»Mensch, wo bist du, wenn Leben mehr als Kapital sein soll«
Texte aus linker Perspektive aus Anlass des 32. Deutschen Evangelischen KirchentagBevor sich diese Frage beantworten lässt, macht es Sinn, zunächst die Kirchentagsbewegung und den Kirchentag als öffentlichen gesellschaftlichen und kirchenkritischen Raum zu beschreiben.
Wenn man/frau heute von deutschen Evangelischen Kirchentagen spricht, so meint man heute große gesellschaftliche Events mit mehr als 100.000 Teilnehmern der Mehrheitsgesellschaft, also derer, die sich sozial, politisch, kulturell sich der Mitte zuordnen. Mehr als ein Drittel der Teilnehmer ist unter 30 Jahre, ca. 60 Prozent sind Frauen. Ca. 4.000 vor allem jugendliche ehrenamtliche Helfer sind vier Tage voll im Einsatz. Mehr als tausend internationale Gäste nehmen an den Kirchentagen teil. Die Themenpalette umfasst die Einmischung der Christen in die Gesellschaft, Erneuerung der Kirche und Annäherung der Gläubigen weltweit, Bewahrung der Schöpfung Gottes (Mensch wie Natur – als Dreiklang von Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung), Unterstützung von Menschen, die krank oder behindert sind oder als Migranten Beistand und Hilfe brauchen.
Kirchentage sollen vielfältig wie das religiöse und gesellschaftliche Leben sein. Dazu gehören Diskussionen über biblisch-theologische wie auch soziale, ethische und politische Themen, Fragen nach der gerechten Gestaltung einer globalisierten Welt, der Bewahrung der Schöpfung und der Würde des Menschen, aber auch der Dialog zwischen den Konfessionen und Religionen. Es wird sehr viel gemeinsam gesungen. Konzerte, Theaterveranstaltungen und Ausstellungen machen die Kirchentage zugleich zu Kulturtagen.
Wichtig für das Verständnis der politischen Relevanz der Kirchentage sind seine gesellschaftskritischen Wurzeln. 1949 wurde der Deutsche Evangelische Kirchentag als ein eigenständiges Forum von Christen gegründet, um sich im Sinne von Dietrich Bonhoeffer und Martin Niemöller aktiv an einem antifaschistischen, demokratischen Neuanfang für Deutschland zu beteiligen. Hier sollte auch – so hoffte man damals - die kritische Auseinandersetzung mit der belastenden Liaison von Kirchen und Theologischen Fakultäten mit der nationalsozialistischen Ideologie offen diskutiert werden, auch mit dem belastendem Problem von Antisemitismus in der Kirche. Es wurde angeknüpft an das Darmstädter Wort des Bruderrates der Evangelischen Kirchen in Deutschland von 1947, dem evangelischen Schuldbekenntnis zur historischen Mitverantwortung der Deutschen Evangelischen Kirche für den Nationalsozialismus: „Wir sind in die Irre gegangen…..Wir haben das Recht zur Revolution verneint, aber die Entwicklung zur absoluten Diktatur geduldet und gut geheißen. … Wir übersahen, dass der ökonomische Materialismus der marxistischen Lehre die Kirchen an den Auftrag und die Verheißung der Gemeinde für das Leben und Zusammenleben der Menschen im Diesseits hätte gemahnen müssen….“ Bewusst an die 1939 verbotenen Bibelwochen der Bekennenden Kirche anknüpfend sollte jeder Christ die Chance bekommen, im Gespräch mit kompetenten Referenten, die Tragfähigkeit der eigenen Bibelkenntnis und politischer Positionen zu überprüfen.
Um hierfür einen Raum für gemeinsame Diskurse mit zivilgesellschaftlichen Organisationen zu schaffen, die gleiche oder ähnliche Werte und Anliegen und gesellschaftliche Zielvorstellungen mit anderen Weltanschauungen verbinden, wurde später der „Markt der Möglichkeiten“ eingerichtet, auf dem neben christlichen Gruppen politischer Parteien, vor allem NGOs, Gewerkschaften, zivilgesellschaftliche Organisationen und Bürgerinitiativen und soziale Bewegungen ihre sozialen, politischen und/oder kulturellen Angebote oder konkrete Alltags- und Lebenshilfen unterbreiten können.
