Hintergrund und Schlussfolgerungen auf Basis der im Auftrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung erstellten Studie des Öko-Instituts.
Der Wohnungssektor ist ein Pulverfass. In keinem anderen Bereich werden die aktuellen Krisen so spürbar: Die seit einem Jahrzehnt anhaltende und sich weiter verschärfende Mietenkrise, die Energiekrise und aktuell zusätzlich der Einbruch im Bausektor wirken sich aus in Form von hohen Kostenbelastungen und Wohnungsnot. Gleichzeitig wurden die Klimaziele im Gebäudesektor wiederholt verfehlt. Er ist für fast ein Drittel der Treibhausgasemissionen und 40 Prozent des Endenergieverbrauchs verantwortlich, ein großer Teil davon durch Wohnungen. Seit mehr als einem Jahrzehnt ist hier keine Verbesserung sichtbar. Die Emissionszahlen gehen kaum nach unten, die Sanierungsrate stagniert, effektive politische Maßnahmen lassen auf sich warten bzw. werden von Teilen der Regierungskoalition und Lobbygruppen ausgebremst. Doch je später relevante Mengen an Treibhausgas eingespart werden, desto eher sind unwiderrufliche Kipppunkte erreicht, und desto teurer werden Klimaschutz und Klimawandel.
Die Wärmewende, verstanden als Umbau hin zu einem klimaneutralen Gebäudesektor, duldet weder Vertagung noch Verschleppung, im Gegenteil, sie muss in den nächsten 15 bis spätestens 20 Jahren umgesetzt werden. Heute neu errichtete Gebäude müssen dafür unmittelbar klimaneutral sein. Im Gebäudebestand sind endlich verbindliche Sanierungsziele für Gebäudehülle und Heizungssysteme zu setzen, die zu einer Klimaneutralität bis spätestens 2045, möglichst schon 2040 führen. Sowohl beim Neubau als auch im Bestand muss durch ausreichende Gebäudeisolierungen der Restwärmebedarf so niedrig gehalten werden, dass er ein regeneratives Energiesystem nicht überfordert. Zudem muss der verbleibende Restwärmebedarf mit dem geringsten energetischen Aufwand regenerativ gedeckt werden. Damit ist klar, dass energetisch ineffiziente und überdies teure, auf Wasserstoff basierende Heizsysteme nicht zukunftsfähig sind. Regenerative Wärme ist künftig im Wesentlichen durch Wärmepumpen bereitzustellen.
Gleichzeitig droht jedoch die notwendige Beschleunigung der Wärmewende unter den gegebenen Bedingungen in Mietrecht, Förderpolitik und CO2-Bepreisung die Wohnungskrise noch zu verschärfen, sofern die Kosten dafür vor allem auf den Mieter*innen abgeladen werden, sich bestehende Verdrängungsmechanismen beschleunigen, Wohnen also für viele Menschen unbezahlbar wird. Die durch den Ukraine-Krieg ausgelöste Energiekrise verschärft damit verbundene soziale Probleme, da die die staatlichen Unterstützungen zu wenig zielgenau fließen. Bei der aktuellen Reform der EU-Gebäude-Richtlinie (EPBD) droht der aus sozialer wie ökologischer Sicht sinnvolle Ansatz zu scheitern, zuerst jene Gebäude zu sanieren, die den schlechtesten Energiestandard aufweisen, sollte sich in den Trilog-Verhandlungen der EU-Ministerrat mit seiner Position gegen den in dieser Frage fortschrittlichen Beschluss des EU-Parlaments (EP) vom 14. März 2023 durchsetzen. Aber selbst bei einem EP-Erfolg der gilt: Schnelle Sanierungen besonders alter ineffizienter Gebäude sind nur dann hilfreich für einkommensschwache Gruppen, wenn die Kosten nicht oder nur sehr beschränkt auf die Miete umgelegt werden. Dies wäre im Mietrecht zu verankern und mit erforderlichen Fördermitteln abzusichern.
Die Rosa-Luxemburg-Stiftung möchte mit der vorliegenden Studie des Öko-Instituts einen Debattenbeitrag dazu leisten, wie die Wärmewende, und auch die staatlichen Reaktionen auf externe Preisschocks im Wärmebereich, deutlich sozialer ausgestaltet werden können. Dafür braucht es zunächst eine aktuelle Aufarbeitung von Daten darüber, welche Einkommens- und sozialen Gruppen in welcher Verteilung in den jeweiligen Baualter-Gebäudegruppen leben. Der Fokus dieser Untersuchung liegt auf Mehrfamilienhäuser. Zudem war zu untersuchen, wie (steigende) Energiepreise gerade auf einkommensschwache Haushalte oder aus anderen Gründen vulnerable Gruppen wirken und welche Instrumente hier sozial besser gegensteuern könnten als die gegenwärtig genutzten.
