetreten war und sich seitdem dem Aufbau außerparlamentarischer Bewegungen gewidmet hatte.
4.4. Grüne
Bei der Abstimmung über die EU-Verfassung waren die Wähler der Grünen mit 64 % für das „Nein“ der Mehrheit und verweigerten damit der Führung ihrer Partei noch deutlicher die Gefolgschaft als die Sozialisten. Allerdings gibt es bei den Grünen weniger stark herausgebildete Strömungen und potentielle Führungspersönlichkeiten des „Nein“, die zu Akteuren in einem anti-neoliberalen Neuformierungsprozess werden könnten.
Sollte allerdings eine Neuformierung des anti-neoliberalen Lagers entstehen, so würden sicher viele Grünen-Wähler und Mitglieder sich dieser anschließen, da insgesamt die elektorale Disziplin unter diesen Wählern – anders als beispielsweise bei den Stammwählern der Grünen in Deutschland – weit schwächer ausgeprägt ist.
Immerhin könnte der Abgeordnete Yves Wehrling, der auch den Kongress der PCF besuchte, und sich sowohl stark in der „Nein“-Kampagne als auch in den globalisierungskritischen Mobilisierungen stark engagiert hatte, ein politischer Vertreter einer Neuformierungnsströmung bei den Grünen werden.
4.5. Die Ligue Communiste Révoluitionaire (LCR)
Der wohl wichtigste Partner für die PCF bei einer eventuellen Neuformierung der Linken ist die LCR. Zwar ist diese im Verhältnis zur PCF eine kleine Organisation. Die LCR hat etwa 3.000 Mitglieder, während die PCF über 100.000 Mitglieder zählt. Andererseits wäre es verfehlt die Mitgliederzahl für den alleinigen Ausdruck der Bedeutung der LCR heranzuziehen. Die LCR ist in den sozialen und globalisierungskritischen Bewegungen wie beispielsweise Attac und in der Jugend gut verankert.
Außerdem bedeutet auch die Tradition einer Kaderpartei aus der die LCR stammt, dass die Mitgliederzahl geringer ist als beispielsweise bei der PCF, wo es noch immer ganze Generationen gibt, die „automatisch“ in die Partei reinwachsen.
Dazu kommt, dass die LCR trotz ihrer Größe mit Olivier Besancenot einen enorm populären Politiker als öffentlichkeitswirksamen Kopf besitzt. Besancenot ist der einzige junge Politiker in einer extrem überalterten Politikergeneration. Er ist gut befreundet mit prominenten Rappern und vermeidet durch sein Image als „einfacher“ Postbote die Ausgrenzung als abgehoben-intellektueller, revolutionärer Luftschloßfürst. In den Umfragen steht er zurzeit bei 4-6 Prozent und damit vor den Umfragen für Marie-George Buffet. (3-4%)
Die Debatte innerhalb der LCR ist sehr kompliziert und umfangreich. Zum letzten Parteitag der LCR im Januar standen den Mitgliedern fünf politische Plattformen zur Auswahl, die allesamt zu allen Themen Stellung bezogen. Hier kann es deswegen nur darum gehen wesentliche Diskussionsstränge und Strömungen kurz darzustellen.
Das wichtigste Resultat des 16. Kongresses der LCR war die Entscheidung über die Kandidatur der LCR zu den Präsidentschaftswahlen 2007 nicht im Januar, sondern erst im Juni zu entscheiden. Das ist deswegen signifikant, da die Mehrheit der Führung der LCR, die in der Plattform 1 organisiert ist, eigentlich auf dem Kongress im Januar die Kandidatur von Olivier Besancenot beschließen lassen wollte. Dafür bekam sie aber nur 48 %.
Grob lassen sich zwei Grundströmungen unterscheiden. Auf der einen Seite steht die Mehrheitsplattform und zwei kleine Minderheitsplattformen (Plattform 1: 48 %, Plattform 2: 12,14% und Plattform 5: 4,28%), die eine Perspektive einer Neuformierung mit der PCF sehr skeptisch beurteilen und fürchten in eine Neuauflage einer Regierungskoalition gezogen zu werden. Demgegenüber stehen zwei Minderheitenplattformen, die zusammen etwa 35 Prozent erreicht haben (Plattform 3: 26,07 und Plattform 4: 8,92%), die stärker die Chancen einer politischen Neuformierung betonen.
Alle politischen Strömungen innerhalb der LCR beziehen sich auf den Erfolg des 29. Mais und wünschen sich eine Fortführung dieser politischen Dynamik. Hatte die LCR in der Vergangenheit immer wieder zu der Gründung einer antikapitalistischen Partei aufgerufen, so wird von der Mehrheitsströmung das Angebot der PCF zu einer Einheitskandidatur skeptisch beurteilt. Sie schätzt die PCF als im Wesentlichen von ihrem Apparat dominiert ein, der auf ein Bündnis mit den Sozialisten festgelegt sei. Eine gemeinsame Kandidatur würde dann also zur Kompromittierung der LCR in einem neuen Regierungsbündnis führen. Daraus leitet sich das Beharren auf einer Kandidatur von Besancenot ab.
Auf der anderen Seite stehen die Anhänger der Plattform 3 und 4, die die Notwendigkeit einer politischen Neuformierung betonen. Sie sehen bereits in einem möglichen weitreichenden Reformprogramm, dass Grundlage einer anti-neoliberalen Einheitskandidatur sein könnte, ein Programm, das, sollte es umgesetzt werden, die Grenzen des Kapitalismus sprengen würde. Eine anti-neoliberale Sammlungsbewegung wäre also für Revolutionäre ein großes Feld, in dem sie ihre strategischen Perspektiven einem neuen Publikum eröffnen könnten.