Das Spektrum war auch in diesem Jahr wieder breit: neben den christlichen Gruppen politischer Parteien, politischen Stiftungen Organisationen wie Pfadfinder, Evangelische Studierendengemeinden, ökumenische Frauennetzwerke, zahlreiche Friedens- und vor allem Dritte-Welt-Initiativen, europäischen Netzwerken wie KAIROS Europa, auch die Christen für den Sozialismus, aber ebenso die Stiftung „Aufarbeitung der SED-Diktatur“ und die Militärseelsorge der Bundeswehr, die sich seit dem Kirchentag in Hannover 2005 im Vergleich zu allen anderen teilnehmenden Organisationen mit einem überdimensionalen Standbereich präsentiert.
Kirchentage sind seit 1949 politisch umkämpfte Räume, deren Dynamik durch aktuelle Ereignisse und gesellschaftliche Grundstimmungen geprägt wird. Das galt in besonderer Weise für die 1970er und 1980er Jahre, deren Kirchentage maßgeblich von Friedensorganisationen geprägt wurden und durch einen von den Kirchen beschlossenen „Konziliaren Prozess“ für Friede, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung“, wie er bis Mitte der 1990er Jahre die Inhalte nicht nur der zentralen Podien bestimmte. Dieser Prozess ist heute auch deshalb erwähnenswert, weil erstens die Evangelischen Kirchen in Deutschland hinter dessen Anspruch, die Fragen der Umwelt, der Gerechtigkeit und des Friedens zusammenzudenken und mit konkreten Handlungsmaximen zu verbinden deutlich zurückgegangen sind. Zweitens haben sie die gesellschaftskritische Relevanz dieses Prozesses z.T. hinter sich gelassen, obwohl drittens der in diesem Prozess entwickelte Anspruch auf einzigartige Weise „in Überlebensfragen die globale und die lokale und Perspektive mit gesellschaftlichen…und individuellen Lebensstilantworten“[1] zu verbinden drängende Notwendigkeit geblieben ist.
Die Grundgedanken dieses, nicht nur innerkirchlichen Diskussionsprozesses, finden sich auch im Sozialwortes der Evangelischen und katholischen Kirchen 1997, in dem aus jeweils kritischer Analyse der Gesellschaft heraus Reformen dieser Gesellschaft gefordert werden, um „eine strukturelle und moralische Erneuerung der sozialen Marktwirtschaft“ zu erlangen. Die christliche Soziallehre müsse daher künftig mehr als bisher „das Bewußtsein von der Vernetzung der sozialen, ökonomischen und ökologischen Problematik wecken. Die Grundgedanken der „Bewahrung der Schöpfung“ müssen verknüpft werden mit einer Weltgestaltung, welche der Einbindung aller gesellschaftlichen Prozesse in das - allem menschlichen Tun vorgegebene - umgreifende Netzwerk der Natur Rechnung trägt.“…Denn: „Wer notwendige Reformen aufschiebt oder versäumt, steuert über kurz oder lang in eine existenzbedrohende Krise. „[2]
Zugleich benennt das ökumenische Sozialwort das Problem: „daß die großen Zukunftsaufgaben - die Bewahrung der natürlichen Grundlagen des Lebens, die Veränderung des vorherrschenden Wohlstandsmodells, die europäische Einigung und die Herstellung von mehr internationaler Gerechtigkeit“ oft angesichts der bedrängenden sozialen Problemen vor der eigenen Haustür in den Hintergrund treten. Dies gilt auch für die eignen Kirchen. Vor dem Hintergrund sinkender Einnahmen und der Notwendigkeit, Einsparungen im Personalbereich vornehmen zu müssen, heißt es z.B., dass „Gehaltseinschränkungen und Stellenteilungen in vernünftigem Rahmen und mit Augenmaß“ erfolgen sollten. Denn (Absatz 242): „Eine gute und aufopferungsvolle Arbeit verlangt auch ihren gerechten Lohn.“ Aber dieser Anspruch ist immer weniger in der kirchlichen Praxis verbindlich. So sind zahlreiche Bereiche der ambulanten Pflege als GmbH ausgliedert worden, um dort künftig den Tarifvertrag für Zeitarbeitsunternehmen anwenden zu können.[3] Mit großer Mehrheit beschloss z.B. die Württembergische Synode (als Kirchenparlament) am 16. März 2007, dass Diakonie-Einrichtungen vom allgemeinen kirchlichen Tarifvertrag vor Ort abweichen und den durchschnittlich sechs Prozent geringeren Tarif des Diakonischen Werks der EKD anwenden dürfen, denn nur durch geringere Personalkosten könne man dem wachsenden Druck privater Anbieter auf dem Markt sozialer Dienstleitungen standhalten, hieß es. So musste die Debatte um einen Mindestlohn auch unter kirchlichem Dach zum Kampffeld härtester Auseinandersetzungen werden.
