Zum Gründungskongress der Europäischen Grünen Partei vom 19. bis zum 23. Februar 2004 in Rom
"Europe, let's have a party!" lautete das Motto des IV. Kongresses der Europäischen Föderation Grüner Parteien (EFGP) vom 20. bis zum 22. Februar 2004 in Rom. Und das war durchaus im doppelten Wortsinne gemeint: Zum einen ging es darum, eine neue Partei, die Europäische Grüne Partei (EGP), aus der Taufe zu heben. Zum anderen war der Kongress als grünes Familienfest inszeniert worden, als medienwirksamer Auftakt für den Wahlkampf der europäischen Grünen zur Europawahl am 13. Juni dieses Jahres. Selbstbewusst fand die feierliche Unterzeichnung der Gründungscharta der neuen Partei durch die Vorsitzenden von 32 grünen Organisationen aus 29 Ländern im gleichen Saal im Campidoglio, dem Rathaus von Rom, statt, in dem 1957, also vor fast 50 Jahren, die Römischen Verträge der Europäischen Gemeinschaften signiert worden waren.
Die neu geschaffene EGP vereint Parteien unterschiedlichen politischen Gewichts und unterschiedlicher politischer Erfahrung. Während die grüne Partei Großbritanniens bereits 1973 gegründet wurde, entstand die Grüne Partei Zyperns erst 1996. Während die österreichischen Grünen bei den letzten nationalen Wahlen 9,5 Prozent der Stimmen (2002) verbuchen konnten, errang die norwegische Miljöpartiet de Grønne lediglich 0,2 Prozent oder ganze 3.787 Stimmen (2001). Während die deutschen Grünen mit drei Ministern an der Bundesregierung beteiligt sind und die georgischen Grünen den Premierminister stellen, spielen die slowakischen oder die maltesischen Grünen im politischen Leben ihrer Länder keine nennenswerte Rolle. Pragmatisch wurden in Rom die bisherigen Sprecher der EFGP, Grazia Francescato (Italien) und Pekka Haavisto (Finnland), als Sprecher der neuen Europäischen Grünen Partei bestätigt.
Alle Kontroversen hinsichtlich der Parteigründung konnten offensichtlich erfolgreich im Vorfeld des Kongresses ausgeräumt werden. Keine leichte Aufgabe angesichts der politischen Bandbreite grüner Parteien in Europa, die von Organisationen traditionell linker Prägung bis zu solchen eher bürgerlichen Zuschnitts reichen, von Parteien, die (wie die deutschen Grünen) die Europäische Union (EU) mit Vehemenz befürworten, bis zu solchen, die der EU eher kritisch gegenüberstehen oder sie gar ablehnen (wie die britischen, die schwedischen oder die dänischen Grünen). Daher stellten die Protagonisten der neuen Partei auf dem Kongress immer wieder die drei wichtigsten gemeinsamen Ziele heraus: Frieden, Menschenrechte und Umweltschutz.
Auf dem EFGP-Rats-Treffen im November 2003 war bereits ein Gemeinsames Manifest zur Europawahl 2004 verabschiedet worden, so dass die Aktualisierung der Leitprinzipien der EFGP von 1993 hinsichtlich der Belange der neuen Europa-Partei, für die in der Tagesordnung des Kongresses lediglich eine halbe Stunde vorgesehen war, getrost auf die Zeit nach der Europawahl verschoben werden und eine wohl eher kontroverse Debatte dazu das Familienfest nicht stören konnte. Im Gemeinsamen Manifest treten die Grünen dafür ein, dass sich die Europäische Union "in einer zunehmend fragilen und zerrissenen Welt" besonders für Frieden, Solidarität, Gerechtigkeit und Respekt vor der Vielfalt engagiert, denn diese Welt brauche konkrete Ideen für eine nachhaltige und gerechte Zukunft. Das GRÜNE Europa sei "hohen sozialen und ökologischen Standards auf der regionalen, europäischen und internationalen Ebene verpflichtet. Sie müssen Vorrang haben vor rein wirtschaftlichen Interessen. In unserem GRÜNEN Europa sollen Rechtsstaatlichkeit, Selbstbestimmung und Bürgerrechte über militärischer Macht und ökonomischer Dominanz stehen." Grundsätzliche Zielstellungen, die von allen europäischen grünen Parteien mitgetragen werden können.
Dennoch wurden im Verlauf des Kongresses immer wieder Meinungsunterschiede sowohl zwischen den Vertretern grüner Parteien Europas als auch zwischen ihnen und den als Gästen geladenen Repräsentanten von sozialen Bewegungen und grünen Parteien aus anderen Erdteilen deutlich. Egal, ob es um Europa als Global Player, um grüne Politik auf lokaler, regionaler, nationaler und europäischer Ebene oder um grüne Visionen für die Europäische Verfassung ging.
