Text der Woche 43/2002Zur BDK der Grünen in Bremen am 18. und 19. Oktober 2002
Parteitage haben ihre eigene Dynamik. Das traf auch auf die Bundesdelegiertenkonferenz (BDK) der Grünen in Bremen am 18. und 19. Oktober 2002 zu, in deren Zentrum der Koalitionsvertrag der rot-grünen Bundesregierung stand, der am 15. Oktober 2002 in Berlin unterzeichnet worden war. Daneben hatten die rund 700 Delegierten per Satzungsänderung faktisch darüber zu entscheiden, ob die bisherige Parteispitze für weitere zwei Jahre im Amt bleiben kann. Während der Parteitag zwei Tage lang der Regie der Parteiführung folgte, wurden die letzten Minuten für die Grünen zum Debakel von Bremen.
Koalitionsvertrag abgesegnet
Für den Koalitionsvertrag warb die gesamte Führungsriege der Grünen - ob dem Realo-Lager oder der Regierungslinken zugehörig - in großer Geschlossenheit. Geschickt stellte sie nicht nur die grünen Verhandlungserfolge heraus, sondern machte zugleich auf jene Passagen des Vertrages aufmerksam, wo sie sich als Juniorpartner nicht gegenüber den Sozialdemokraten hatte durchsetzen können. Im Unterschied zu 1998, als nur die Grünen mit eigenen politischen Reformprojekten in die Koalitionsverhandlungen gegangen waren und sich die SPD mit dem Kanzler-Motto "Nicht alles anders, aber vieles besser machen!" lediglich auf das Abblocken und Aufweichen grüner Vorschläge konzentriert hatte, legte die sozialdemokratische Seite diesmal eigene Projekte auf den Tisch. Die bisherige Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Kerstin Müller, beklagte, dass Innenminister Schily und der neue SPD-Generalsekretär Scholz mit einem neuen "Otto-Katalog" an Strafverschärfungen und Maßnahmen zur Einschränkung demokratischer Rechte in die Koalitionsverhandlungen gekommen seien und die Grünen viel Kraft aufwenden mussten, um derartige Vorstellungen abzuwehren.
Insgesamt weist der neue Koalitionsvertrag keine großen neuen Reformprojekte im grünen Sinne auf. Der Vertrag kommt eher kleinmütig daher. Die grünen Verhandlungserfolge liegen vielmehr im Detail. Nicht wenige Delegierte werden den rot-grünen Koalitionsvertrag wohl so empfunden haben wie die "Süddeutsche Zeitung": als "Spar-, Schröpf- und Bettelvertrag".Kein Wunder also, dass die Stimmung auf der BDK meist verhalten war. Von Aufbruchstimmung oder gar Euphorie war nichts zu spüren. Rebecca Harms, die Fraktionsvorsitzende im niedersächsischen Landtag, musste konstatieren, dass vom Jubel der Wahlnacht am 22. September 2002 kaum etwas bis zu diesem Parteitag hinübergerettet werden konnte. Schließlich warf Schröders "Männerwort" zur Laufzeitverlängerung des KKW Obrigheim einen langen "dunklen Schatten" auf den Koalitionsvertrag, wie Parteichef Fritz Kuhn einräumen musste.
Dennoch hätten die Grünen "einen guten Koalitionsvertrag" mit der SPD ausgehandelt, hob Kuhn in der Politischen Rede des Bundesvorstandes hervor. Mit dem Kompromiss zu Obrigheim sei niemand bei den Grünen zufrieden, "aber wir sollten uns die positive Stimmung nicht kaputt machen lassen". Es gehe schließlich darum, das Land unter den Leitmotiven Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit zu erneuern. Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sei die wichtigste Aufgabe in der vor uns liegenden Legislaturperiode; die Reform der Arbeitsmarktpolitik (Hartz-Konzept) und der Umbau der sozialen Sicherungssysteme müssten in Angriff genommen werden. Haushaltskonsolidierung ohne Blick auf die konjunkturelle Lage der Wirtschaft sei der falsche Weg, doch bleibe es das Ziel von Rot-Grün, 2006 ohne Neuverschuldung auszukommen. Die kommenden vier Jahre Rot-Grün würden daher kein Spaziergang, stimmte Kuhn die Delegierten auf die vor ihnen liegenden Mühen der Ebene ein. Im Gegenteil: "Das Schiff Deutschland muss auf hoher See saniert werden - und nicht im gemütlichen Trockendock."