Zentrale Studienergebnisse aus Sicht der Stiftung
Die Studie zeigt, dass es die gleichen gesellschaftlichen Gruppen sind, die am stärksten sowohl unter der Mietenkrise, als auch unter der Energiekrise leiden. So gehören 50 Prozent der Haushalte in Mehrfamilienhäusern (MFH) zum unteren Einkommensdrittel, mehr als 85 Prozent dieser Haushalte wohnen zur Miete. Sie verursachen zwar absolut gesehen weniger Treibhausgasemissionen als Menschen mit mittleren und höheren Einkommen, weil sie auf deutlich weniger Wohnfläche leben. Dennoch verbrauchen sie pro Quadratmeter mehr Energie, weil sie meist in schlechter sanierten Häusern leben, und leiden im Vergleich zum Einkommen auch deshalb unter einer deutlich höheren Energiekostenbelastung. Beispielsweise gaben die Haushalte im untersten Einkommensdezil 2021 durchschnittlich 4,6 Prozent ihres Einkommens für Wärme aus, die oberen 10 Prozent nur weniger als ein Prozent. Die Situation hat sich mit den gestiegenen Energiepreisen noch deutlich verschärft: 2022 musste das unterste Einkommensdezil fast 8 Prozent verausgaben, das oberste aber nur 1,5 Prozent.
Die Streuung innerhalb der Einkommensgruppen kann hoch sein, so dass einige Haushalte deutlich stärker durch ihren Energieverbrauch belastet sind als der Durchschnitt. Das gilt insbesondere für Rentner*innen, wo eine vergleichsweise große Wohnfläche besonders ins Gewicht fällt, da sie oftmals in den früheren Familienwohnungen leben. Die durchschnittliche Energiekostenbelastung ist für Arbeitslose am höchsten. Schon vor der Energiepreisekrise haben sie 4,5 Prozent ihrer verfügbaren Mittel für Wärmeenergie aufbringen müssen. Im letzten Jahr hat sich das auf fast 8 Prozent erhöht.
Mit den Gas- und Wärmepreisbremsen werden die Wärmekosten für die Haushalte im Jahr 2023 zwar deutlich gesenkt, liegen aber im Februar 2023 bei gleichbleibendem Verbrauch weiter deutlich über den Kosten des Jahres 2021 (etwa um den Faktor zwei). Ferner gibt es mit hoher Wahrscheinlichkeit Haushalte, die ihren Energieverbrauch aufgrund begrenzter finanzieller Ressourcen niedriger halten (und schon vor der Krise gehalten haben) als es eigentlich nötig wäre (versteckte Energiearmut).
Die Studie kritisiert pauschale Maßnahmen zur Kompensation, etwa das Energiegeld für Arbeitnehmende und Selbstständige im 3. Entlastungspaket, und die Energiepreisbremsen auf Basis historischer Verbräuche. Beide bevorteilen tendenziell einkommensstarke Haushalte, was auf Datenbasis nachgewiesen wird. Die Studie stellt fest, dass es an sozial zielgerichteten Ansätzen fehlt, mit denen Unterstützungszahlungen an die Haushalte direkt erfolgen können. Dazu müsste unter anderem ein Direktzahlungsweg geschaffen werden. Das in der Studie angeführte Beispiel Österreich zeigt, dass dies möglich ist.
Zu den Empfehlungen der Studie
Laut Studie sind alle drei besonders vulnerablen Gruppen (Rentner*innen, Arbeitslose, Alleinerziehende) durch ihren Wärmeenergieverbrauch stark belastet und von Energiearmut gefährdet. Sie merkt an, dass die Empfehlungen der Gas- und Wärmekommission zum Schutz vulnerabler Gruppen bislang von der Bundesregierung nicht umgesetzt wurden, obwohl einige der Maßnahmen dabei gezielt auf Haushalte mit wenig Einkommen in Mehrfamilienhäusern ausgelegt sind und deutliche Anreize geben würden, den energetischen Zustand der Gebäude zu verbessern. Die Maßnahmen könnten folglich die Wärmekostenbelastung dieser Haushalte verringern bzw. den Anstieg eindämmen. Sie erlaubten, würden sie umgesetzt, Haushalten mit wenig Einkommen, Klimaschutz und bezahlbares Wohnen besser zu vereinen.
