Ziele, Anspruch und Angebote der Rosa Luxemburg Stiftung
Der Zusammenhang zwischen politischem Handeln und dem Wissen um gesellschaftliche und politische Entwicklungen wird sicher kaum geleugnet. Trotzdem sind die Verkopplungen von politischen, gesellschaftswissenschaftlichen Kenntnissen und einem politischem Handeln, das darauf basiert, sehr komplex und schwer zu definieren. Exzellente wissenschaftliche Kenntnisse sind noch keine Garantie für politisches Handeln. Andererseits ist es problematisch, ohne durch politische Bildung erarbeitete Grundlagen, Politik machen zu wollen.
So entscheidend politische Bildungsarbeit ist, so schwer ist es zugleich, ihre Effizienz handgereiflich nachzuweisen. Ebenso verhält es sich mit der Beurteilung der Qualität dieser Arbeit, die in erster Linie durch die Akzeptanz der Teilnehmerinnen und Teilnehmer erfolgt. Unter diesem Blickwinkel ist es schon interessant, dass nur ca. 2-3% der Erwachsenen in der Bundesrepublik Deutschland mehr oder weniger regelmäßig Angebote von Trägern der politischen Bildungsarbeit wahrnehmen. In Zeiten verstärkter Politisierung z.B. um 1968 und bis weit in die 70er Jahre hinein und um 1989 wurde politische Bildung stärker nachgefragt. Heute ist das Interesse eher gering.
Zu den Traditionen der sozialistischen Bewegungen gehört, dass die politische Bildung immer einen besonderen Platz einnahm, zum Teil konstituierende Bedeutung gerade für die Arbeiterbewegung hatte. Gegenwärtig geht es für die sozialistische Linke um einen programmatischen Neuansatz, mit dem im Kern die Frage beantwortet werden soll, wie die Verbindung von sozialistischem Anspruch, von Systemopposition mit gesellschaftlichen Reformalternativen hergestellt werden kann. Die PDS befindet sich in der Programmdiskussion – insgesamt eine Situation, in der politische Bildung besonders gefragt sein sollte, sie dieser Situation aber auch gewachsen sein muss.
Mit politischer Bildung wird generell angestrebt, Menschen zu politischem Handeln zu ermutigen, ihre politische Kompetenz zu erhöhen und ihr politisches Handeln zu qualifizieren. Neutrale politische Bildungsarbeit gibt es nicht. Vor allem die gewählten Themen, aber auch die Referentinnen und Referenten sowie das methodisch-didaktische Vorgehen stehen für die politische Richtung, in welcher die Bildungsarbeit wirkt. Das ist auch gewollt und für eine demokratische gesellschaftliche Verfasstheit unverzichtbar. Voraussetzung ist dabei, dass jede der politischen Richtungen oder auch Grundströmungen demokratisch die Existenz der jeweils anderen anerkennt und deren Argumentation im eigenen Bildungsangebot authentisch zu Wort kommen läßt – eine Selbstverständlichkeit für jeden Bildungsträger, der sich selbst ernst nimmt. „ Politische Bildung entgeht nur dann der Gefahr von entmündigender Belehrung und Indoktrination, wenn sie gesellschaftliche Realität als offene Prozesse der Ordnungsbildung erkennbar werden lässt, an denen wir uns durch die jeweils verfügbare ‚Macht der Unterscheidung’ beteiligen, z.B. auch durch politische Bildung. ... Sage mir, was Dir fremd ist, und ich sage Dir, wer Du bist.“[1]
Die Rosa - Luxemburg - Stiftung, Gesellschaftsanalyse und Politische Bildung e.V. bestimmt mit ihrer gesamten Arbeit ihren Platz unter den Trägern politischer Bildungsarbeit, speziell unter den parteinahen Stiftungen. Die gewählten Themen bzw. Themenkomplexe mit denen wir uns an bestimmte Zielgruppen in der linken sozialistischen Grundströmung aber auch an die interessierte Öffentlichkeit wenden, sind Ausdruck für die Spezifik der PDS-nahen Stiftung. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung steht in der hundertfünfzigjährigen Tradition sozialistischen Denkens und damit des Ringens um eine soziale, demokratische und ethische Alternative zum Kapitalismus. Es geht um die Ziele und Werte des demokratischen Sozialismus und Internationalismus, des Feminismus, Antifaschismus und Antirassismus, um soziale Gerechtigkeit, lebendige Demokratie und kritisches Denken.