Scharf ging der Grünen-Chef die Oppositionsparteien an. Er erteilte schwarz-grünen Gedankenspielen aus CDU-Kreisen sowohl für die Bundes- als auch für die Länderebene nochmals eine klare Absage: "Dafür stehen wir nicht zur Verfügung." Die FDP sei - so Kuhn - keine liberale Partei mehr. Der Neoliberalismus hätte ebenso abgewirtschaftet wie die Spekulationsblasen an den Börsen, und die "Generation Westerwelle" sei eine inhaltsleere Erfindung gewesen. Die "Postsozialisten" schließlich hätten sich auf ihrem Parteitag in Gera in die sektiererische Ecke manövriert. Die PDS gehe damit ihrem Ende zu. Die Grünen hätten nun die Aufgabe, ein "offenes Angebot an offene PDSler" zu machen, um mit den Grünen für soziale Gerechtigkeit zu streiten. Und Joschka Fischer ermahnte seine Partei: "Der Niedergang der PDS macht es zwingend, dass wir den Aufbau der Grünen im Osten aktiv betreiben." In Anspielung an ein Wahlplakat der PDS-Vorsitzenden ergänzte später Katrin Göring-Eckardt, neue grüne Fraktionsvorsitzende im Bundestag, die PDS sei heute "ein Zimmer ohne Aussicht".
Wie nach ihm auch Außenminister Fischer strich Kuhn die Bedeutung des Wahlergebnisses und des Zustandekommens des rot-grünen Koalitionsvertrags für die europäische Entwicklung heraus. Der rot-grüne Wahlerfolg sei ein entscheidendes Signal für ganz Europa gewesen: "Es kann eine bürgerliche linke Mehrheit geben." Und: "Die rechten Parteien sind nicht mehr auf dem Vormarsch, sondern auf dem Rückzug." Die Grünen hätten - so Kuhn - wegen ihres "klaren programmatischen und inhaltlichen Kurses" und wegen der hohen innerparteilichen Geschlossenheit am 22. September 2002 die Wahlen gewonnen. Die Entscheidung zu Irak im Wahlkampf sei genau richtig gewesen, wie die UNO-Debatte vom Vortag gezeigt habe. Und Joschka Fischer betonte, mit der rot-grünen Koalition werde es keine militärische Beteiligung an einem Krieg gegen den Irak geben.
In der Generaldebatte bemühte sich die Führungs-Crew der Partei, die "klare grüne Handschrift" im Koalitionsvertrag (Claudia Roth) auch den Delegierten sichtbar zu machen. Die Parteichefin verwies auf die im Vertrag garantierte flächendeckende Betreuung für Kinder. Gender Mainstreaming, Gender Budgeting und das Zeuginnenschutzprogramm stünden für verbesserte Chancen für Frauen, ein Gleichstellungsgesetz sei in Reichweite. Auf der Haben-Seite verbuchte sie auch erweiterte Kompetenzen des Verbraucherschutzministeriums und des Umweltministeriums. Die ökologisch-soziale Steuerreform sei - so Fritz Kuhn - durch den Wegfall vieler Ausnahmen "maximal verbessert" worden. Umweltminister Jürgen Trittin machte darauf aufmerksam, dass nun der Flussausbau an Elbe und Donau eingestellt werde. Bahn-Fahren werde durch die Halbierung des Mehrwertsteuersatzes ab 2005 billiger, Fliegen (durch die Aufhebung der Mehrwertsteuerbefreiung für Flüge in andere EU-Länder) genau so besteuert wie das Reisen mit anderen Verkehrsmitteln. Weitere Redner verwiesen auf die Aufwertung der Ausländer-Integration oder darauf, dass es gelungen sei, die Entkriminalisierung von Cannabis einzuleiten.
Dagegen habe beim Versuch, das Ehegatten-Splitting abzuschmelzen und kinderfreundlich zu reformieren, der "Wind von vorne" zu stark geweht, wie die zweite neue Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Christa Sager, zugeben musste. Auch beim Flüchtlingsschutz habe man die eine oder andere bittere Pille schlucken müssen, räumte die bisherige Fraktionschefin der Grünen im Bundestag, Kerstin Müller, ein. Der Berliner Delegierte Hartwig Berger stellte angesichts der Passagen zur Abschiebung von Flüchtlingen im Koalitionsvertrag ernüchtert fest, hier werde sich in den nächsten vier Jahren nichts in Richtung des Willens der Grünen bewegen. Er verlangte daher, verstärkt den Kontakt zu den Menschenrechtsgruppen zu suchen. Eine Delegierte kritisierte, vieles sei im Koalitionsvertrag zu allgemein gehalten. So sollen Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zusammengelegt werden, aber auf welchem Niveau sei offen gelassen worden.