Die Debatten in der LCR werden abseits dessen, dass sie grundsätzliche strategische Fragen der Linken in der Neuformierung aufwerfen, wahrscheinlich entscheidend für eine mögliche Neuformierung sein. Denn nachdem die PCF ihre Entscheidung auf den November vertragt hat, ist nun die LCR mit ihrem Kongress im Juni wohl der erste Akteur, der eine über eine grundsätzliche Weichenstellung entscheiden muss.
5. Ausblick und Fazit:
Der Erfolg der Referendums-Bewegung des 29. Mais und der Erfolg gegen das CPE-Gesetz haben die französische Linke wieder ins Zentrum der internationalen Aufmerksamkeit gerückt. Die Frage ist nun, ob aus dem zweimaligen „Nein“ auch eine politische Neuformierung der Linken erwächst.
Mit der Entscheidung der PCF ihre Kandidatenkür auf den Herbst zu verschieben und gleichzeitig zu einer anti-neoliberalen Einheitskandidatur aufzurufen, eröffnet für diese Neuformierung ein historisches Zeitfenster. In wird sich zeigen, ob unterschiedliche politische Traditionen zueinander finden können.
Wesentliche Stationen werden dabei erstens die nationale Versammlung der Kollektive der Kollektive des „Nein“ sein, die am 13. Mai stattfindet und dort eine anti-neoliberale Charta verabschieden wird, die als inhaltliche Grundlage einer Einheitskandidatur dienen könnte. Zweitens wird dann am Jahrestag des 29. Mais eine Versammlung auf Einladung der PCF stattfinden und schließlich wird die LCR im Juni auf ihrem Kongress über ihren Kandidaten entscheiden. Im Oktober wird schließlich die PCF über ihren Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen entscheiden.
Irgendwann zwischen diesen Daten wird sich entscheiden, ob es zu einer Einheitskandidatur kommt oder nicht. Eine nicht zu vernachlässigende Rolle spielen dabei die Sozialisten. Stellen sie beispielsweise Laurent Fabius auf, so würden sie eine starke Anziehungskraft auf das „Nein“-Lager ausüben und Neuformierungsprozesse unabhängig von den Sozialisten sicher erschweren. Stellen sie aber hingegen mit Segonlène Royal eine Kandidatin auf, so könnte dies die „Nein“-Wähler unter den Sozialisten so brüskieren, dass diese die Partei verlassen. Damit wäre dann eine Strömung da, die von außen Druck auf PCF und LCR ausüben würde sich zu vereinigen – angesichts dessen, dass es wohl ohne externen Druck auf WASG und PDS wohl kaum zu einer Einigung gekommen wäre, würde dies die Entstehung einer Neuformierung sicher erleichtern.
Könnte ein Impuls von außen den Ausgang der Neuformierung beeinflussen, so werden die entscheidenden Auseinandersetzungen aber wohl innerhalb der politisch beteiligten Neuformierungsformationen und im Wechselspiel derselben zu einander stattfinden.
Im Rahmen dessen sind viele wesentliche Fragen linker Strategie aufgeworfen worden, von deren Beantwortung das Schicksal möglicher Neuformierungen abhängt:
- Ist die parlamentarische Arbeit und Neuformierung nur ein Mittel um den Kampf um die politische Hegemonie in den sozialen Bewegungen und Gewerkschaften zu führen? Oder sind die außerparlamentarischen Bewegungen ein Mittel um Kräfteverhältnisse in einer möglichen linken Regierung zu verändern?
- Sind die Sozialisten, bzw. allgemeiner die moderne Sozialdemokratie eine neoliberale Partei und die Wahlkämpfe nur ein Kampf um die Wählerschaft der Sozialisten von diesen zu trennen, wie dies erfolgreich bei der „Nein“-Kampagne gelungen ist? Oder sind die Sozialisten Teil einer gemeinsamen Linken, die es mit Hilfe einer anti-neoliberalen Formierung nach links zu verschieben gilt?
- Gibt es einen Widerspruch zwischen einem Sieg über die Rechte, den sich eine Mehrheit der Wähler der Linken wünschen und der wohl ohne Beteiligung der Sozialisten undenkbar ist und einer anti-neoliberalen Formierung, deren Logik ja gerade die Abgrenzung von den Sozialisten beinhaltet?
- Sind politische Apparate in letzter Instanz ihrer eigenen Reproduktion verpflichteter als einem politischen Projekt ihrer Mitglieder? Ist die PCF also organisationssoziologisch an ein potentielles Regierungsbündnis mit der PS so gebunden, dass sie als Partner einer anti-neoliberalen Neuformierung ausfällt oder hat sie sich über die Beteiligung an der globalisierungskritischen Bewegung und den Kollektiven des 29. Mais so verändert, dass auch der Funktionärsapparat seine konservative Rolle nicht mehr in dem gleichen Ausmaß ausführen kann?
- Welche Bedeutung haben mögliche Programme als Grundlage einer politischen Neuformierung? Sind eine konkrete Festlegung und Richtschnur späterer Regierungsbeteiligungen oder sind sie Übergangsforderungen, deren auch nur annähernde Erfüllung einen solchen gesellschaftlichen Kampf entfachen, dass sie synonym zur Systemüberwindung sind?