Politische Bildung heute in diesem Sinne anzubieten, setzt eine permanente Gesellschaftsanalyse voraus, die Auseinandersetzung mit Entwicklungen wie Globalisierung und nicht zuletzt die Beschäftigung mit der Geschichte der sozialistischen Bewegung, ganz besonders mit dem Scheitern des Versuches ein sozialistisches Gesellschaftssystem zu etablieren. All das ist Voraussetzung, um fundiert an den Problemen zu arbeiten, die für Entwicklung der sozialistischen Linken entscheidend sein werden. Die von der Rosa-Luxemburg-Stiftung gewählten Themen korrespondieren deshalb zwangsläufig eng mit den Problemstellungen in der Programmdiskussion der PDS. Auch aus diesem Grund hoffen wir auf Zuspruch.
Leitthema der Stiftung
Das Thema soziale Gerechtigkeit erweist sich als eines der wesentlichsten und kompliziertesten Felder. Es ist im Jahr 2000 das Leitthema der Rosa-Luxemburg-Stiftung und wird darüber hinaus auch künftig zu den Themen gehören, die für die Arbeit der Stiftung von herausgehobener Bedeutung sind. Wir bemühen uns als PDS-nahe[2] Bundesstiftung gemeinsam mit unseren Teilnehmerinnen und Teilnehmern um Kompetenzgewinn auf diesem Gebiet und wollen die Stiftung zu einer Expertin in Sachen soziale Gerechtigkeit entwickeln. Beginnend mit der Analyse gesellschaftlicher Problemlagen, über den Vergleich und die Kritik von Lösungsstrategien und Programmen verschiedener politischer Kräfte zur sozialen Problematik geht es in den Diskussionen um Alternativen. Nach sozialistischem Verständnis ist Gesellschaft immer ein Verhältnis wechselseitiger Verantwortung zwischen dem soziopolitischen Gemeinwesen und den einzelnen. Soll dieses allgemeine Verständnis in realistische Konzepte umgesetzt werden, treten zahlreiche Fragen auf, bedarf es auch der kritischen Auseinandersetzung mit bisherigen sozialistischen Konzepten zur Lösung der sozialen Frage. Höhepunkt in der politischen Bildungsarbeit der RLS zu diesem Thema wird eine internationale Konferenz am 5. und 6. Oktober in Berlin zum Thema: Gerechtigkeit oder Barbarei sein.
Die Arbeit der entstehenden alternativen Zukunftskommission der Stiftung sowie die Projekte der Forschungsförderung[3] sind in hohem Maße am Leitthema orientiert. Ihre Ergebnisse werden direkt in der politischen Bildung zur Diskussion gestellt. In diesem Jahr wird der Rosa–Luxemburg–Preis in Höhe von 10 000 DM für die Beantwortung der Frage verliehen: Unter welchen Bedingungen sind soziale Gleichheit und politische Freiheit vereinbar?
Schwerpunkte der Bildungsarbeit
In unmittelbarem Zusammenhang mit dem Leitthema stehen die weiteren Schwerpunkte der politischen Bildungsarbeit: Ungleichheit: Geschlechter – Klassen – Staatsbürgerschaft, in dem gesellschaftliche Ungleichheitslagen analysiert werden. Soziale Ungleichheiten, die in der Sozialstruktur der Gesellschaft deutlich werden, sind ebenso von Interesse, wie die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern besonders bei der Teilhabe am Erwerbsprozess, am gesellschaftlichen Reichtum an Bildung und demokratischer Gestaltungsmöglichkeit. Der Zusammenhang von Feminismus und demokratischem Sozialismus gehört gleichfalls in diesen Themenbereich. Intensiver Diskussion und Aufklärung bedarf die strukturelle Benachteiligung der Migrantinnen und Migranten in Deutschland und damit im Zusammenhang stehende politische Entwicklungen. Vor diesem Hintergrund ist die Beschäftigung mit Ungleichheit, Ungerechtigkeit und dem Inhalt von Solidarität vordringlich.
Nach wie vor wird die Frage nach den politischen Kräften für demokratischen und sozialen Wandel im politischen System der Bundesrepublik Deutschland engagiert gestellt – keineswegs unabhängig von der sozialen Lage von Akteuren.
Als PDS-nahe Stiftung werden wir in unserer Bildungsarbeit der uns nahestehenden Partei diskursiv kritische Aufmerksamkeit widmen: ihrer Rolle als eine neue linke sozialistische Kraft im politischen System der Bundesrepublik, ihrer programmatischen Entwicklung und ihrer praktischen Rolle bei gesellschaftlichen Wandlungsprozessen.[4] Das schließt ein, dass auch die Reformbestrebungen der anderen politischen Kräfte, z.B. der CDU, aufmerksam analysiert und diskutiert werden.