Buh-Rufe erntete der deutsche Außenminister Joschka Fischer gleich zu Beginn seiner Rede, als er den Prozess der Globalisierung nicht ablehnte, sondern für seine politische Steuerung plädierte. Diese Unmuts-Äußerungen, so Fischer, könnten wohl nur auf ein Missverständnis zurückzuführen sein, das an der schlechten Übersetzung liegen müsse. Anlass für den Außenminister, seine Sprachkenntnisse unter Beweis zu stellen, vom Deutschen ins Englische zu wechseln und rhetorisch in Fahrt zu kommen. "Wir brauchen keine einfachen Antworten auf die anstehenden Probleme", erklärte der heimliche Parteivorsitzende der deutschen Grünen, "sondern wir brauchen machbare Antworten darauf." Globalisierung müsse politisch gestaltet werden. Daher brauche ein starkes Europa eine Verfassung. Ein neues Europa sei ein Europa der Integration, keines des Nationalismus. Gleichberechtigung sei die Grundlage für Europa und für die Europäische Grüne Partei. Und auch im Verhältnis zur Dritten Welt müsse die EU eine neue Balance finden. Mit Blick auf die protektionistische Agrarpolitik der USA und der EU verlangte Fischer, die Entwicklungsländer müssten unter fairen Bedingungen Handel treiben dürfen.
Oscar Olivera von der Fair Water Pricing Movement attackierte dagegen als Vertreter der bolivianischen Sozialbewegungen scharf die auch von der EU vorangetriebene neoliberale Politik der Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen und Güter (wie Wasser). Er fragte, wie es sein könne, dass ein Abgeordneter des bolivianischen Parlaments 150 mal mehr verdiene als ein bolivianischer Bauer. Und er machte Europa verantwortlich für derartige Hinterlassenschaften des kolonialen Erbes.
Insbesondere die Panel-Diskussion zum Verfassungsentwurf des Europäischen Konvents verdeutlichte das Spannungsfeld, in dem sich die Politikansätze der verschiedenen europäischen grünen Parteien bewegen. Stefano Boca, Chef der Grünen im italienischen Senat, kritisierte den Verfassungsentwurf mit deutlichen Worten und äußerte viel Verständnis für jene, die dieses Papier als militaristisch und neoliberal ablehnen. Boca forderte, Europa dürfe nicht das Modell der USA kopieren, Europa müsse ein eigenes Modell entwickeln. Dagegen wurde Anna Lührmann, die als MdB im Juli 2002 im Europäischen Jugendkonvent saß, nicht müde, insbesondere die Fortschritte herauszustreichen, die der Verfassungsentwurf gegenüber dem Status quo auf dem Feld der Demokratie bietet: von den erweiterten Rechten des Europäischen Parlaments bis zur Möglichkeit von Volksentscheiden.
Während der Belgier Pierre Jonckheer, Vizevorsitzender der Fraktion Die Grünen/Europäische Freie Allianz (Grüne/Efa) im Europäischen Parlament, nüchtern konstatierte, der Verfassungsentwurf des Konvents sei das Maximum dessen, das mit 28 beteiligten Staaten erreichbar gewesen sei, und angesichts der "Fehlstellen" auf sozialem und arbeitsmarktpolitischen Gebiet im Verfassungsentwurf ein gemeinsames Manifest von Grünen, Sozialverbänden und Gewerkschaften verlangte, hob Johannes Voggenhuber, MdEP der österreichischen Grünen, hervor: "Wenn der Verfassungsentwurf endgültig scheitern würde, behalten wir Nizza. Und das wäre die Katastrophe der nächsten zehn Jahre." Es wäre ein gewaltiger Rückschritt im Prozess der europäischen Integration, insbesondere auf demokratischem und sozialem Gebiet. Schließlich seien mit dem Verfassungsentwurf des Konvents "Löcher in die Mauer des Neoliberalismus" gebrochen worden wie die im Teil I verankerten Ziele der "Vollbeschäftigung" und der "sozialen Marktwirtschaft".
Insgesamt sind die Grünen die erste politische Strömung, die eine europäische Partei gegründet hat, die sich nicht auf die EU-Mitgliedsstaaten und die Beitrittskandidaten beschränkt, sondern in der Tat ganz Europa umfasst - unter Einschluss der Grünen in Norwegen und der Schweiz ebenso wie in der Ukraine, in Russland oder in Georgien. Die auf dem Kongress erneut deutlich gewordenen unterschiedlichen Positionen der Grünen in wichtigen politischen Fragen lassen jedoch erwarten, dass der Weg zu einer wirklichen, einheitlich agierenden europäischen grünen Partei - jenseits der Sonntagsreden und belastbar auch in Konfliktsituationen - noch lang und steinig sein wird.