Insgesamt - so resümierte Claudia Roth - hätten sich die grünen Verhandlungsführer beim Koalitionsvertrag bemüht, Lasten und Einschnitte gerecht zu gestalten. Dass dies gelungen sei, würde der Sturmlauf der rechten Presse, der Wirtschaftsverbände und der Unionsparteien zeigen. Und Joschka Fischer kündigte an, bei den bevorstehenden Steuer- und Etat-Entscheidungen mehr soziale Gerechtigkeit herzustellen. Nachdem noch ein Antrag, eine "bündnisgrüne ostdeutsche Persönlichkeit" in der Regierungsmannschaft zu verankern, bei den grünen Basisvertretern eine Mehrheit gefunden hatte, stimmten schließlich die Delegierten nach knapp achtstündiger Diskussion kurz vor Mitternacht dem Koalitionsvertrag trotz vieler Bedenken im Detail mit überwältigender Mehrheit zu.
Durch die gesamte Debatte zum Koalitionsvertrag zog sich das Problem Obrigheim - obwohl nicht Bestandteil des Dokumentes - wie ein roter Faden. Zumindest jeder zweite Redner kam in seinem Debattenbeitrag auf die Verlängerung der Laufzeit für den Alt-Reaktor zu sprechen und brachte seinen Unmut darüber zum Ausdruck. Der Fall Obrigheim sei ein Glaubwürdigkeitsproblem für die grüne Partei, betonten nicht nur Delegierte aus dem Neckar-Odenwald-Kreis, in dem das KKW steht.
Während vor der Bremer Stadthalle Aktivisten von Greenpeace die Abschaltung des KKW Obrigheim verlangten, nahmen die Delegierten einen Antrag von sechs Landesverbänden der grünen Partei an, in dem konstatiert wurde, dass an den Auseinandersetzungen um das AKW Obrigheim die Schwierigkeiten deutlich geworden seien, den Konsens mit der Atomwirtschaft umzusetzen. Das Gesetz zum Ausstieg aus der Atomenergie sei trotz des Kompromisses mit der Atomwirtschaft "kein politischer Selbstläufer". Die Delegierten forderten Bundesregierung und Bundeskanzler auf, folgendes sicherzustellen: "Die Abschaltung von Obrigheim muss innerhalb dieser Legislaturperiode erfolgen. Die Übertragung der Reststrommengen vom Kraftwerk Philippsburg auf das KWO darf keine präjudizierende Wirkung für mögliche weitere Anträge der Atomwirtschaft auf Übertragung von Reststrommengen haben."
Parteiführung geköpft
Während sich schon im Vorfeld des Parteitages abgezeichnet hatte, dass die Delegierten mehrheitlich dem rot-grünen Koalitionsvertrag zustimmen würden, blieb bis zuletzt offen, ob die Befürworter der Aufhebung der strikten Trennung von (Bundesvorstandssprecher-)Amt und (Bundestags-)Mandat eine Zwei-Drittel-Mehrheit der Delegierten hinter sich sammeln könnten, um in dieser Frage eine Satzungsänderung zu erreichen. Einige Kommentatoren orakelten, dass sich der Unmut der Delegierten angesichts der mageren Ergebnisse des Koalitionsvertrages - wie schon so oft in der grünen Parteigeschichte - an anderer Stelle manifestieren würde, als bei der Abstimmung über den Vertrag selbst. Sie nahmen zu Recht an, dass die Parteiführung bei der Abstimmung über die Satzungsänderung abgestraft werden würde, und prophezeiten ein "Gera der Grünen" in Bremen.
