Von Dieter Klein
RLS-Standpunkte 7/2003
Ein Grundgefühl hat sich in den vergangenen Jahren erdumspannend verbreitet – stärker als zuvor: dass wir in einer ungerechten Welt leben, dass die Kluft zwischen Reichen und Armen noch tiefer werden wird und die Gefahren durch Kriege und Zerstörung der Umwelt noch größer. Aber ein großer Teil der Bevölkerung glaubt zugleich, dass nichts anderes übrig bleibe, als marktradikale »Reformen« hinzunehmen, die den Lohnabhängigen und sozial Schwächeren tief in die oft ohnehin fast leeren Taschen greifen und den Großakteuren auf den internationalen Märkten reichlich geben – im Namen nationaler Standortkonkurrenz oder des Standorts Europa.
Ein Mythos hat sich ausgebreitet, es sei nichts mehr da für den Erhalt des Sozialstaats auf dem erreichten Niveau, schon gar nicht für verbesserte Leistungen oder gar für angemessene Unterstützung der sogenannten Entwicklungsländer im Kampf gegen Hunger, Armut, Krankheiten und Umweltzerstörung. Ja, in versunkenen früheren Zeiten hätte es noch etwas zum Verteilen gegeben, doch nun sei dafür nichts mehr da. Wir sollen durch ein Tal der Tränen gehen – zugunsten der ökonomisch Mächtigen. Dann würden diese investieren, so hören wir. Arbeit käme dann zu den Arbeitslosen und Wohlstand zu uns allen. Jedoch – dieses Rezept wird schon seit drei Jahrzehnten erfolglos praktiziert.
Aber unsere Herrschenden sehen noch reichliche Reserven für die Fortsetzung ihrer antisozialen Politik. Jetzt haben sie sich in Deutschland aufgemacht, um Europa zu einem neuen kräftigen Schub des Abschieds vom europäischen Sozialmodell zu verhelfen, dem sehr schnell weitere Schübe folgen werden.
Berlin, im Oktober 2003