Wer über Fluchtursachen reden will, muss gar nicht unbedingt über den Tellerrand gucken. Es reicht schon, genauer hinzuschauen, was wir essen, wie Nahrung produziert wird, wer daran verdient und wer dabei die Verlierer sind. Trotz hoher Produktivität im Agrarsektor hungern weltweit Millionen Menschen. Die dominierende Art der Nahrungsproduktion zerstört natürliche Lebensgrundlagen und befeuert Migration. Und die gegenwärtige Handelspolitik schützt die Interessen transnationaler Agrochemiekonzerne. So ist die Lage – aber sie muss nicht so bleiben. Im Süden wie im Norden begehren Menschen gegen diese Zustände auf. Eines ihrer Ziele heißt Ernährungssouveränität – und es geht dabei um weit mehr als nur darum, satt zu werden. Ein Heft über globale Gerechtigkeit, Demokratie in der Landwirtschaft und Alternativen zum Agrarkapitalismus.
Globale Perspektiven von links: Das Auslandsjournal
maldekstra ist ein neues publizistisches Format, das internationalistische Diskurse und Praxen entlang von zentralen Themenlinien diskutiert.
Der Name ist dabei Programm: Maldekstra steht für «links» in der Weltsprache Esperanto und meint vor allem, aktuelle Fragen in ihrem globalen Rahmen zu sehen, nach weltgesellschaftlichen Lösungen zu suchen für Probleme, die in einer ökonomisch, politisch und kulturell immer enger zusammenrückenden und doch so zerrissenen Welt nur noch auf planetarischer Ebene behandelt werden können.
Diese großen Themen werden bei maldekstra entlang von konkreten Perspektiven anschaulich erzählt: internationale Partner und Personen der Rosa-Luxemburg-Stiftung werden vorgestellt, Fachdebatten übersetzt und sowohl die Vielfalt, als auch das Gemeinsame internationaler Entwicklungen aufgespürt. Möglicherweise erscheint die Welt dabei anders als bisher gewohnt – in einer linken weltgesellschaftlichen Perspektive.
Maldekstra ist ein Kooperationsprojekt, das die Rosa-Luxemburg-Stiftung gemeinsam mit der common Verlagsgenossenschaft e.G. herausgibt. Sie erscheint viermal im Jahr als Beilage der Tageszeitung neues deutschland und online bei rosalux.de.
Jenseits des warmen Stübchens
Der «Sommer der Migration» liegt inzwischen drei Jahre zurück, das Thema Flucht ist aber weiter allgegenwärtig. Immer noch machen sich viele Menschen auf den gefährlichen und oft tödlichen Weg nach Europa. Und sie haben ihre Gründe. Es ist schon eine kleine Weile her, da sprach Wolfgang Schäuble von «den vielen Menschen auf der Welt», denen es «viel schlechter geht als uns». Und er sagte weiter: «Uns war auch klar, dass sie wissen, wie man zu uns kommt.»
Schäuble, inzwischen Bundestagspräsident, nannte die Migration Abertausender «unser Rendezvous mit der Globalisierung». Und erklärte: «Davor können wir uns nicht im warmen Stübchen verstecken.» Der CDU-Mann ist gewiss kein Scharfmacher in der Migrationsdebatte, aber seine Worte sind symptomatisch für einen Blick, der hartnäckig die Ursachen für die Krisen der Welt ignoriert.
Die Globalisierung erscheint bei dieser Art des Draufschauens, und nicht nur da, wie ein Naturereignis. Und Naturereignisse produzieren nun einmal Flucht und Migration. Schäuble: «Ob uns diese Begegnung nun gefällt oder nicht». Dass es auch Gründe gibt dafür, dass Menschen ihre Lebensorte verlassen müssen und man es hier weniger mit einem «Rendezvous» zu tun hat als mit Folgen politischer, ökonomischer, gesellschaftlicher Entscheidungen, die auch anders hätten aussehen und ausgehen können, fehlt im Bild von der Migration, vor der man sich «nicht im warmen Stübchen verstecken» könne.
Aber im Fingerzeig auf das «warme Stübchen» scheint immerhin ein kritischer Gedanke auf: Könnte es sein, dass die relative Behaglichkeit im globalen Norden zulasten des Restes der Welt geht? Auch von links wird in der Debatte um die Migration stets auf die Fluchtursachen verwiesen, darauf, dass es hier um Probleme geht, die nicht mit Mauern und Abschiebungen zu lösen sein werden.
Wer von den Chancen spricht, die global gerechter verteilt werden müssen, wer von Konflikten und Klimawandel redet, die einzudämmen eine wichtige Voraussetzung dafür wäre, kommt aber an grundsätzlichen Fragen nicht vorbei. Fragen, bei denen alte und ewig gleiche Antworten oft so wenig weiterhelfen wie leere Formeln. Fragen, zu denen es nicht selten kontroverse Haltungen auch unter Linken gibt. Vor allem aber Fragen, die zeigen, dass Lösungen oft schneller gebraucht werden, als sie politisch derzeit durchsetzbar sind. Um an diesem Dilemma etwas zu ändern, müssen diese Fragen immer wieder gestellt werden.
Ein neugieriger, kritischer Blick auf die Welt setzt einen Standpunkt voraus. Dieses Journal trägt deshalb den Namen maldekstra – für links in der Weltsprache Esperanto. Damit ist zugleich ein zweiter Anspruch verbunden: die Dinge stets in ihrem internationalen Rahmen zu sehen, nach weltgesellschaftlichen Lösungen zu suchen für Probleme, die in einer ökonomisch, politisch und kulturell immer enger zusammenrückenden und doch so zerrissenen Welt nur noch auf planetarischer Ebene behandelt werden können.
Eines dieser Probleme dreht sich um die Frage, was wir essen, wie unsere Lebensmittel produziert werden, wer darüber entscheiden kann und wie die Nöte in einem Teil der Erde mit den Sorgen in einem anderen Teil und dem Überfluss anderswo zusammenhängen. Es geht um Ernährungssouveränität, ein Begriff, in dem soziale Frage und globale Gerechtigkeit, Klimawandel und Gesundheit, Arbeitsbedingungen und Konzernprofite, lokale Bewegungen und internationalistische Perspektiven verschränkt sind. Er verweist also auf Alternativen zur kapitalistischen Produktionsweise.
Das Zentrum für internationalen Dialog und Zusammenarbeit der Rosa-Luxemburg-Stiftung hat die Ernährungssouveränität zu einem Schwerpunkt ihrer Arbeit gemacht. Diese Ausgabe von maldekstra nimmt sich zum Auftakt dieses Thema vor. Auftakt heißt: Es wird nicht bei einer maldekstra bleiben. Weitere werden folgen.
Kathrin Gerlof, Boris Kanzleiter, Hana Pfennig, Tom Strohschneider
maldekstra #2 und #3
Die kommende Ausgabe von maldekstra wird sich mit «Positivem Frieden» befassen – sie erscheint Ende Dezember. Im Frühjahr 2019 geht es in der dritten Nummer dann um Geschichte und Zukunft des linken Internationalismus 100 Jahre nach Gründung der Komintern.