In der mit schöner Regelmäßigkeit alle zwei Jahre geführten Debatte zur Trennung von Bundesvorstandssprecher-Amt und Bundestags-Mandat einerseits und zur Trennung von Minister-Amt und Bundestags-Mandat andererseits tauchten kaum neue Argumente auf. Und der Parteilinke Christian Ströbele meinte, er könne eigentlich seine Rede vortragen, die er schon auf der BDK in Stuttgart im März 2000 gehalten habe. Um dann noch einmal die Argumente für die Aufrechterhaltung der Trennung von Amt und Mandat auf den Tisch zu legen: Bereits jetzt würden 20 Prozent der grünen Abgeordneten für die Arbeit in den Ausschüssen ausfallen, weil diese Abgeordneten zugleich Minister oder Parlamentarische Staatssekretäre seien. Bei noch mehr Prominenten in der Fraktion kämen die einfachen Abgeordneten im Plenum des Bundestages nur noch zu später Stunde bei abgeschalteten Kameras zu Wort. Die vielfach beklagte schlechte Amtsausstattung der BundesvorstandssprecherInnen müsse auf andere Art gelöst werden als durch die Verknüpfung mit einem Bundestagsmandat und damit durch die Verwendung von Fraktionsgeldern. Nicht zuletzt wäre bei der Einbindung der BundesvorstandssprecherInnen in die Fraktions- und Koalitionsdisziplin beispielsweise keine Kritik an der "uneingeschränkten Solidarität" des Bundeskanzlers mit den USA möglich gewesen, wie sie Claudia Roth und Fritz Kuhn im Interesse der grünen Partei geübt hätten. Er - Ströbele - sehe mithin keinen Grund, die erfolgreichen Strukturen der Partei zu ändern.
Andere Redner verwiesen auf das demokratische Prinzip der Gewaltenteilung zwischen Exekutive und Legislative. Sie machten darauf aufmerksam, dass der Parteivorstand die langfristigen Ziele der Partei im Auge haben müsse und von daher nicht in die Fraktions- bzw. Koalitions-Disziplin eingebunden sein dürfe, um unabhängig agieren zu können. Wieder andere wandten sich gegen eine Ämterhäufung und vertraten die Auffassung, dass Macht auf möglichst viele Schultern verteilt werden müsse. Sie hoben in diesem Kontext auch auf das Problem der funktionsgerechten Funktions-Ausübung ab: Wenn die Funktion eines Bundesvorstandssprechers ein Full-Time-Job und die Wahrnehmung eines Bundestags-Mandats ebenso eine Ganztagsaufgabe sei, könne bei einer Verbindung von Vorstands-Amt und Bundestags-Mandat mindestens eine Aufgabe (wenn nicht gar beide Aufgaben) nur ungenügend erfüllt werden. Kuhn und Roth hätten zudem gezeigt, dass eine gute öffentliche Darstellung der Partei auch möglich ist, wenn beide kein Bundestagsmandat innehaben.
Gegner einer Trennung von Amt und Mandat wie der Hamburger Super-Realo Martin Schmidt bemühten das gesamte Arsenal der bürgerlich-konservativen Staats- und Verfassungsrechtler und behaupteten, dass es in Deutschland so üblich sei, dass es keine Trennung zwischen Minister-Amt und Bundes- bzw. Landtags-Mandat gebe - obwohl gerade in den beiden Stadtstaaten Hamburg und Bremen eine Inkompatibilität zwischen diesem Amt und einem Mandat aufgerichtet ist. Sie hoben vor allem hervor, dass bei der Verbindung von Bundestags-Mandat und Bundesvorstandssprecher-Amt eine bessere öffentliche Darstellung der Partei möglich sei. Andere meinten, die Aufhebung der Trennung von Amt und Mandat führe zu einer besseren Vernetzung. Kerstin Müller unterstrich, sie wünsche sich einen "noch stärkeren" Bundesvorstand, der "dort, wo die politische Musik spielt, im Bundestag," auch reden dürfe. Die Bundestagsabgeordnete Undine Kurth wandte sich gegen jegliche satzungsmäßige Einschränkungen bei der Auswahl des Personals; die BDK solle jeweils ohne (satzungsmäßige) Einschränkungen über ihr Führungspersonal entscheiden können.
Eine relativ große Gruppe an Debatten-Rednern plädierte für die Einführung von mehr oder weniger flexibel handhabbaren Ausnahmebestimmungen bei prinzipieller Beibehaltung der Trennung von Amt und Mandat. Derartige Regelungen hätten sich auf Länderebene bereits bestens bewährt. Sie hätten es möglich gemacht, dass bei dünner Personaldecke profilierte grüne LandespolitikerInnen beide Funktionen wahrnehmen können, und zugleich dem Ausufern einer Verbindung von Amt und Mandat entgegengewirkt. Der nordrhein-westfälische Landesvorsitzende der Grünen, der Parteilinke Frithjof Schmidt, meinte, die Trennung von Amt und Mandat solle im Prinzip beibehalten werden. Er sprach sich für einen Kompromissvorschlag des Bundesgeschäftsführers Reinhard Bütikofer aus, diese Trennung lediglich für ein Drittel der Bundesvorstandsmitglieder aufzuheben, um so zu sichern, dass die Gegengewichte in Gestalt von Partei und Fraktion erhalten bleiben. Prinzipiell müssten Parteivorstände weitergehende Positionen vertreten (können) als Fraktionen.