Eine der Antworten der EKD - nicht nur auf diese konkrete Frage, ist die Denkschrift der EKD: „Unternehmerisches Handeln in evangelischer Perspektive“ mit der die EKD die Anpassung an die neoliberale Politik und an das eigene unternehmerische Handeln vollzieht. Die realen sozialen Prozesse ausblendend preist die Denkschrift unternehmerisches Handeln als „unternehmerische Berufung“ zur legitimen Interessenentfaltung zwischen Eigeninteressen und dem Dienst für andere. Der Einzelne soll dabei befähigt werden, selbst unternehmerisch handlungsfähig zu sein – als Unternehmer seiner selbst.
Gegen diese Anprassung an die neoliberale Wirtschaftspolitik wandte sich schon der linke Theologie Professor Dr. Ulrich Duchrow, Heidelberg in einem Aufruf im Vorfeld des Kirchentags. Er wollte damit auch auf dem Kirchentag eine kritische Auseinandersetzung mit dieser EKD-Denkschrift herausfordern. In einer Broschüre hat er mit weiteren Autoren eine gründliche Kritik an der – nach Meinung der Autoren – fatalen Denkschrift entwickelt.
Darum ist ein Blick auf die Darstellung der internationalen Finanzmarktinstrumente in dieser Denkschrift wichtig. Es heißt nämlich, man könne durch eine gesetzliche Regulierung von Hedgefonds aufrund ihrer Komplexität und ständig weiterentwickelten Anlagestrategien Effekte erzielen, mit der die „vorteilhafte Innovationskraft dieser Finanzinvestoren eingeschränkt werden“ könnte und außerdem die Gefahr besteht, „dass unter den Anlegern ein falsches Gefühl der Sicherheit geschaffen wird, so dass das eigene Risikomanagement vernachlässigt wird.“ Die seien Wege aus der Krise auch deshalb schwierig, weil durch die Komplexität der neuen Finanzinstrumente „weiteren regulatorischen Eingriffen und Maßnahmen der staatlichen Aufsicht immer mehr Grenzen gesetzt“ sind. Es käme deshalb darauf an, dass „alle institutionellen Marktteilnehmer (Banken, Unternehmen, Finanzinvestoren, Rating-Agenturen) ihrer unternehmerischen Verantwortung nachkommen und selbst Regeln entwickeln“ … „Christliche Werte eines ehrbaren Kaufmanns sind dabei, ebenso wie bei einzelnen Entscheidungen im Spannungsfeld zwischen kurzfristiger Renditemaximierung und nachhaltigem Wirtschaften von Neuem gefragt.“[4]
Leider folgte diesem Ansatz die politische Botschaft des Deutschen Evangelischen Kirchentags 2009, ohne sich den ernsthaften Argumenten der Theologen um Duchrow zu stellen. Nicht die Debatten um eine gerechte globalisierte Gesellschaft prägten diesen Kirchentag.