Die Rosa-Luxemburg-Stiftung empfiehlt daher die Umsetzung der Empfehlungen der Gas- und Wärmekommission zum Schutz vulnerabler Gruppen.
Das betrifft insbesondere die beschleunigte Sanierung von Gebäuden mit einem hohen Anteil an Bewohner*innen mit Wohnberechtigungsschein sowie die zielgruppenspezifische Förderung energetischer Sanierung in Wohnungen und Gebäuden gekoppelt mit Mietpreis- und Belegungsbindung.
Vor diesem Hintergrund liefert die Studie aus Sicht der Stiftung auch wichtige Argumente, die die Position des EU-Parlaments in der aktuellen Auseinandersetzung um die Mindestenergiestandards bei der Reform der EU-Gebäude-Richtlinie gegen die des EU-Ministerrates unterstützen. Bereits die Europäische Kommission hatte vorgeschlagen, Mindeststandards für die Gesamtenergieeffizienz für die 15 Prozent schlechtesten Gebäude (MEPS) einzuführen, die diese bis mindestens 2030 bzw. 2033 zu erfüllen haben. Das EU-Parlament geht mit seinem Beschluss im Sinne sozialökologisch gerechter Sanierungen noch darüber hinaus (auch wenn es zu viele Ausnahmen gibt), während der EU-Ministerrat solche MEPS am liebsten vollständig kippen würde. Da in schlecht sanierten Häusern aber überdurchschnittlich viele Gering- und Durchschnittsverdienende leben, ließen sich solche ökologische Sanierung mit hohen Treibhausgaseinsparungen ganz praktisch mit Alltagsverbesserungen für diejenigen verbinden, die diese am meisten brauchen.
Wir verweisen in diesem Zusammenhang auf das Konzept der Bundestagsfraktion DIE LINKE in ihrem «Aktionsplan Klimagerechtigkeit», nach der öffentliche Sanierungsmittel besonders auf Großwohnsiedlungen, aber auch andere Siedlungen aus der Nachkriegszeit zu konzentrieren sind, die größtenteils ohne jede energetische Auflage errichtet und zu hohem Anteil kaum energetisch saniert sind.
Zudem unterstützen wir die Studie in ihrer Analyse, nach der die Unterstützungsleistungen zur Abfederung der aktuellen Energiepreiskrise vielfach wenig zielgerichtet waren bzw. sind. Unter anderem im Rahmen der Novellierung der Energiepreisbremsen müssen aus unserer Sicht nun Regelungen verabschiedet werden, die zielgenauer jenen Haushalten Unterstützung bieten, die es nötig haben. Dafür müssen die notwendigen Daten schnellstens erhoben werden. Wichtig für einen zielgerichteten Ansatz ist zudem, dass Unterstützungszahlungen an Haushalte direkt erfolgen können. Ein Direktzahlungsweg muss daher kurzfristig ermöglicht werden.
Die Rosa-Luxemburg-Stiftung zieht aus diesem Herangehen Parallelen zu den Debatten um ein so genanntes Klimageld als Pro-Kopf-Rückerstattung für steigende CO2-Preise. Ein solches würde jenem Gießkannenprinzip entsprechen, welches die besonders vulnerablen Gruppen zu wenig unterstützt. Auch hier wären zielgruppengerichtete Zahlungen gerechter und ökonomisch effizienter.
Die Studie schlägt zudem Maßnahmen vor, die die Verringerung der Wohnflächen bei Rentner*innen unterstützen (Wohnungstausch, Umzugsprämie, Wohnraumteilung - eher für Einfamilienhäuser interessant -, Förderung von Wohngemeinschaften). Die Rosa-Luxemburg-Stiftung teilt diesen Ansatz, und fordert die Bundesregierung und die Bundesländer auf, entsprechende Rahmenbedingungen zu setzen sowie die dafür benötigten Mittel bereitzustellen.
Neben dem politischen Handlungsbedarf besteht auch weiterer Bedarf an Informationen und Daten über die Wohnsituation und Gebäudezustände in Deutschland. Sie sollten kurzfristig erhoben werden.
Uwe Witt, Rosa-Luxemburg-Stiftung