Bemerkenswert an der Debatte war, dass sie nicht entlang des Rechts-Links-Schemas (Realos versus Parteilinke) geführt wurde. Nicht wenige Parteilinke, die noch vor wenigen Jahren das Schild der Trennung von Amt und Mandat nicht hoch genug heben konnten, plädierten nun für Aufhebung dieses Prinzips oder zumindest für seine Aufweichung. Andererseits sprachen sich Delegierte, die die Abschaffung anderer Prinzipien aus grünen Gründerzeiten (wie des Rotationsprinzips) begrüßten, mit dem Blick auf aktuelle Probleme in anderen Parteien gegen "Filz und Vetternwirtschaft", für die Beibehaltung der Trennung von Amt und Mandat aus.
Nach einem komplizierten Procedere, in dessen Verlauf sowohl zwei Anträge zurückgezogen wurden, die die ersatzlose Streichung der Trennung von Amt und Mandat forderten, als auch ein Antrag der Grünen Jugend, der eine stark eingeschränkte Aufhebung der Trennung von Amt und Mandat festschreiben wollte (Zulassung von MandatsträgerInnen für Parteiämter im Einzelfall mit Zwei-Drittel-Mehrheit der Delegierten), und ein Antrag des Kreisverbandes Berlin-Pankow, der auch auf die Aufrechterhaltung der Trennung von Minister-Amt und Abgeordneten-Mandat abzielte, stand ein Kompromissantrag des Bundesvorstandes zur Endabstimmung. Eine Art Lex Roth/Kuhn. Der bisherige Absatz 4 des Paragraphen 14 der Satzung der Bundespartei sollte danach folgenden Wortlaut erhalten: "Im Bundesvorstand dürfen nicht mehr als ein Drittel der Mitglieder Abgeordnete sein. Mitglieder des Bundesvorstandes dürfen nicht Fraktionsvorsitzende im Bundestag, in einem Landtag, im Europaparlament oder Mitglieder der Bundesregierung, einer Landesregierung oder der europäischen Kommission sein."
Zur Überraschung der Delegierten - auch der Befürworter der Aufrechterhaltung der Trennung von Amt und Mandat - fehlten im Ergebnis der schriftlichen Abstimmung ganze 20 Stimmen an der für Satzungsänderungen notwendigen Zwei-Drittel-Mehrheit. Die Mehrheit der Delegierten und insbesondere die Führungsspitze der Grünen, die sich mit Vehemenz für die Satzungsänderung eingesetzt hatte, um Kuhn und Roth sowohl an der Parteispitze als auch im Bundestag zu verankern, erlitt eine Niederlage. Offensichtlich hatte die Führungsriege die Mehrheitsverhältnisse in der Partei und unter den Delegierten der BDK in dieser Frage falsch eingeschätzt und sich durch das Einschwenken nicht nur der Regierungslinken, sondern auch anderer Vertreter der Parteilinken ihres Erfolges sicher gewähnt. Zu sicher! Schließlich bleibt auch der Beschluss des Stuttgarter Parteitags in Kraft, der - nach einer Ausnahmeregelung für die Legislaturperiode 1994 bis 1998 - festlegt, dass Minister künftig (das heißt erstmals 2002) ihr Bundestags-Mandat zurückzugeben haben. Ein Beschluss, in dem für die Zukunft noch einige Sprengkraft liegt.
Die Grünen gehen nun geschwächt aus ihrem Bremer Parteitag hervor - auch gegenüber dem Koalitionspartner SPD. Claudia Roth und Fritz Kuhn, die sowohl vor als auch nach dem Bremer Parteitag erklärten, unbedingt ihre Bundestagsmandate wahrnehmen zu wollen, können - nach Lage der Dinge - bei den Vorstandswahlen auf dem Grünen-Parteitag im Dezember 2002 nicht wieder kandidieren. Sie und die anderen Mitglieder der grünen Führungs-Crew haben ihre Partei in eine Krise manövriert, die den Erfolg der Koalitionsverhandlungen überdeckt und das Bild der Grünen in der Öffentlichkeit negativ einfärbt.
Berlin, im Oktober 2002