Publikation Stadt / Kommune / Region Regionalstudie: Leben, arbeiten und wohnen in der Region Frankfurt/Rhein-Main

Perspektiven einer solidarischen Regionalentwicklung

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»Die Wohnungsfrage ist erst dann zu lösen, wenn die Gesellschaft weit genug umgewälzt ist, um die Aufhebung des von der jetzigen kapitalistischen Gesellschaft auf die Spitze getriebenen Gegensatzes von Stadt und Land in Angriff zu nehmen. Die kapitalistische Gesellschaft, weit entfernt, diesen Gegensatz aufheben zu können, muss ihn im Gegenteil täglich mehr verschärfen.« (Engels 1973 [1872]: 243)

Als Ende 2016 die Fraktion Die LINKE. im Römer und die Rosa-Luxemburg-Stiftung Hessen erste Überlegungen anstellten zu einer Studie „Leben, Arbeiten und Wohnen in der Region Frankfurt/Rhein-Main“, die auch die Möglichkeiten interkommunaler Zusammenarbeit betrachten sollte, war das Thema „Stadt/Land/Region“ nicht wirklich auf der politischen Tagesordnung. Inzwischen hat sich das (zumindest in verschiedenen Verlautbarungen aus dem politischen Raum) geändert. Kein Wunder:

  • 100.000e müssen den Wahnsinn des Pendelns im PKW vom Wohnort zum Arbeitsplatz als täglichen Stau mitmachen, weil Verbindungen des ÖPNV einerseits zu teuer, andererseits in der Taktung oder Fahrtdauer ungeeignet sind. Zahllose Menschen sind damit gezwungen, große Teile ihrer Lebenszeit im Auto oder in regelmäßig überfüllten oder unpünktlichen öffentlichen Verkehrsmitteln zu vergeuden.
  • 100.000en wird verwehrt, in der von ihnen bevorzugten ländlichen Region unter der Woche am sozialen Leben teilzunehmen. Sie verlassen früh morgens das Haus und kehren erst abends zurück, auf Grund langer Arbeitszeiten, aber eben auch langer Fahrtzeiten.
  • Wer das auf die Dauer nicht mitmachen will, verlässt seine Gemeinde – oft Richtung Frankfurt. Die Gemeinden veröden. Nahversorgung, Kitas, die soziale Infrastruktur insgesamt brechen weg. Es ist an der Zeit, wieder darüber nachzudenken: Statt Pendeln, statt Entwurzelung, statt Verödung der Region: „Die Arbeit zu den Menschen!“
  • Die 100.000e, die gezwungen sind, sich mit dem PKW täglich in die Stadt Frankfurt zu quälen, bringen von Luftverschmutzung, überfüllten Straßen, Unfallgefahr bis zur Parkplatznot für die Bewohner*innen Frankfurts eine Menge Belastungen mit sich.
  • Die Wohnungsnot in Frankfurt und den unmittelbar angrenzenden Kommunen nimmt ständig zu, und zwar im zweifachen Sinn: Es fehlt an Wohnraum insgesamt und vor allem an bezahlbarem Wohnraum. Eine wesentliche Ursache liegt darin, dass der geförderte Wohnungsbau in den vergangenen Jahrzehnten unter der ganz großen Koalition von schwarz/rot/grün/gelb von der Bundesebene bis in die Kommunen der neoliberalen Marktideologie geopfert worden ist. Sei es durch die faktische Einstellung des geförderten Wohnungsbaus, sei es durch Verkauf von Grundstücken im öffentlichen Besitz an Private. Außerdem wird in den seltensten Fällen gegen Leerstand mit dem Ziel der Gewinnmaximierung, besonders bei Büroimmobilien, vorgegangen. Hinzu kommt, dass in Großstädten (ganz besonders Frankfurt) im Stadtgebiet nur ein begrenztes Flächenvolumen vorhanden ist. Somit stellt sich auch die Frage, welches Wachstum noch verträglich für Mensch und Umwelt ist.
  • Nicht akzeptabel wäre auch eine (Wohnungs-)Bebauung, die die ökologischen Notwendigkeiten ignoriert oder die soziale Infrastruktur vergisst.
  • Allerdings könnten auch die Kommunen in der Region einen Beitrag zur Schaffung von bezahlbarem Wohnraum leisten. Dies scheitert zum einen daran, dass die Kommunen von den notwendigen Erschließungskosten überfordert sind. Zum anderen aber auch daran, dass Kommunen ihr Bauland in Erwartung steigender Bodenpreise horten oder für zersiedelnde Einfamilienhausbebauung reservieren.
  • Unsinnigerweise hat wieder die ganz große Koalition auf Bundes- und Landesebene die sog. Schuldenbremse durchgesetzt. Nicht die Bedürfnisse der Bevölkerung werden zum Maßstab politischen Handelns genommen, sondern Einsparungen in den Haushalten, die in der Regel die öffentliche Daseinsvorsoge negativ berühren. Die Kommunen in der Rhein-Main-Region, die unter den „Schutzschirm“ der Landesregierung gezwungen wurden, haben sich dem beugen müssen. Auch die reiche Stadt Frankfurt läuft, nach Maßgabe der regierenden Mehrheit, dem Fetisch der Schwarzen Null hinterher – mit der Folge der sozialen Spaltung der Stadt.

Mit den folgenden Beiträgen wollen wir in die Diskussion über regionale Konzepte aus linker, solidarischer Sicht Ideen einbringen, die den aufgeführten Missständen entgegenwirken. Die Beiträge bündeln die Ergebnisse der Studie „Leben, Arbeiten und Wohnen in der Region Frankfurt/Rhein­Main und Möglichkeiten der interkommunalen Zusammenarbeit“, die im ersten Halbjahr 2017 in Kooperation zwischen der Fraktion Die LINKE. im Römer, der Rosa-Luxemburg-Stiftung Hessen sowie dem Institut für Humangeographie der Goethe-Universität, Professur Belina, durchgeführt wurde. Neben einer grundsätzlichen Beschäftigung mit der Region Frankfurt/Rhein-Main widmete sich die Studie schwerpunktmäßig den Politikfeldern Kommunalfinanzen, Wohnen, Arbeiten und Verkehr. Die Studie bestand aus mehreren Bausteinen: Erstens eine Online-Umfrage unter linken Kommunalpolitiker*innen aus der Region; zweitens drei dezentrale Gesprächskreise, in denen die Befragungsergebnisse gemeinsam mit den Kommunalpolitiker*innen ausgewertet wurden; drittens ein Abschlussworkshop in Frankfurt, an dem auch verschiedene Expert*innen sowie Vertreter*innen von Initiativen und Gewerkschaften beteiligt waren.
In einem nächsten Schritt sollen die Ergebnisse der Studie öffentlich diskutiert werden. Um diesen Prozess voranzutreiben, stellen wir die zusammengefassten Ergebnisse der Studie hiermit vor. Wir wünschen uns, dass sie die notwendige Diskussion über regionales politisches Handeln im Sinne der Bürger*innen voranbringen. Ebenfalls hoffen wir, dass sie den verschiedenen Initiativen, die sich mit den angesprochenen Themen auseinandersetzen, nützlich sein können und die regionale Komponente näher bringen. Wenn die Studie dazu beiträgt, die Vernetzung der Initiativen und linken kommunalpolitischen Aktivitäten in- und außerhalb der Kommunalparlamente zu unterstützen, wäre dies ebenfalls ganz in unserem Sinne. Über Reaktionen würden wir uns freuen.