Mit den Themenkomplexen Kapitalismus global, Sozialismus: streiten für links und Zukunft: Nachhaltigkeit werden Probleme gegenwärtiger gesellschaftlicher Entwicklungen, der Gesellschaftsanalyse sowie der politischen Formulierung und Umsetzung von Reformalternativen in den Mittelpunkt gestellt. Zentrale Fragen sind dabei der sozial-ökologische Umbau der Gesellschaft, die Sicherung des sozialen Zusammenhaltes der Gesellschaft, eine neuartige Beschäftigungspolitik, die Gleichstellung der Geschlechter sowie die Stärkung der Rechte aller Bürgerinnen und Bürger.
Friedens- und Sicherheitspolitik sowie Antifaschismus gehören zu den traditionellen Themen sozialistischen Denkens und finden sich in unserem Programm.
Nachhaltigkeit ist im Sinne dieses Bildungsprogramms Bestandteil eines demokratischen Sozialismus. Sie gehört zur umfassenden Gesellschaftsstrategie, welche die sozialen und ökologischen Grundlagen der menschlichen Gesellschaft auf Dauer sichern soll und dabei Prinzipien sozialer Gerechtigkeit folgt. Nachhaltigkeit umfasst demnach weit mehr als die Ausrichtung auf ökologische Grundsätze der gesellschaftlichen Entwicklung.
Im vorliegenden Bildungsangebot werden Grundfragen einer nachhaltigen gesellschaftlichen Entwicklung zur Diskussion gestellt. Das reicht von umfassenden Vorstellungen über die Zukunft der Gesellschaft, Werten, die der Entwicklung von Wissenschaft und Technik zu Grunde liegen, bis hin zu ethischen Problemen bei der Entwicklung und Nutzung von sogenannten Hochtechnologien wie z.B. Technologien zur Energieproduktion, der Gentechnik und Informationstechnologien. Verschiedene Ansätze der Technikkritik und -befürwortung sollen in die Diskussionen einfließen, z.B. auch feministische Technikkritik.
Zeitgeschichte gehört seit Existenz unserer Einrichtung – also seit 1990 - zu den konstituierenden Themenbereichen unserer Bildungsarbeit. Der Zusammenbruch des Staatssozialismus war eine tiefe Zäsur und zugleich die Möglichkeit für eine neue, kritische Sicht auf die Traditionen der Arbeiter- und Emanzipationsbewegungen. Der Widerspruch zwischen humanistischem Anspruch des Sozialismus und den Strukturen einer politischen Diktatur hatte die Entwicklung des „realen Sozialismus“ von Anfang an geprägt. Die Analyse und Neubewertung des geschichtlichen Erbes ist ein ständiger Prozess und unverzichtbarer Teil unserer politischen Bildung, Bestandteil der Frage nach der eigenen politischen Identität sowie Schwerpunkt der Auseinandersetzung.
„Kultur für alle“ ist eine demokratische Zukunftsvision. Das Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass Kultur für jeden Menschen wichtig ist, für sein Selbstbewusstsein
und seine Selbstfindung gehört zu den Aufgaben unserer Bildungsarbeit. Das Programm bietet Begegnungen mit Künstlerinnen und Künstlern, kulturhistorische , -philosophische und biographische Themen. Noch stehen wir mit Themenangeboten zu Kunst und Kultur am Anfang.
In den Veranstaltungen zum Schwerpunkt Politik real, können die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihre politische Kompetenz erweitern. Angebote zu aktueller Politikgestaltung werden zu Demokratie, Parteien, Gewerkschaften, Asylpolitik und zu Entwicklung im ländlichen Raum gemacht. Politikmanagement umfasst die Angebote zu Kommunikation, Arbeitstechniken, Gruppenarbeit und Rhetorik. Kommunalpolitische Bildung finden Interessierte ebenfalls in diesem Komplex. Die Auseinandersetzung mit der extremen Rechten in der Bundesrepublik hat in der aktuellen Politik an Bedeutung gewonnen. In Seminaren und Workshops greifen wir diese Thematik auf.
Die Zuwendung von Globalmitteln aus dem Bundeshaushalt ermöglicht es uns in begrenztem Umfang, Bildungsangebote in Form von Seminaren, Kursen, Werkstätten und anderen pädagogisch wirksamen Formen anzubieten.