Der Kirchentag in seinen öffentliche Verlautbarungen begrenzte sich auf individuelles persönliches Engagement, was sich bereits mit der Wahl des Mottos: „Mensch, wo bist du…“ abgezeichnet hatte. Mehr als auf früheren Kirchentagen appellierte man persönlichen Einsatz für Gerechtigkeit, Frieden (obwohl real war das Thema kaum präsent war) und Demokratie. Im Zentrum der Kirchentagsdebatten standen Reden von Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier, die das Verantwortungsbewusstsein des Einzelnen in der globalen Krise anmahnten[5]. Das formulierte auch Kirchentagspräsidentin Karin von Welk als politisches Credo des Kirchentags: „den Wandel zu mehr Gerechtigkeit und Solidarität werden wir nur in dem Maß hinbekommen, in dem sich jeder daran beteiligt“.[6] Individualisierung statt Systemkritik.
So wurde die Kritik an den herrschenden Zuständen „individualisiert“. Der theologische Repräsentant der Bremischen Evangelischen Kirche, Pastor Renke Brahms, wandte sich schon in seiner Eröffnungspredigt gegen Gier und Selbstüberschätzung. "Nichts ist schlimmer als jene unverschämten Menschen, die immer mehr wollen und die das Unrecht gar nicht mehr spüren, in dem sie leben und mit dem sie sich auf Kosten anderer bereichern."[7] Es sei etwas aus den Fugen geraten erklärte er, wenn gesagt werde, dass Geld arbeite. „Auch für das Geld, das an den Börsen verdient oder verloren wird, arbeiten irgendwo auf dieser Erde Menschen - allerdings zu Hungerlöhnen. Dagegen wurde der Wissenschaftler Ernst Ulrich von Weizsäcker in seiner Kritik viel deutlicher, als er die Strategie der Bundesregierung im Kampf gegen die Wirtschaftskrise mit ihren Versuchen kritisierte, aus der Krise mit Wachstumsimpulsen herauszukommen. „Mit der Verherrlichung des Wachstums würden die Probleme noch schlimmer. “[8]
Altkanzler Helmut Schmidt forderte vom Kirchentag aus langfristige Strategien zur Lösung der Probleme. Ihm war vor allem die Sanierung von Banken wichtig und das Vertrauen in die Finanzmärkte wie auch die Ankurbelung Binnennachfrage. Weltbankpräsident Robert B. Zoellick rief dazu auf, arme Länder stärker zu unterstützen. Die Krise bedrohe das Leben von zwei Millionen Babys in Entwicklungsländern. "Es wäre eine Tragödie, wenn die ärmsten Länder den teuersten Preis bezahlen müssten", so Zoellick.[9]
Es ging immer wieder um Vertrauen, dass wieder herzustellen sei, das Menschen zu einander haben müssen, Vertrauen in die Wirtschaft, in Unternehmer und eine Unternehmenskultur trägt dazu bei, unternehmerische Anpassungsprozesse konstruktiv und menschenfreundlich zu gestalten (Denkschrift S. 31) in die Zukunft, in vertrauensvolle Kooperation ein Wort, das in der Denkschrift mit 129 Seiten 45 mal genannt oder gefordert wird. Vertrauensfragen ja, die von Schmidt geforderten Strategiediskussionen zur Lösung der Probleme der Krise – nein, diese fanden nicht statt, ebenso wenig wie die Fragen zur kirchlichen Verantwortung. Die evangelische Kirchen erwecken den Eindruck, als seien die Probleme in Politik und Wirtschaft nur auf individuelles Fehlverhalten zurück zurückzuführen und nicht auf Systemfehler: „sie beschönigt die sozioökonomische Realität, indem sie von sozialer Marktwirtschaft spricht statt von neoliberalem Kapitalismus.“[10]
Obwohl die Auseinandersetzungen mit den Folgen neoliberaler Globalisierung und Wirtschaftspolitik für die Länder Dritten Welt seit Jahren ein zentrales Thema auf den Deutschen Evangelischen Kirchentagen gewesen sind, blieb diesmal die Kritik an der herrschenden Politik Deutschlands und ebenso die Kritik an den Positionen der Kirchen in Deutschland, den Akteuren auf dem Markt der Möglichkeiten vorbehalten.
