Europa-Politik spielt in den Wahlprogrammen aller Parteien, die voraussichtlich im Herbst 2017 in den neuen Bundestag einziehen werden, eine zentrale Rolle und hat sich längst zu einem Querschnittsthema entwickelt, das mit vielen anderen Politikfeldern untrennbar verwoben ist. Dies kann als Indiz dafür genommen werden, dass die europäische Integration so weit fortgeschritten ist, dass viele Probleme auf der kommunalen, der Landes- und der Bundesebene nicht mehr ohne die europäische Ebene zu betrachten und zu lösen sind. Die veränderte Weltlage vor allem nach der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten und der Brexit-Entscheidung des Vereinigten Königreichs zwingen die Parteien dazu, sich mit dem Platz, der Rolle und der Einordnung Deutschlands nicht nur im internationalen, sondern auch im europäischen Rahmen zu befassen.
Sicher spielen Wahlprogramme im Wahlkampf nicht die entscheidende Rolle. Sie geben aber detailliert Auskunft über die Positionen der Parteien gegenüber der Europäischen Union (EU) insgesamt und auf den verschiedenen Teilgebieten. In der vorliegenden Studie werden die Unterschiede und Gemeinsamkeiten dieser Positionen zwischen den Parteien CDU/CSU, SPD, DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Die Grünen), FDP und Alternative für Deutschland (AfD) untersucht. Es werden nicht alle, aber wichtige europapolitisch relevante Fragen behandelt. Dazu gehören neben den Fragen der Finalität der EU, ihrer Erweiterung und Vertiefung das Verhältnis von Gesamtentwicklung und einer sich ausdifferenzierenden Entwicklung mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten, die Entwicklung ihrer Wirtschafts-, Finanz-, Steuer-, Sozial- und vor allem Sicherheits- und Außenpolitik. Verglichen werden dabei auch die Positionen zur Nachbarschaftspolitik (insbesondere zur Türkei und zu Russland) und zur Flüchtlingspolitik.
Hinsichtlich der grundsätzlichen Haltung zur EU und zu ihrer Politik zeichnet sich eine klare Spaltung ab: Während die CDU/CSU, die SPD, Die Grünen und die FDP in der EU eine unverzichtbare Antwort auf die Globalisierung sehen und die positive Wirkung der EU in der europäischen Geschichte betonen, ist DIE LINKE der Auffassung, die herrschende neoliberale Politik der EU sei durch ihre vertraglichen Grundlagen festgeschrieben und verhindere soziale Gerechtigkeit, weltweiten Frieden und demokratische Teilhabe der Menschen. Sie fordert einen „Neustart“, um eine demokratische, soziale, ökologische und friedliche Europäische Union zu ermöglichen.
Die Positionen von FDP und AfD beschreiben die beiden Pole in der EU-Frage: Während die AfD zurück in die Vergangenheit will, die EU nach dem Vorbild der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft der 1970er Jahre auf die Binnenmarktfunktion reduzieren möchte und daher auf einen europäischen Staatenbund drängt, strebt die FDP eine dezentral und bundesstaatlich verfasste Europäische Union an.