Mit der Durchführung von methodisch-didaktischen Seminaren und von Veranstaltungen zum Selbstverständnis politischer Bildungsarbeit bieten wir Möglichkeiten zur Schulung für Mittlerinnen und Mittler politischer Bildung.
Einen neuen Weg beschreitet die Rosa-Luxemburg-Stiftung durchdie Gründung eines Jugenbildungswerks.Durch das Jugendbildungswerk Rosa Luxemburg wird zum ersten Mal ein spezielles Bildungsangebot für junge Erwachsene unterbreitet. Die Seminarkonzepte wurden von jungen Erwachsenen entwickelt und vorwiegend von jungen Mittlerinnen und Mittlern umgesetzt. Unter dem Dach des Jugendbildungswerks unterbreiten verschiedene Träger ihre Angebote.
Die Beschäftigung mit Rosa Luxemburg als der Namenspatronin der Stiftung ist zum festen Bestandteil des Bildungsangebotes geworden. Mit dem Namen hat die Stiftung ein politisches und kulturelles Leitmotiv gewählt, dem wir auf verschiedene Weise entsprechen werden. Wir unterstützen die Neuauflage der Luxemburg-Werke sowie den Abschluss der Edition durch den 6. Band.
PDS-nahe Landesstiftungen und Bildungsvereine
Eine besondere Rolle bei der Profilierung der Stiftung spielt die Zusammenarbeit mit den Landesstiftungen und PDS-nahen Bildungsvereinen in den westdeutschen Bundesländern. Sie repräsentieren zugleich die bundesweite Arbeit wie die Notwendigkeit und Möglichkeit politischer Bildung vor Ort und für die konkrete Region. Im Entstehen ist eine wirksame Arbeitsteilung, um bundesweite Zielstellungen gemeinsam umzusetzen, die regionalen Ressourcen (Personen, wissenschaftliche Einrichtungen, Nichtregierungsorganisationen usw.) und Interessen besser nutzen zu können sowie die inhaltlichen Spezifika in den Ländern und Regionen weiter zu entwickeln und anderen zugänglich zu machen. Verstärkt wollen wir gemeinsame Bildungsveranstaltungen zu strategischen Themen auch in den Ländern durchführen. Das bedeutet, dass alle Arten von Bildungsveranstaltungen, also Informationsveranstaltungen, Politikberatung, Politikmanagement und theoretische Grundlagen politischen Handelns, Kommunalpolitische Bildung bundesweit zugänglich werden sollen.
Politische Bildung soll Spaß machen
Politische Bildung soll auch Spaß machen ebenso wie Politik auch und das nicht nur zu unserem politischen Festival am 3.Oktober zum Thema: „stellt Euch vor, es ist Kapitalismus...“
Wir wären sehr froh, wenn die Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Bildungsangebot der Rosa Luxemburg Stiftung damit auch ein Stück politische Handlungsfähigkeit gewinnen könnten. Über Anregungen und Kritik würden wir uns sehr freuen.
************************************************
[1] Ortfried Schäfer: Vive la Difference, in kursiv Journal für politische Bildung 1/2000, S.15
[2] Die Position der PDS „im gesamtdeutschen Parteiensystem ist primär durch die (alte) sozialökonomische Konfliktachse bestimmt: Sie ist die Partei der sozialen Gerechtigkeit schlechthin. Sie repräsentiert fast monopolistisch einen fundamentalen Wert, der im Zuge des sozialen Wandels und der Veränderung der Konfliktstruktur des bundesdeutschen Parteiensystems offenbar sträflich vernachlässigt wird. Diesen Befund wird man in PDS-Kreisen mit großer Freude zur Kenntnis nehmen, weil es sich weiterhin mit dem Selbstbild der Partei deckt, die sich als Repräsentantin der sozialen (sozialistischen) Belange gegenüber den besitzbürgerlich-marktwirtschaftlichen (kapitalistischen) Interessen sieht. Jedenfalls ist die Existenz der Partei durch einen grundsätzlichen Wertekonflikt abgesichert.“ Gero Neugebauer und Richard Stöss, Opladen 1996: Die PDS. Geschichte. Organisation. Wähler. Konkurrenten. S.279
[3] Projekte der Forschungsförderung sind: Gesellschaftliche Reformalternativen einer sozialistischen Moderne, GFSP mbH; Politische Meinungsbildung in Deutschland, FOKUS e.V. Halle; Begleitforschung zur Regierungsbeteiligung der PDS in Mecklenburg-Vorpommern, BISS e.V.
[4] 22.5.2000 : Quo vadis PDS? – Wissenschaftliche Analyse und politische Diskussion