Aber die Kritik an den Kirchen wie die Kritik an der herrschenden Politik bleibt lebendig: Aktuell steht hierfür der Aufruf linker Theologen an Christinnen und Christen, Gemeinden und Kirchen, der Unternehmerdenkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland biblisch-theologisch und wirtschaftswissenschaftlich zu widersprechen, um sich so gegen eine Anpassung der Kirchen an neoliberale Politik zu wenden. Mit dieser Denkschrift hat die EKD aus biblisch-theologischer, wirtschaftswissenschaftlicher und weltweit ökumenischer Perspektive „offensichtlich einen Irrweg betreten“[11]. Sie habe sich „von ihren eigenen bisherigen sozialethischen Grundeinsichten distanziert, dass das unternehmerische Handeln durch eine widergelagerte Gesellschaftspolitik sozial- und ökologisch verträglich in die Gesellschaft eingebettet werden muss (vgl. das Wirtschafts- und Sozialwort der Kirchen von 1997, Ziff. 143). Sie nimmt stattdessen im Einklang mit dem neoliberalen Mainstream hin, "die staatliche Regulierung auf das Notwendigste" (44) zu begrenzen.[12]
Auch aus diesem Grunde nutzte die RLS auf dem Kirchentag ihr öffentliches Podium mit Ulrich Duchrow, Kairos Europa für die Bekanntmachung dieses Aufrufes, für die Diskussion „wider die Anprassung der evangelischen Kirche an die Macht der Wirtschaft – als eine linke Antwort auf die Unternehmerdenkschrift. Sicher – nur ein Tropfen auf einem sehr heißen Stein. Aber Kampffelder sind immer auch Bewegungsfelder, die die Stiftung mit Ulrich Duchrow auch außerhalb der Kirchentage mit dem Seminaren und Konferenzen wie „Solidarisch Mensch werden“ nutzt.
Ist es da verwunderlich, dass wir uns fragen, ob es die Krise is, die einen so eklatanten Kirchentagsklimawechsel im Vergleich zum Kirchentag 2007 provozierte: 2007 stand das Kirchentagsmotto: „Friede ist Frucht von Gerechtigkeit“ inhaltlich in Einklang mit den Forderungen des Gegengipfels in Heiligendamm, die zeitgleich stattfanden. Die Kirche in ihrem Selbstverständnis selbst Global Player zu sein, aber in dieser Eigenschaft „die Interessen der Globalisierungsopfer“ zu vertreten[13], prägte die Großveranstaltungen des Kirchentags, vorbereitete und spontane Veranstaltungen in Kirchen und auf öffentlichen Plätzen der Stadt. Die Vertreterinnen und Vertreter der Weltreligionen forderten in einer gemeinsamen Erklärung, die Bekämpfung der weltweiten Armut und gerechte Beteiligungsstrukturen. Im Abschlussdokument der „Religous Leaders’ Conference“ die Religionsvertreter aus den G8-Staaten und Afrika plädieren für eine auf Gerechtigkeit, Teilhabe und ethischer Verantwortung basierende globale Wirtschaftsordnung. „Wir stehen zusammen, um die Regierungschefs der G8-Staaten und alle Menschen guten Willens dazu aufzurufen, mit uns zusammen zu arbeiten, um mit verstärkter Energie, Engagement und Kreativität die Umsetzung der Millenniumsentwicklungsziele und der Verpflichtungen des G8-Gipfels 2005 in Gleneagles zu erreichen. Wir rufen zu konkreten, sichtbaren, Lebensfördernden und lebenserhaltenden Verbesserungen für das Leben unserer Schwestern und Brüder und das unseres Planeten auf…“[14]
Mehr als 40.000 Menschen versammelten sich zum „Ruf an den G8-Gippfel in Heiligendamm“ unter dem Motto „Die Macht der Würde: Globalisierung neu denken“, eine Botschaft, die in unterschiedlicher Schärfe von Susan George, ATTAC France, Erzbischof Desmond M. Tutu, Südafrika, Reinhold Höppner und Bischof Huber formuliert wurde. Mit einer Live-Schaltung zum G-8-Konzert der Globalisierungsgegner in Rostock haben die Kirchentagsteilnehmer ihre Botschaft an die Teilnehmer des Gipfeltreffens gerichtet: „Globalisierung ist kein Schicksal, sondern eine Gestaltungsaufgabe.“ Der Kirchentag in Köln wurde in seinem kritischen, friedlichen Protest, einschließlich des Schlussgottesdienstes Teil des Anti-G8-Gipfels.
Erinnert sei hier auch auf die bisher schärfste Kritik des Neoliberalismus durch internationale kirchliche Gremien – wie der Erklärung des Reformierten Weltbundes von Accra 2004. Darin heißt es: „Darum sagen wir Nein zu gegenwärtigen Weltwirtschaftsordnung, wie sie uns vom globalen neoliberalen Kapitalismus aufgezwungen wird. …Darum sagen wir nein zu jeder Ideologie und jedem wirtschaftlichen Regime, das den Profit über die Menschen stellt, das nicht um die ganze Schöpfung besorgt ist und jene Gaben Gottes die für alle bestimmt sind, zu Privateigentum erklärt. Wir weisen jede Lehre zurück, die zur Rechtfertigung dient, die einer solchen Ideologie im Namen des Evangeliums des Wort reden oder ihr nicht widerstehen.“
Es bleibt dabei – Kirchentage sind politisch umkämpfte Räume der Mehrheitsgesellschaft an denen man nicht vorbeikommt, wenn gesellschaftliche Mitte-Unten-Bündnisse ernst gemeint sein sollen. Und es gibt Anknüpfungspunkte für erneute Politisierung, die nicht auf Kirchentage begrenzt bleiben sollten.
Cornelia Hildebrandt/Ilsegret Fink
[1] Ulrich Schmitthenner. Der Konziliare Prozess. Gemeinsam für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung. Vorwort. Idstein. S. 19
[2] Sozialwort der Kirchen. Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit. Wort des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz
zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland
[3] Ankündigung der Evangelischen Stiftung Bodelschwingh, zum 30. Juni 2007.
[5] Radio Bremen vom 27.5.2009. Persönlicher Einsatz ist wichtig www.radiobremen.de/wissen/dossiers/kirchentag/kulturbremenkirchtentaghalbzeit100.html
[6] Karin von Welk Kirchentag geprägt von engagierten Debatten und fröhlicher Atmosphäre www.kirchentag.de/aktuell-bremen-2009/panorama/alle-meldungen-bereich-panorama/125-engagierte-debatten.html
[7] Radio Bremen: Evangelischer Kirchentag. Appelle zum Umdenken in der Krise. 20. Mai 2009
www.radiobremen.de/kultur/nachrichten/kulturkirchentagerstertag100.html
[8] a.a.O.
[9] Radio Bremen vom 27.5.2009. Altkanzler Schmidt in Bremen: "Wirtschaft nicht über den Berg"
http://www.radiobremen.de/wissen/dossiers/kirchentag/kulturbremenkirchentag114.html
[10] Ulrich Duchrow. Kirche auf dem Irrweg. Neues Deutschland vom 1.11.2008
[11] Memorandum. Andie Christinnen und Christen, Gemeinden und Kirchen der Unternehmerdenkschrift der EKD in Deutschland biblisch-theologisch und wirtschaftswissenschaftlich zu widersrpechen. In: Frieden mit dem Kapital?. Wider die Anpassung der Evangelischen Kirche. Oberursel, S. 9
[12] A.a. O. S. 10
[13] Die Kirche. Evangelische Wochenzeitung Nr. 24, vom 17. Juni 2007, S. 1
[14] http://www.evlka.de/content.php?contentTypeID=4&id=6411 vom 20.6.07
Weitere Informationen:
»Mensch, wo bist du, wenn Leben mehr als Kapital sein soll«
Texte aus linker Perspektive aus Anlass des 32. Deutschen Evangelischen Kirchentag
Zusammengestellt von Ilsegret Fink und Cornelia Hildebrandt, Rosa-Luxemburg-Stiftung, Mai 2009